Gendern dient allzu oft lediglich zum »virtue signalling«

Korrekte Zeichensetzung

Noch nie war es so einfach, Feminist zu sein. Das Gendern dient vielen Benutzern vor allem als »virtue signalling«, mit feministischen Inhalten hat es meist wenig zu tun.

Was haben Jan Böhmermann, Sascha Lobo, Klaas Heufer-Umlauf, Cem Özdemir, Dirk von Lowtzow und Klaus Theweleit gemein? Sie alle sind auf ihre positive wie negative Weise Alphatierchen, sie sind irgendwie links – und sie alle sind Fans von gendergerechter Sprache. Was für ein Erfolg, könnte man meinen, ein Sieg der sensiblen Männer, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen. Doch es sind Zweifel angebracht, wenn sich wie derzeit auch immer mehr (heterosexuelle) Männer ­geradezu herzzerreißend für das Gendern einsetzen.

Zweifel deswegen, weil das ostentative Sich-dafür-Aussprechen dieser und vieler anderer nicht so bekannter linker Männer für Doppelpunkte und Asteriske immer auch etwas anderes ist, nämlich virtue signalling. Das muss man im Zweifel gar nicht allzu vorwurfsvoll vorbringen, sondern kann nüchtern analysieren, dass das Gros des politischen Protests heute eben nach diesem kulturindustriellen Muster abläuft: Es gibt keine »Positionierung«, die nicht zugleich auch das Politische durch Instrumentalisierung entwertet, es in eine konformistische Weisung verwandelt, mit der sich nebenbei einiges an symbolischem Kapital anhäufen lässt. Noch nie war es so einfach wie jetzt, Feminist zu sein.

Die Debatte über das Gendern ist ein Vehikel allerlei autoritärer Wünsche, einen letztlich willkürlichen und austauschbaren Status quo festzuschreiben.

Außer für diejenigen natürlich, die tatsächlich feministische Positionen vertreten und sich dabei nicht allein bei Sprachregelungen aufhalten oder sich sogar gar nicht dafür interessieren: Die Glorifizierung der Prostitution und des Kopftuchs sind unter Linken immer noch omnipräsent, Queerfeministen bekämpfen derweil vor allem ältere Lesben, weil diese ihnen nicht inklusiv genug erscheinen. Eine Debatte über diese Themen ist ohne Shitstorm so gut wie gar nicht möglich. Gleichzeitig wird in den USA das Recht auf Abtreibung eingeschränkt.

Nun muss man diese Themen nicht gegen die Diskussion über das Gendern ausspielen, auffällig ist aber doch, dass die Leute, die »Sexwork« super finden und bei der islamischen Verhüllung sensibel sein wollen, sich damit nicht nur völlig offensichtlich von sämtlicher Kritik am Patriarchat und dem Geschlechterverhältnis verabschiedet haben, sondern auch, dass genau diese Leute ebenfalls in der Regel absolute Verfechter der gendergerechten Sprache sind. Die Frage nach gleichen Rechten, nach einem Ende der geschlechtsspezifischen Gewalt und Ausbeutung wurde von der Frage nach »Sichtbarkeit« und »Repräsentation«, in diesem Falle in der Sprache, einfach abgelöst – beide Herangehensweisen scheinen sich sogar auszuschließen oder noch schlimmer, man erliegt der naiven Idee, man müsse nur sprachlich alles geraderücken, der Rest komme dann von ganz allein.

So weit geht es dann aber doch nicht mit der Sichtbarkeit: Die Metapher der »Unsichtbarmachung« oder gar »Auslöschung«, die oft von allen möglichen Seiten in der Debatte über das Gendern benutzt wird, ist Unsinn – und doch kennt eigentlich jede und jeder Texte, Artikel, Essays, in denen es allein um Frauen geht und dennoch ein Genderzeichen benutzt wird, das eben nicht nur »nichtbinäre« Personen einschließen soll, sondern auch ganz explizit Männer durch die Hintertür wieder sprachlich mit einschließt. In Texten über Schwangerschaft und Menstruation, sexuelle Gewalt und Frauenhäuser oder über die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten geht es aber einzig und allein um Frauen – dass auch in solchen Texten, mittlerweile auch in auflagenstarken Zeitungen, gegendert wird, zeigt an, wie stark der Druck ist, der neuen Sprachregelung gerecht zu werden, selbst wenn sie überhaupt keinen Sinn ergibt.

Das ist ein Konformitätsdruck, der die politischen Gründe, die mal mit dem Vorstoß zum Gendern einhergingen, komplett gekillt hat. Heute gendert man nicht, weil man sprachlich inklusiv sein will – zumindest ist das bei vielen, auch Linken, nicht das Erste, was ihnen als Grund einfällt. Stattdessen wird vorgebracht, dass es eben alle so machen. Dass auch die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen »Tagesschau« und »Heute« auf ihren Social Media-Kanälen, aber auch im Fernsehen gendern, gilt manchen sogar als Argument, nicht dahinter ­zurückzufallen. Doch wenn selbst die wichtigsten Sendungen im deutschen Fernsehen gendern, ist das nicht vielleicht ein Anzeichen dafür, dass man es wieder überdenken sollte? Eine popaffine und ein wenig Staatskritik übende Linke könnte sich angesichts der Tatsache, dass selbst Behörden die Sonderzeichen benutzen, zumindest einmal leise fragen, wie emanzipatorisch das alles eigentlich noch ist.

