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Ausgehend von der Sprachkritik Theodor W. Adornos und Hans Blumenbergs entwickelt Sebastian Tränkle in seinem Buch »Nichtidentität und Unbegrifflichkeit« die Bedingungen und Möglichkeiten materialistischer Kritik.
»Die heute vorwiegende Erscheinungsform der Angst«, so Klaus Heinrich, ist »die der Sinnlosigkeit, Angst in einer Welt sich selbst zerstörender Verkörperungen«. In der »Verkörperung« erscheint das Ganze im Einzelnen und das Wirkliche wird als sinnhafter Zusammenhang erfahrbar. So erweist sich die Figur des Christus im Neuen Testament als sinngebendes Prinzip. Als menschgewordener Gott verkörpert sie den Zusammenhang des welthaften Endlichen mit dem Himmelreich des Absoluten. Dadurch können sich auch die Einzelnen im Ganzen wissen. Doch hat die Religion und also auch Christus schon lange ihre verbindende Kraft verloren. Mit dem Auseinandertreten von Kultur und Religion stellt sich die Frage (und die Philosophie wiederholt sie seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in immer neuen Varianten): Wie ist Sinn zu finden in einer sinnlosen Welt? Welche Verkörperung kann die des Christentums ersetzen?
Bliebe man bei dem Lamento über die moderne Sinnkrise stehen, so säße man dem Schein der verkehrten Gesellschaft auf, die sich hinter dem Rücken der Beteiligten durchsetzt. In Marx’ »Grundrissen« lässt sich etwas über eine gegenwärtige Verkörperung nachlesen: Das unbewusste gesellschaftliche Verhältnis liege im gemünzten Geld vor, in dem »eine bestimmte Beziehung« und die »gesellschaftliche Macht der Individuen aufeinander als verselbständigte Macht über den Individuen«, als »Sache außer ihnen erscheint«. Die universal gültige Verkörperung des Geldes ist aber insofern eine unbefriedigende und misslungene, als in ihr die Gleichheit von allem zwar anschaubar, der im Geld angeschaute Zusammenhang aber aufgrund der immanenten Krisentendenz des Kapitals immer schon in Auflösung begriffen ist. Die Zerstörung der universal gültigen Verkörperung ist der Struktur des Kapitalismus inhärent, und spätestens in der Krise tritt die Angst vor der Sinnlosigkeit stets aufs Neue zutage.
Die Kritik der Sprachontologie und der ontologischen Angstbewältigung entwickelt Tränkle ausführlich an der Blut-und-Boden-Metaphorik von Martin Heidegger.
Wie protestieren die Subjekte nun gegen die Angst vor der Sinnlosigkeit? Daran, dass man sprachlos sein kann vor Angst oder Angst haben kann, wenn man sprachlos ist, zeigt sich, dass die Frage nach der Angst und deren Bewältigung mit der Sprache verknüpft ist. Das Medium der materialistischen Kritik oder des gelingenden Protests kann nur Sprache sein. Das Problem der Kritik ist also auch das der Sprache als gelungener oder misslungener Verkörperung des Protestes gegen die Sinnlosigkeit.
Mit Sebastian Tränkles »Nichtidentität und Unbegrifflichkeit. Philosophische Sprachkritik nach Adorno und Blumenberg« ist jüngst eine Studie erschienen, die sich diesem Problemzusammenhang widmet. Ausgehend von der »systematischen Perspektive«, »Sprachprobleme« als »Indizes von Sachproblemen« zu verstehen, will der Autor anhand der Sprachkritiken von Theodor W. Adorno und Hans Blumenberg ein Verfahren philosophischer Sprach- als Ideologiekritik erarbeiten, das um die Frage nach Sprache als gelingendem Protest kreist. Freilich wird diese Zusammenfassung der umfangreichen Arbeit nicht gerecht. Die für sich schon sehr reichhaltigen Kapitel zur Rekonstruktion der Sprachkritiken Adornos und Blumenbergs bilden auf knapp 500 Seiten das Fundament für einen abschließenden Übergang von philosophischer Sprachkritik zu Ideologiekritik; ein Übergang, der sich übrigens auch reflektiert in Tränkles Lösung von der Metaphorik der Geisteswissenschaftssprache und der Hinwendung zu einer Sprache, in der sich der Kritiker bemerkbar macht.
Ausgangspunkt von Tränkles Bestimmung von Sprach- als Ideologiekritik ist die Erfahrung einer Sinnkrise in der Moderne. Da die Philosophie die Krise des Sinns für gewöhnlich bloß recht oberflächlich konstatiert, soll diese Erfahrung einleitend plastischer bestimmt werden. Tränkles Kritik gilt wesentlich zwei Bewältigungsversuchen, die die Philosophie angesichts der Sinnkrise der Moderne hervorgebracht hat: die Entmythologisierung der Sprache im »Sprachpositivismus« und die Remythologisierung der Sprache in der »Sprachontologie«.
