Rassistische Diskriminierung bei Polizeikontrollen

Verdachtsgrund Hautfarbe

»Racial profiling« ist verboten, dennoch praktiziert die Polizei es häufig. Daran haben auch ein paar bescheidene Reformen in Berlin und Bremen nichts geändert.

Die Rechtslage ist eindeutig: eine Person aufgrund ihrer Hautfarbe polizeilich zu kontrollieren, verstößt das ­gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes und ist somit rechtswidrig. Das hat Anfang des Jahres das Verwaltungsgericht Dresden ein wei­teres Mal bestätigt. Es folgte in seinem Urteil der Rechtsauffassung diverser anderer Verwaltungsgerichte.

Für nichtweiße Menschen ist das sogenannte racial profiling durch die Polizei einschüchternd, stigmatisierend und entwürdigend – und immer gibt es das Risiko der Eskalation, wenn es zu Konflikten zwischen den kontrollierenden Beamten und den Kontrollierten kommt.

Trotz der klaren Rechtsprechung nimmt die Polizei seit einigen Wochen mehrmals täglich Kontrollen am Dresdner Hauptbahnhof in aus Prag kommenden Zügen vor, bei denen verschiedenen Beobachtern zufolge fast ausschließlich people of color ­herausgefischt werden, während hellhäutige Personen weitgehend unbe­helligt bleiben.

Die »besonderen Kontrollorte«, »kriminalitätsbelasteten« oder »gefährlichen Orte« sind eines der zentralen rechtlichen Einfallstore für »racial profiling«.

Die Möglichkeit, an Bahnhöfen »verdachtsunabhängig« zu kontrollieren, ist durch das Bundespolizeigesetz gegeben. Dort ist in Paragraph 22 Absatz 1a) geregelt, dass die Bundespolizei Personen zur Verhinderung unerlaubter Einreisen kurz anhalten, sie befragen und ihre Papiere überprüfen darf. Sie kann außerdem mitgeführte Sachen »in Augenschein nehmen« – das ist aber nicht mit einer Durchsuchung zu verwechseln, also zum Beispiel dem Abtasten einer Person.

Doch aus »verdachtsunabhängig« wird in der Praxis häufig »verdächtig aufgrund der Hautfarbe«. Das ist auch bei Kontrollen zur Verhinderung der unerlaubten Einreise rechtswidrig, was spätestens seit einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz aus dem Jahr 2016 klar ist. Doch Gerichtsentscheidungen allein ändern nicht automatisch das Handeln der Polizei. Diese kann im Einzelfall leicht andere, rechtskonforme Gründe für die Kontrolle einer person of color konstruieren: auffällige Kleidung, eine verdächtige Gruppenkonstellation oder viel Gepäck etwa.

Wenn das nicht klappt, kann die Polizei immer noch darauf vertrauen, dass die Betroffenen an den Hürden der Justiz scheitern. Um seine Rechte einzuklagen, muss man diese zuerst kennen. Und wer kein oder kaum Deutsch kann und kein Geld hat, traut sich selten zu, ein Gerichtsverfahren durchzustehen.

Aus all diesen Gründen hat im Land Berlin die Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei 2020 ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) eingeführt, das die Rechte von Betroffenen stärken sollte – gegenüber allen Behörden, inklusive der Polizei. Weil es für Polizisten so leicht ist, Gründe für eine Personenkontrolle vorzuschieben, sieht das LADG eine Beweiserleichterung für Personen vor, die von Diskriminierungen betroffen waren. Dabei handelt es sich jedoch nicht, wie es die beiden großen Gewerkschaften der Polizei gerne behaupten, um eine »Beweislastumkehr«. Dieser Ausdruck legt nahe, dass unter dem LADG jeder Rassismusvorwurf gegen die Polizei als berechtigt gelte, wenn diese nicht das Gegenteil beweisen kann. Doch die gesetzliche Regelung sieht anders aus. Um Schadens­ersatz oder Schmerzensgeld zu erhalten, müssen Diskriminierungsbetroffene zunächst Tatsachen anführen, die eine Diskriminierung aus rassistischen oder anderen Gründen »überwiegend wahrscheinlich« machen. Erst dann muss die Polizei (oder die jeweils betreffende Behörde) beweisen, dass keine Diskriminierung vorlag. Die bloße Behauptung, diskriminiert worden zu sein, reicht also keineswegs.

Durchaus befremdlich erscheint deshalb die Heftigkeit des Widerstands, der dem Gesetz 2020 entgegenschlug. Lobbyverbände hatten gewarnt, dass die Polizei nach der Einführung des Gesetzes kaum noch handlungsfähig wäre. Der bayerische und der brandenburgische Innenminister hatten sogar angekündigt, prüfen zu lassen, ob sie es überhaupt noch verantworten können, Polizeibeamte nach Berlin in den Einsatz zu schicken, wie es bei Demonstrationen oder großen Staatsbesuchen manchmal vorkommt.

Zwei Jahre später liegen nun Zahlen vor, die verdeutlichen, wie übertrieben diese Aufregung war. Laut einer Recherche des RBB gab es im gesamten Jahr 2021 gerade einmal 53 auf das LADG gestützte Beschwerden gegen die Berliner Polizei. Erfolgreich waren ­davon nur zehn.

