Emmanuel Macron und Giorgia Meloni streiten über Migrationspolitik

Zoff zwischen Macron und Meloni

In der Migrationspolitik kritisiert der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die italienische Regierung, signalisiert aber zugleich Unwilligkeit, Mittelmeerflüchtlinge aufzunehmen.

Kaum im Amt, schon in eine diplomatische Krise verwickelt: Die neue italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat den bei der Seenotrettung im Mittelmeer für Geflüchtete aktiven NGOs den Kampf angesagt und angekündigt, ihnen den Zugang zu italienischen Häfen weitgehend zu verwehren. Das wirtschaftsliberale französische Staatsoberhaupt Emmanuel Macron versucht hingegen, seine Regierung im In- wie im europäischen Ausland als weltoffene Alternative zu den Rechtsextremen darzustellen, und übte Kritik an diesem Verhalten. Gleichzeitig wollte er es mit Meloni von Anfang an aber auch nicht zum politischen Bruch kommen lassen; vielmehr war Macron noch am Abend ihrer Amtseinführung am 23. Oktober der erste ausländische Staatsgast, der in Rom mit ihr zusammentraf. Wegen einer Ukraine-Konferenz hielt er sich ohnehin in der Stadt auf.

Einige Tage später übte Macrons Regierung dann Kritik an Meloni, als das Rettungsschiff »Ocean Viking« mit 234 geretteten Geflüchteten an Bord tagelang auf dem Mittelmeer herumirrte, weil ihm die Einfahrt in italienische Häfen verweigert wurde. Frankreichs ­Innenminister Gérald Darmanin bezeichnete Italiens Haltung als »verantwortungslos«. Italien verwies darauf, dass bis dato andere EU-Staaten – vor allem Frankreich und Deutschland – zwar Zusagen zur Übernahme von insgesamt 8 000 in Italien angelandeten Migranten abgegeben, doch nur 117 tatsächlich aufgenommen hätten.

Tagelang irrte das Rettungsschiff »Ocean Viking« mit 234 geretteten Geflüchteten an Bord auf dem Mittelmeer herum, weil ihm die Einfahrt in italienische Häfen verweigert wurde.

Nachdem die von Autonomisten geführte korsische Regionalregierung in Ajaccio erklärt hatte, das Schiff dürfe in Korsika einlaufen, gab die Pariser Zentralregierung ihre ursprüngliche Ablehnung einer Landung der »Ocean Viking« in Frankreich auf. Am 11. November durfte das Rettungsschiff einen Hafen anlaufen. Aber nicht Marseille, dessen von einer Koalition aus Grünen und Sozialdemokraten getragene Stadtregierung ihr Einverständnis erklärt hatte, sondern im streng überwachten Militärhafen von Toulon. Die Anlandung erfolgte unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch wenn in einiger Entfernung Anhänger der rechtsextremen Partei von Éric Zemmour, Reconquête, gegen »die Invasion« demons­trierten. Die bei den Wählern erfolgreichere rechtsextreme Konkurrenzpartei Rassemblement national forderte via Presseerklärungen, Tweets und Talkshows, Schiff und Insassen in einen ­libyschen Hafen zurückzubringen.

Seit der Landung in Toulon bemühte sich die französische Regierung, Härte zu signalisieren. Allen 234 Passagieren wurde die Einreise nach Frankreich ausdrücklich untersagt. Stattdessen wurde eine »temporäre internationale Wartezone« auf der zur Stadt Hyères gehörenden Halbinsel Giens eingerichtet. Einer juristischen Fiktion gehorchend, gilt diese vorübergehend als nicht zum französischen Staatsgebiet gehörig, sondern als extraterritorial – eine Praxis, die die französischen Behörden bereits 2001 vergeblich zu etablieren versucht hatten. Dort können drei Wochen lang in einem Schnellverfahren Asylanträge darauf geprüft werden, ob sie »offensichtlich unbegründet« seien oder aber zum Betreten französischen Staatsgebiets berechtigten, damit dort in einem späteren regulären Verfahren die Asylberechtigung festgestellt oder verworfen werden kann.

NGO- und Presseberichten zufolge fehlte es dazu allerdings an Ort und Stelle an den allernötigsten Voraussetzungen. Die eigens von der französischen Asylprüfungsbehörde Ofpra entsandte Delegation führte die Gespräche in Zelten, in denen die notwendige Vertraulichkeit nicht gewährleistet war, da sie für Blicke offen und nicht schalldicht waren. Weil es an Übersetzungspersonal fehlte, wurden Lands­leute von Geflüchteten innerhalb des Lagers, aber auch eine Arabisch sprechende Putzfrau der Polizei für das Dolmetschen herangezogen.

Nach kurzer Zeit verlautbarte die französische Regierung, bereits 44 Schiffspassagieren sei die Einreise nach Frankreich nach Prüfung ihres Asylgrunds in einem Schnellverfahren verweigert worden; diese würden um­gehend zur Ausreise verpflichtet. Dadurch wollte sie die Kampagne der Rechtsextremen wegen »Komplizenschaft bei einer Invasion« entkräften. Hingegen wurde 66 der Betroffenen beschieden, sie dürften ins reguläre Verfahren zur Prüfung ihrer Asylgründe und würden dazu offiziell in Frankreich aufgenommen.

Doch wegen zahlreicher handwerklicher Fehler scheiterten die Behörden alsbald auf ganzer Linie. Die Justiz hätte innerhalb von 48 Stunden überprüfen müssen, ob die Festsetzung in dem Wartelager rechtmäßig sei, da eine längere Freiheitsentziehung ohne richterliche Genehmigung verboten ist. An einem halben Tag sollte ein örtliches Gericht so über 123 Anträge der Verwaltung auf Fortdauer der Freiheitsbeschränkungen entscheiden. Das Gericht erklärte sich dazu außerstande, zumal viele der Akten fehlerhaft waren und beispielsweise den Aufenthaltsort gar nicht erwähnten.

Nahezu alle der 189 erwachsenen Insassen der »Ocean Viking« wurden daraufhin am Freitag voriger Woche auf einen Schlag durch einen Gerichtsentscheid aus dem Wartelager entlassen. Sie können sich nun zunächst auf französischem Boden niederlassen und ihre Asylgründe in den kommenden Monaten prüfen lassen. 44 unbegleitete Minderjährige waren bereits zuvor von der Gruppe getrennt und in offenen Jugendheimen untergebracht worden; Freiheitsentzug wäre in ihren Fällen nicht möglich gewesen. 26 von ihnen, überwiegend Eritreer, waren binnen kurzer Zeit verschwunden. Es wurde ­allerdings schnell bekannt, dass sie über Familienangehörige in Schweden, Norwegen und Deutschland verfügten, zu denen sie mutmaßlich unterwegs seien.

Daraufhin brach die rechte Medienkampagne allerdings erst recht los. Die Regierung habe endgültig ihren völligen »Kontrollverlust« eingeräumt, kritisierte nicht nur die Marine Le Pen, Frontfrau des rechtsextremen RN. Der konservative Spitzenpolitiker Éric Ciotti – Anwärter auf die Parteiführung bei der Wahl zum Vorsitzenden von Les Républicains Anfang Dezember – sagte am Montagabend: »Frau Meloni war mutig, Herr Macron war feige und machtlos.«