Homestory

Homestory #50

Homestory Von Jungle World

<p>»Wir brauchen den Mix«, sagte der damalige Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) dem Spiegel einen Tag vor dem ersten bundesweiten Warntag Anfang September 202</p>

»Wir brauchen den Mix«, sagte der damalige Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) dem Spiegel einen Tag vor dem ersten bundesweiten Warntag Anfang September 2020. Obwohl er dabei ein wenig klang wie ein Sprecher der Deutschen Barkeeper-Union, sollte er mit seiner Einschätzung recht behalten. Denn an diesem Tag ging es gehörig schief: Viele der Sirenen, die pünktlich um elf Uhr aufheulen sollten, blieben still; Warn-Apps wie »Nina« und »Katwarn« schlugen jeweils nur mit Verspätung Alarm; ein großer Teil der Bevölkerung bekam von der Besonderheit dieses Tags überhaupt nichts mit. Um die Fehler zu beheben, sollten nicht nur etwa alte Sirenen repariert und neue gebaut werden – auch die bestehende »Mischung« der verschiedenen Warnsysteme, darunter Radio, Fernsehen und digitale Anzeigetafeln, sollte um die neue Zutat »Cell Broadcast« erweitert werden. Dieses Verfahren, das bereits in anderen Staaten wie den Niederlanden verwendet wird, erlaubt es den politisch Verantwortlichen, bei einer Katastrophenlage eine Warnnachricht auf direktem Wege an alle Mobiltelefone zu versenden, die das Signal von Mobilfunksendern in den entsprechenden Funkzellen empfangen. Vorausgesetzt, das Gerät ist nicht zu alt, hat aktuelle Updates installiert und befindet sich nicht im Flugmodus.

Zum diesjährigen Warntag am Donnerstag voriger Woche wurde dieses Verfahren erstmals in der Bundesrepublik erprobt. Der derzeitige Präsident des BBK, Ralph Tiesler, vermeldete den Tag als »Erfolg«; eine detailliertere Auswertung soll Anfang des kommenden Jahres erscheinen. Das hielt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht davon ab, die Deutschen bereits auf einen jährlich zu begehenden »Bevölkerungsschutztag« einzustimmen. Dabei konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die kommenden Katastrophen bereits gebändigt seien, wenn nur ausreichend viele Warnsysteme funktionierten. Auf Nachfrage fielen die Reaktionen in der Redaktion Ihrer Lieblingszeitung entsprechend verhalten aus. Während die in der Provinz arbeitende Kollegin zwar ein Sirenchen hörte, ihr Smartphone aber keinen Alarm von sich gab, rannte die Kollegin aus der Geschäftsführung hektisch und genervt durch die seit Beginn der Covid-19-Pandemie immer noch halb verwaisten heiligen Hallen, weil gleichzeitig mehrere Telefone vor sich hinklingelten und -brummten. Andere hatten entweder gar nichts von dem Warntag mitbekommen, erschraken trotz Vorwarnung, weil die Nachricht bereits eine Minute vor elf Uhr eintraf oder waren enttäuscht, weil sie das »allgemeine Gepiepse« aufzeichnen wollten, aber den für den Alarm gestellten Alarm verpassten.

Hat die missmutige Stimmung vielleicht auch damit zu tun, dass die in Präsenz arbeitenden Redakteurinnen und Redakteure schon lange durch das tägliche Glockengeläut der in direkter Nachbarschaft befindlichen Passionskirche malträtiert wurden? Falls Sie nun, liebe Leserin und lieber Leser, Mitgefühl empfinden und etwas für den Katastrophenschutz Ihrer armen Redakteurinnen und Redakteure tun wollen, können Sie entweder dem Bundesamt ein neues und nervenschonenderes Warnsystem vorschlagen, oder, noch besser, zu Weihnachten ein »Rettungsring-Abo« der Jungle World verschenken, damit die Redaktion endlich bezahlbare Arbeitsräume findet und nicht mehr dem gottgefälligen Gebimmel ausgesetzt ist.