Dass die Zahl so niedrig ist, liegt womöglich daran, dass viele Betroffene gar nicht wissen, dass ihnen der Weg einer Beschwerde offensteht. Zwar gibt es in Berlin eine Ombudsstelle, die zwischen Betroffenen und den Behörden vermitteln soll, aber auch die muss man erst einmal kennen.

Die Beweiserleichterung nach dem LADG ist eine Berliner Besonderheit. Doch auch in den meisten anderen Bundesländern gibt es Stellen, an die sich von rassistischem Polizeihandeln Betroffene wenden können. Diese sind zwar meistens formell unabhängig von der Polizei, doch häufig sind sie bei den Innenministerien der Länder angesiedelt, also den Ministerien, denen auch die Polizei unterstellt ist. Diese organisatorische Verquickung wirft die Frage auf, wie unabhängig diese Ombudsstellen tatsächlich sein können – zumal sie in anderen Bundesländern dem Landtag zugeordnet sind, um ­jegliche Unklarheit zu vermeiden.

Zudem sind die Beschwerdestellen – anders als etwa in Dänemark oder dem Vereinigten Königreich – schlecht ausgestattet und haben nur wenige Befugnisse; insbesondere können sie nicht wie eine Staatsanwaltschaft eigene Ermittlungen anstellen. Für strafbares Fehlverhalten sind weiterhin die Staatsanwaltschaften und die Polizei selbst zuständig.

Einen weitergehenden Ansatz, um racial profiling einzudämmen, hat in Deutschland bislang nur das Bundesland Bremen verfolgt. Dort kann man sich seit dem vergangenen Jahr eine Bescheinigung ausstellen lassen, wenn man von der Polizei an einem »besonderen Kontrollort« angehalten und überprüft wurde. Die Bescheinigung muss auch den Grund der Kontrolle ­anführen.

Die »besonderen Kontrollorte«, »kriminalitätsbelasteten« oder »gefährlichen Orte« sind neben dem bereits erwähnten Paragraph 22 Absatz 1a des Bundespolizeigesetzes eines der zentralen rechtlichen Einfallstore für racial profiling. Regelungen zu solchen Orten gibt es in allen 16 Polizeigesetzen der Länder und auch im Bundespolizeigesetz. Wer sich an einem solchen Ort aufhält, kann anlasslos angehalten, kontrolliert und in der Regel auch durchsucht werden. In einigen Bundesländern muss die Polizei diese »gefährlichen Orte«, die sie selbst festlegt, nicht einmal der Öffentlichkeit bekannt­geben.

Die Bremer »Kontrollquittungen« sollen deshalb ein Mittel sein, um die ­Arbeit der Polizei transparent und nachprüfbar zu machen. Häufen sich Kon­trollen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, können diese mit Hilfe der Bescheinigungen Beschwerde einlegen oder Rechtsmittel ergreifen, etwa eine Klage vor dem Verwaltungsgericht. Zudem lassen sich ­damit pro­blematische Trends in der polizeilichen Kontrollpraxis besser er­kennen.

In anderen Staaten sind ähnliche Konzepte schon verwirklicht worden. Dennoch war bei der deutschen Polizei die Reaktion auf diese Regelung erneuter Protest, wie schon beim Berliner LADG. Die tatsächlichen Konsequenzen waren dann freilich ebenso unspektakulär. Auf eine Anfrage der DPA teilte die Bremer Polizei mit, dass sie vom September 2021 bis zum Februar 2022 insgesamt nur acht solcher Bescheinigungen ausgestellt habe.

Die Wirksamkeit solcher Kontrollquittungen ist zudem umstritten. Verschiedene Studien aus dem Ausland kamen zu eher ernüchternden Ergebnissen. Überraschend ist das eigentlich nicht, schließlich kann die Polizei selbst entscheiden, welchen Grund sie für eine Kontrolle anführt und dadurch problematische Einträge vermeiden.

Unabhängig von Quittungen und Beratungsstellen kann man, wenn man eine fragwürdige Kontrolle beobachtet, helfen, indem man solidarisch Präsenz zeigt, genau hinschaut und sich nachher der betroffenen Person als Zeugin zur Verfügung stellt. Es ist auch grundsätzlich erlaubt, Polizisten im Einsatz zu filmen. Das hat 2015 das Bundesverfassungsgericht entschieden. ­Allerdings besteht rechtliche Uneinigkeit darüber, ob und wann die damit verbundene Tonaufnahme strafbar ist.

Zudem kann die Veröffentlichung der Aufnahmen nach dem Kunsturhebergesetz strafbar sein, wenn die Aufnahmen reine Routineeinsätze zeigen. Nur wenn es sich um ein »zeitgeschichtliches Ereignis« handelt – Polizeigewalt etwa oder eine Demonstra­tion – ist die Veröffentlichung erlaubt. Das entschied im vergangenen Jahr das Oberlandesgericht Köln.

In jedem Fall muss man beim Filmen von Polizeieinsätzen mit Diskussionen und Konflikten mit der Polizei rechnen. Es bleibt dennoch wichtig, das Problem öffentlich zu machen und politischen Druck aufzubauen. Ein Ende des racial profiling wird es nicht ohne eine grundlegend andere, antirassistische Sicherheitspolitik geben.