Der Sprachpositivismus ist das Paradigma der analytischen Sprachphilosophie, das durch die »unterschiedslose Destruktion aller pauschal als ‚mythisch‘ prädizierter Formen« dem Sprachzerfall und der Sprachlosigkeit zuarbeitet, indem es Angstbewältigung durch die Verdrängung des Triebgrunds der Sprache zu leisten verspricht: durch die Reduzierung der Sprache auf ein System qualitätsloser Spielmarken mit formelhaft fixierter Bedeutung soll jede Erinnerung an die Frage nach dem Sinn, die die Angst aufs Neue hervortreiben würde, durch zwanghaften Ausschluss des metaphysischen Vokabulars abgeschnitten werden: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen« (Ludwig Wittgenstein).
Der aufklärerische Impuls der nominalistischen Kritik am Begriffsrealismus schlägt so um in den Verrat an der Aufklärung: Bedeutete die Abkehr vom Realismus zunächst eine Emanzipation von der kirchlichen Autorität im Namen der Autonomie des menschlichen Denkens, so mündet der strenge Nominalismus der Moderne in die Absage an die Frage nach dem, was mehr als bloß »der Fall ist« (Wittgenstein). Der Protest des Sprachpositivismus gegen die Angst der Sinnlosigkeit durch den Ausschluss der Frage nach dem Sinn im nicht nur logischen Sinne ist unaufgeklärter Protest, der durch die Wiederkehr des Verdrängten bedroht bleibt.
Dem durch das Sprechverbot bloß verdeckten Fortwesen des Unbewältigten setzt die Sprachontologie als Regressionswunsch die Phantasie einer vermittlungslosen Einheit von Subjekt und Objekt entgegen, die die Angst vor der eigenen Begrenztheit und die Nötigung zur sprachlichen Vermittlung bewältigen soll. Die Sprachontologie wendet sich also der Angst vor der Endlichkeit, Not und Bedürftigkeit zu, bringt sie aber nicht durch Kritik zum Reden, sondern verspricht die Stillung der Angst in der regressiven Phantasie des sprachunbedürftigen Einsseins. Das »ontologische Bedürfnis« (Adorno) regt sich als verstümmelnder Protest.
Die Kritik der Sprachontologie und der ontologischen Angstbewältigung entwickelt Tränkle ausführlich an der Blut-und-Boden-Metaphorik Martin Heideggers, die auf »die Sehnsucht nach einem angstfreien und sinnerfüllten Leben« mit der »Parole der Geborgenheit« (Adorno) antwortet: »Solche Sinnstiftung zielt nicht auf empathische Erfüllung des virulenten Bedürfnisses, sondern auf seine Stillstellung durch Surrogate«, so Tränkle. Deutsche Behaglichkeit und Brutalität sind aber zwei Seiten derselben Medaille, und so kommt die an die »Aura einer stereotypen Heidi-Bergwelt« erinnernde Metaphorik Heideggers in Vernichtung und Selbstvernichtung zu sich. Hinter ihre eigene Endlichkeit, Individualität und also Begrenztheit kommen die Individuen nicht zurück. Dass in einem nationalsozialistischen Volkslied davon die Rede ist, weiter zu marschieren, »wenn alles in Scherben fällt«, und Heidegger von der »ersten Reinigung des Seins von seiner tiefsten Verunstaltung durch die Vormacht des Seienden« phantasierte, zeigt, dass die Sehnsucht nach der vermittlungslosen Einheit, die von der Begrenztheit und Individualität zu befreien verspricht, im antisemitischen Vernichtungswunsch ausagiert wird und schließlich den Tod der Individuen selbst bedeutet.
Sprachkritik als Ideologiekritik fordert laut Tränkle »die Bildung von Sensibilität für die jeweilige Sprachgestalt und für dasjenige, was durch sie zum Ausdruck kommt«. Für die materialistische Kritik hängt alles davon ab, ob es ihr gelingt, misslingenden Protest gegen die unbefriedigenden Verkörperungen in gelingenden zu übersetzen – selbst dort, wo der misslingende Protest das Sprechen selbst preisgegeben hat. Tränkle weiter: »Durch Kritik einer untriftigen Darstellung birgt sie (die Sprachkritik) einen wenn auch ent- oder verstellten Erfahrungsgehalt. Dazu genügt es nicht, die untriftige Darstellung kritisch zu zerlegen. Sie muss in eine triftige Darstellung verwandelt werden.«
Mit einigen Überlegungen zu einer solchen »triftigen Darstellung« schließt Tränkles Buch dann auch. Ein phänomenologisch-deutendes Verfahren der Sprach- als Ideologiekritik ist Aufklärung im emphatischen Sinne sowie Widerstand gegen die universale Gefahr der Selbstzerstörung. Das macht »Nichtidentität und Unbegrifflichkeit« auch jenseits des »Dialogs zwischen Adorno und Blumenberg«, wie der Verlag es nennt, zu einem großen Buch über die Bedingungen und Möglichkeiten materialistischer Kritik.
Sebastian Tränkle: Nichtidentität und Unbegrifflichkeit. Philosophische Sprachkritik nach Adorno und Blumenberg. Vittorio Klostermann, Frankfurt/Main 2022, 682 Seiten, 39 Euro