Aber einigen scheint es geradezu zu gefallen, dass die geschlechtergerechte Sprache mittlerweile zu einem bürokratischen Akt geworden ist, einem Verwaltungsakt, den man einfach abhaken kann. Denn dadurch treten auch diejenigen besser zutage, die aus welchen Gründen auch immer keine Genderzeichen benutzen, von denen man dann auch automatisch zu wissen scheint, was von ihnen zu halten ist. Die Debatte über das Gendern ist eben (vielleicht ohne es zu wollen) auch das: ein Vehikel allerlei autoritärer Wünsche, einen letztlich willkürlichen und austauschbaren Status quo festzuschreiben.

Deswegen gibt es auch die ganzen nervigen Diskussionen über alle möglichen Zeichen, vom Binnen-I über den Unterstrich bis hin zum Asterisk und dem Doppelpunkt – eigentlich kann man es in diesem Spießrutenlauf gar nicht richtig machen, es wird einem absichtlich erschwert, und wenn man es dennoch versucht, kann einem auch das noch angekreidet werden.

Bestes Beispiel: Lann Hornscheidt, damals an der Humboldt-Universität in Berlin beschäftigt, schlug vor ein paar Jahren als geschlechtsneutrale Endung ein X vor, beispielsweise »Professx«, nahm aber nach Kritik wieder Abstand davon. Der Vorwurf: Die Benutzung des X erinnere manche an Malcolm X, der Vorschlag sei deswegen eine Vereinnahmung antirassistischer Kämpfe. Dass solches assoziatives Kleinklein tatsächlich ernst genommen wird, anstatt zu begreifen, dass es dabei um szeneinterne Abgrenzungskämpfe geht, ist absurd, ja geradezu verrückt. Aber man kann Wetten darauf abschließen, dass es in den nächsten fünf Jahren wieder ein neues Sonderzeichen geben wird, und dass diejenigen, die dann doch noch das Gendersternchen benutzen, die geballte Wut einiger Szeneautoritäten zu spüren bekommen werden.

Klar, es gibt diese besonders ekligen konservativen und reaktionären Männer (und Frauen), die sich über »Gender-Gaga« beschweren und sich darüber auslassen, wie hässlich die Sonderzeichen seien. Aber wer meint, das Gendern nicht diskutieren, über seine Sinnhaftigkeit nicht streiten zu müssen, weil die Rechten es nicht mögen, sondern es am Ende einzig benutzt, um Witzfiguren wie Harald Martenstein oder Beatrix von Storch zu ärgern, betätigt sich damit selbst nur noch als Pausenclown und verpasst es, eine ernsthafte feministische Debatte zu führen.

Dabei gäbe es einiges zu besprechen: Das Gendern ist heute ein Geschenk für Männer, die es für ihre Selbstinszenierung gut gebrauchen können, es ist nicht per se feministisch – selbst den frauenfeindlichsten Text kann man mit allerlei Sternchen versehen. Es ist ein Mittel bei Linken, um andere runterzumachen, indem man sich schlicht auf Formfragen konzentriert, ohne auch nur ein einziges Argument zu benutzen. Es wird immer öfter auch so benutzt, dass historische oder politische Tatsachen verzerrt werden (beispielsweise eine Inklusivität vorgegaukelt wird, die ja eben gerade in der Vergangenheit nicht bestand; auch lässt sich an das ZDF denken, dass 2021 in einem Beitrag in Bezug auf die Taliban von »Isla­mist*innen« schrieb). Und es hat feministische Praxis in einen bürokratischen Akt verwandelt, der irre Blüten trägt. In einem Beitrag für die Website der Zeitschrift Texte zur Kunst veröffentlichte Micha Brumlik 2020 einen ohnehin fragwürdigen Artikel, in dem er allen Ernstes vom »Jüd*innenmord« schrieb. Wenn das Gendern dazu da sein soll, dass man nicht nur an Männer denkt, sondern alle in sein Sprechen und Denken mit einschließt, stellt sich in diesem Fall die Frage: Welcher verkommene Mensch denkt bei dem feststehenden Begriff »Judenmord« allein an männliche Opfer? Die Antwort ist: ­niemand. Aber Hauptsache, Männer wie Brumlik haben alles richtig gemacht.

 

Die Diskussion über das Gendern ebbt nicht ab. Oliver Schott argumentierte, Genderzeichen ­erzeugten sprachliche Probleme und änderten nichts an der androzentrischen Struktur des Deutschen. Der Antifaschistische Frauenblock Leipzig schrieb, dass Sprache gesellschaftliche Veränderungen abbilden muss, aber kein Instrument im Kampf darum ist. Jörn Schulz sieht im Gendern den sprachlichen Ausdruck durch den Feminismus tatsächlich erreichter gesellschaftlicher Fortschritte.