Die jüngsten Entwicklungen im Iran

Kopftuchzwang und Massenarmut

Kommentar Von Bernd Beier

Im Iran gesellt sich zu dem vom Verschleierungszwang ausgelösten Aufstand eine veritable ökonomische Krise. Auch die Machthaber in der arabischen Welt sind beunruhigt.

Die Proteste dauern unvermindert an, nun eskalieren auch die ökonomischen Probleme der Islamischen Republik Iran. Der Kurs der iranischen Währung rauscht in den Keller. Am Dienstag tauschten Trader in Teheran 338 000 Rial gegen einen US-Dollar, tags zuvor waren es noch 332 200. Zum Vergleich: Zur Zeit der Wiener Nuklearvereinbarung mit dem Iran im Jahr 2015, als internationale Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aufgehoben wurden, wurden AP zufolge 32 000 Rial gegen einen US-Dollar getauscht. Etwa ein Drittel der iranischen Bevölkerung ist Studien zufolge in den vergangenen Jahren unter die Armutsgrenze gerutscht. Das ist ein weiterer wichtiger Faktor für die Proteste im Iran, die sich weiterhin gegen die Zwangsverschleierung für Frauen richten. Steigende Preise, hohe Arbeitslosigkeit insbesondere unter jungen Leuten und die allgegenwärtige Korruption fachen den Aufstand weiter an.

Am Samstag verkündete der Oberkommandierende der Revolutionswächter, des militärischen Pfeilers der iranischen Theokratie, Hossein Salami, vergeblich: »Kommt nicht auf die Straßen! Heute ist der letzte Tag der Unruhen.« Die Proteste setzten sich weiter fort, in den vergangenen Tagen in mindestens 20 Städten und an 50 Universitäten des Landes. Bislang hatten vor allem die Polizei und die paramilitärische Basij-Miliz die hehre Aufgabe der Aufstandsbekämpfung übernommen. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna zitierte vor einigen Tagen Brigadegeneral Mohammad Reza Mahdavi, Oberhaupt der Revolutionswächter in der Provinz Khorasan, mit den Worten: »Bislang haben die Basiji Zurückhaltung gezeigt und sie waren geduldig.« Um hinzuzufügen: »Doch wenn die Lage anhält, werden sie außer Kontrolle geraten.«

Diese »Zurückhaltung« bei der Aufstandsbekämpfung ist sehr relativ, Videos vom Wochenende zeigten Basiji, die in Teheran und Sanandaj Schusswaffen gegen Studierende einsetzen. Noch in dieser Woche sollen allein in Teheran vor den sogenannten Revolutionsgerichten Prozesse gegen 1 000 Leute beginnen, die in der Hauptstadt bei Demonstrationen verhaftet wurden; ihnen werden der iranischen Justiz zufolge Sabotage, Angriffe auf Ordnungskräfte und Zerstörung öffentlichen Eigentums vorgeworfen. Am zugespitztesten ist die Situation weiterhin in den Provinzen Kurdistan und Belutschistan. Am Mittwoch voriger Woche zogen Tausende in Saqqez, der Herkunftsstadt Jina Mahsa Aminis, deren Tod die gegenwärtigen Proteste ausgelöst hatte, zu ihrem Grab; Zehntausende gingen an diesem und am Folgetag auf die Straße und trotzten den Ordnungskräften. In der kurdischen Stadt Mahabad kam es zu schweren Unruhen, Tausende zogen ins Stadtzentrum, Regierungsgebäude wurden in Brand gesetzt, die Ordnungskräfte schossen scharf in die Menge.

Der Aufstand im Iran ist höchst beunruhigend für die Machthaber in der sogenannten arabisch-islamischen Welt. Dort sind die sozialen Verhältnisse ähnlich prekär wie iM Iran, die Demokratisierungsprozesse nach dem sogenannten Arabischen Frühling sind gestoppt. Aber die Machthaber erinnern sich mit Entsetzen daran, dass die Unruhen im Iran 2009 denen in ihren Ländern vorangingen. Nur sind die Proteste heutzutage im Iran wesentlich radikaler. Es geht um den Sturz der Ayatollahs, nicht um eine Reform der Islamischen Republik.