Gendern kann erreichte gesellschaftliche Teilhabe ausdrücken, aber nicht erschaffen

Es gibt kein richtiges Gendern im Falschen

Um gesellschaftliche Veränderungen beschreiben zu können, muss sich auch Sprache wandeln. Jedoch ist diese allein kein Instrument der gesellschaftlichen Veränderung oder der Unterdrückung. Die Diskussion über das Gendern sollte nicht den Blick auf die relevanten politischen Themen verstellen.

Vor bald sieben Jahren haben wir unseren Text »Das Unbehagen mit dem Sternchen« in der Jungle World 1/2016 veröffentlicht, seitdem ist einiges passiert. Wir nehmen die schleichende Reformation bei der Schnecke Jungle World, die nun die Schreibweise mit Gender-Doppelpunkt neben dem männlichen oder weiblichen Generikum »anbieten, aber nicht vorschreiben« wird, zum Anlass, unsere Position in den Ring zu werfen.

Seit 2016 kamen weitere Vorschläge hinzu, wie ein Text gegendert werden kann, um damit sprachlich mehrere Geschlechter abzubilden, und selbst bei ­einigen Parteien und Institutionen wurde das Binnen-I durch ein anderes Zeichen ersetzt. Wer an manchen Fachbereichen der Universitäten einen Text nicht gendert, riskiert eine schlechtere Bewertung, ganz so als handele es sich dabei um eine falsche Zitation. Es ist eine zeitgemäße Art, Texte zu schreiben, um die man nur noch schwer herumkommt.

Obwohl es nervig sein kann, einen Text zu lesen, der durchgängig das Männliche als das Allgemeine setzt, sagt dies noch nichts über den Inhalt des Geschriebenen aus.

In den Feuilletons dominieren zwei Extrempositionen, hinter denen die Zwischentöne in der Diskussion über das Gendern tendenziell verschwinden. Manche Konservative sehen im Gendern den Untergang des Abendlands, weil sie – warum auch immer – einer deutschen Kultur nachhängen, die sich auf eine ihnen unerwünschte Weise verändert hat. Ihr Bezugspunkt ist wohl eine romantisch überhöhte vermeintlich bessere Vergangenheit. Jede Modernisierung oder Wortschöpfung wird als Verlust dieser Vergangenheit empfunden und abgewehrt. Diese Position wird heute meist inkohärent vertreten, es werden nur bestimmte Veränderungen als Kulturverlust angesehen; das kann die Rechtschreibreform sein oder eben auch die Verwendung des Unterstrichs, um mehr als ein Geschlecht sprachlich zu repräsentieren. Diese Vorstellung von Sprache als konservierbar in ihrem Status quo verkennt den unvermeidlichen Veränderungsprozess, den sie vollziehen muss, um gesellschaftliche Verhältnisse benennen zu können.

Andere, nennen wir sie mal die Gegenseite, halten die neue Zeichenfolge für reinen Fortschritt, weil ihrer Ansicht nach Sprache Realität erzeugt. Sie überhöhen Sprache als Instrument, Wirklichkeit zu gestalten. Sprache und Handeln werden gleichgesetzt und das bloße Verwenden von Begriffen wird als Gesellschaftsveränderung interpretiert. Von gesellschaftlichen Strukturen kann man sich in dieser postmodernen, wie auch schon in der kulturkritischen Sprachkritik, keinen Begriff machen.

Wir plädieren dafür, feministische Positionen zu vertreten und sprachlich genau zu argumentieren. Die Hauptkritik sollte demnach nicht auf die Verwendung von Generikum, Doppelpunkt oder Binnen-I, sondern auf Argumente gerichtet werden. Die Mühe der Widerlegung von antifeministischen Stereotypen, von sexistischen Beispielen oder anderer Dummheit muss man sich machen. Andernfalls rühren alle in ihrem eigenen Brei, tragen Eulen nach Athen und predigen den Konvertierten. Obwohl es nervig sein kann, einen Text zu lesen, der durchgängig das Männliche als das Allgemeine setzt, sagt dies noch nichts über den Inhalt des Geschriebenen aus.

Genauso wenig bedeutet die Verwendung von Unterstrichen oder Sternchen in einem Text, dass dieser eman­zipatorische Ideen beinhaltet. Zu gendern kann auch ein progressiver Anstrich sein, der Regressives überdecken soll. Die Grünen zeigen es derzeit deutlich: Unter Verwendung von Gendersternchen können Waffenlieferungen an einen frauenverachtenden islamistischen Staat wie Saudi-Arabien befürwortet werden. Auch in Teilen der radikalen Linken scheint das Gendern der eigenen Texte bisweilen als ausreichender Beweis einer feministische Haltung gewertet zu werden. Die Inhalte der Aufrufe, die Besetzung der Veranstaltungspodien und das Auftreten bei Vernetzungstreffen sprechen allerdings oft genug eine andere Sprache.

Beim Gendern handelt es sich um eine sprachliche Konvention, die sich verselbständigt hat und bei deren Anwendung das Nachdenken über Sinn und Zweck schnell unter den Tisch fällt. Die Frage, wie Sprache gestaltet werden kann, damit sich alle – von Adressaten über Adressat:innen bis Adressatinnen – angesprochen fühlen, ist nicht durch Gendern zu beantworten. Wer einen emanzipatorischen Anspruch hat, muss genau überlegen, wer angesprochen wird und was argumentiert werden soll. Einem Text sollte, auch unabhängig von generischem Maskulinum, Binnen-I oder Doppelpunkt, zu entnehmen sein, dass es nicht nur Männer und auch nicht nur Männer und Frauen gibt. Das Gendern kann dafür ein erster Schritt sein, aber damit ist es nicht getan.

Der Wunsch nach Inklusion aller bei gleichzeitiger Nennung mög­licher Unterschiede ist allerdings nicht erfüllbar. Eine allgemeine Bezeichnung ist gerade ­dafür da, alle, die mit ihr gemeint sind, zu umfassen, unabhängig ihrer individuellen Differenzen. In vielen Fällen spielt dabei weder Geschlecht noch Sexualität oder Herkunft eine Rolle. Von »Frauen« zu schreiben, kann politisch sinnvoll sein, um beispielsweise das gesellschaftliche Geschlechterverhältnis zu beschreiben oder um Gewalt gegen Frauen benennen zu können. Dass es auch andere Gewalt gibt, zum Beispiel spezifische gegen transgeschlechtliche Personen, die dabei nicht genannt wird, ist unbestritten. Aber es muss eben auch nicht erwähnt werden, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht.

Wer meint, mit der simplen Verwendung des Wortes »Frau« werde Geschlecht festgeschrieben, nimmt sich die Möglichkeit feministischer Gesellschaftsanalyse, weil die manifeste Geschlechterhierarchie ohne dieses Wort nicht benannt werden kann. Auch alle, die das Männliche als das Allgemeine setzen, also das generische Maskulinum verwenden, können mit ihrem Vokabular und dem dahinterstehenden Denken Gesellschaft nicht angemessen fassen. Denn Sprache transportiert sehr wohl mehr als einen Inhalt, sie kann genutzt werden, um gesellschaftliche Veränderungen anzuerkennen oder eben zu negieren. Wer nur von Ärzten und Krankenschwestern schreibt, zeichnet ein gesellschaftliches Bild aus dem vergangenen Jahrtausend.

Diejenigen, die für Sternchen oder Unterstrich zur Bildung einer generischen Form plädieren, wähnen sich automatisch auf der Seite größtmöglicher Inklusion, doch nicht jede bevorzugt es, als Frau-mit-Sternchen angesprochen zu werden; diese Menschen werden eben somit ausgeschlossen. Zudem wird in Kauf genommen, dass alle, die von der recht szeneinternen Debatte über Zeichen noch nie gehört haben, nicht verstehen, was oder wer damit gemeint ist.

Wer heute von »Menschen« oder »Personen« schreibt, will etwas über alle sagen (auch wenn historisch zu häufig bei dem Wort »Mensch« nur Mann im Sinn war), und nicht über individuelle Eigenheiten. Wenn das Wort Mensch mit Anführungszeichen versehen oder die mögliche sexuelle Identität jeder Gruppe in Abkürzung hinzugesetzt wird, wird der allgemeinen Form jede Kraft genommen und die Bezeichneten werden entmenschlicht. Das Wort »Menschen« braucht keinen Zusatz, denn es bezeichnet alle, und wo dies nicht gilt, muss politisch interveniert werden.

Andererseits muss ein Generikum bewusst gewählt werden. Sätze, die mit »alle Frauen wollen« beginnen, können kaum richtige Aussagen treffen, egal ob sie auf »einmal Prinzessin sein« oder »finanzielle Unabhängigkeit« enden. Wir beobachten, dass die Diskussion über die richtige Form des Textes oft mehr Raum einnimmt als die über darin formulierte Positionen. Die Fraktionen stehen sich noch immer recht unversöhnlich gegenüber: Die eine – meist antifeministische – Fraktion kann nicht mehr, als sich über Neologismen lustig zu machen, die andere – meist queere – echauffiert sich über das generische Maskulinum, als würde damit Gewalt verherrlicht.

Keine dieser Haltungen ist gut für die Diskussion. So banal es klingen mag: Ohne Respekt vor dem Gegenüber geht es nicht. Es liegt einer transformativen Phase inne, dass die Frage nach dem »Wie« viel Raum einnimmt. Unser Hauptanliegen ist der Appell, Sprache ernst zu nehmen und genau zu überlegen, was ausgedrückt werden soll.

Es ist wichtig, keine Geschlechter­diversität zu imaginieren, wo strukturell keine sein kann und Diskriminierung an der Tagesordnung ist; von »Fa­schist:innen« oder »Burschen­schaft­ler:innen« zu schreiben, ergibt keinen Sinn. Ebenso wichtig ist es, nicht trotzig auf einem »So mache ich es schon immer und wurde auch immer verstanden« hocken zu bleiben. Gendern erkennt eben diverse Geschlechts­identitäten an, dennoch beinhaltet ­feministische materialistische Sprach­kritik wesentlich mehr. Was wir vermissen, ist eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Sprache und Herrschaft, mit der Ins­trumen­talisierbarkeit von Menschen in der Sprache und mit deren Aus­wirkungen auf das Denken der Menschen – abseits von Endungen.