Der russische Fernsehsender Doschd darf nicht mehr aus dem lettischen Exil senden

Gesperrt im Exil

Kommentar Von Anastasia Tikhomirova

Dem oppositionellen russischen Exilsender Doschd wurde in Lettland die Lizenz entzogen. Das Programm bot der russischsprachigen Minderheit eine unabhängige Alternative zur Staatspropaganda Russlands.

Lettland hat Anfang Dezember die Ausstrahlung des oppositionellen russischen Fernsehsenders Doschd beendet, mittlerweile folgten auch Estland und Litauen. Die Redaktion sendete aufgrund ihrer regierungskritischen Berichterstattung seit Juni aus dem Exil in der lettischen Hauptstadt Riga. Grund für den Entzug der Sendelizenz war der Moderator Aleksej Korosteljow, der während einer Live-Sendung sagte: »Wir hoffen, dass wir auch vielen Soldaten helfen konnten, zum Beispiel mit Ausrüstung und einer einfachen Grundausstattung an der Front.« Die Aussage sorgte für Empörung, da sie als Unterstützung der russischen Armee interpretiert wurde.

Sowohl Korosteljow als auch Chefredakteur Tichon Dsjadko entschuldigten sich schnell. Dsjadko bezeichnete Korosteljows Kommentar als »fehlerhaft und inakzeptabel«, bekräftigte, dass Doschd den Krieg gegen die Ukraine nicht unterstütze, auch nichts an die russischen Truppen liefere – und entließ Korosteljow. Dieser Schritt führte wiederum zu Empörung unter russischen Exiljournalist:in­nen, die Doschd-Moderator:innen Margarita Ljutowa und Wladimir Romenskij gaben jeweils ihre Kündigung bekannt, genauso wie Korosteljows Lebensgefährtin Darina Lukutina. Sie schrieb auf Facebook: »Ich verstehe nicht, wie ein Angestellter geopfert werden kann, um einem Staat zu gefallen, noch bevor dieser Staat ein solches Opfer verlangt hat.«

Der Leiter des Nationalen Rats für elektronische Medien Lettlands (NEPLP), Ivars Āboliņš, begründete den raschen Lizenzentzug mit »einer Bedrohung der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung Lettlands« und dem Verdacht auf »Unterstützung eines terroristischen Staats«. Verteidigungsminister Artis Pabriks ging einen Schritt weiter und forderte in sozialen Medien die Annullierung sämtlicher Visa der Doschd-Journalist:innen, da man »mit der Geduld am Ende« sei. Außenminister Edgars Rinkēvičs sagte in einem Interview mit der Lokalzeitung Neatkarīgā Rīta Avīze: »Wenn jemand sagt, man helfe den Mobilisierten moralisch, dann ist auch das eine Unterstützung des Kriegs.« Es gebe eine Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Kriegsunterstützung.

Es war nicht der erste Verstoß gegen lettische Mediengesetze, der Doschd angelastet wird. Der Sender musste bereits eine Strafe von 10 000 Euro zahlen, weil er die russische Armee als »unsere« bezeichnet hatte, trotz Dsjadkos Einwand, dass es nicht falsch sei, als Russe von »unserer Armee« zu sprechen und über deren Kriegsverbrechen zu berichten. Doschd zeigte außerdem in einer Sendung eine Karte der Russischen Föderation einschließlich der annektierten ukrainischen Halbinsel Krim und soll bereits wegen fehlender lettischer Untertitel verwarnt worden sein. In der lettischen Gesellschaft kam es nicht gut an, dass der Sender die Entfernung von Sowjetdenkmälern im Land kritisierte. Seine Journalist:innen werden auf Twitter aufgefordert, zurück nach Russland zu gehen.

Bei einer Rückkehr droht ihnen allerdings Haft. Lettlands Lizenzentzug spielt auch der russischen Regierung in die Hände, die seit Jahren versucht, unabhängige Medien zu zerstören. Anton Krasowskij, ein Moderator des russischen Propagandasenders RT, schrieb bereits auf seinem Telegram-Kanal an die Doschd-Redaktion: »Unsere Liebsten, wir warten zu Hause auf euch.«

Die lettische Regierung ließ oppositionelle Medien wie das Internet­portal Meduza und die Zeitung Nowaja Gaseta, die von Russland als »ausländische Agenten« bezeichnet werden, für die große russischsprachige Minderheit berichten, die bereits seit Sowjetzeiten in Lettland lebt. Russisches Staatsfernsehen wurde hier schon vor Kriegsbeginn abgeschaltet, was zu Spannungen zwischen der russischsprachigen Minderheit und der lettischen Mehrheit im Land führte. Für Meduza und Nowaja Gaseta, die sich vorsichtig solidarisch mit Doschd zeigten, ist der Lizenzentzug alarmierend. Die Doschd-Redaktion berichtete wahrheitsgetreu über russische Kriegsverbrechen, aber auch über die Lage der Bevölkerung Russlands. Doschd ist zu einem Leitmedium der russischen Antikriegsbewegung geworden. Nun sieht es so aus, als müsste die Redaktion Lettland verlassen, noch ist ungewiss wohin. Der Sender unterhält Zweigstellen in Georgien und den Niederlanden. Zunächst soll auf Youtube für die drei Millionen Abonnent:innen weitergesendet werden. Der Lizenzentzug könnte das erschweren und zu einem Einbruch der für den Sender nötigen Spenden führen.

Die Entscheidung der lettischen Regierung ist überzogen und nimmt Dutzende Journalist:innen in Mithaftung, die seit Jahren für ihre Arbeit ihr Leben riskieren. Korosteljows Aussage als reinen Versprecher abzutun, wird der Sache aber auch nicht gerecht. Obwohl klar dargelegt wurde, dass Doschd nicht das russische Militär unterstützt, sondern auf die katastrophale Lage der Soldaten hinweist, kann die Äußerung als Aufforderung an Russland verstanden werden, den Truppen in der Ukraine bessere Bedingungen zu bieten. Gewiss ist der russische Exiljournalismus nicht frei von Fehlern oder kritikwürdigen Aussagen und sollte sich einer bisher weitgehend fehlenden Selbstkritik unterziehen. Doch die notwendige Debatte darüber, wie sich Russ:innen im Exil verhalten sollten, ob journalistische Standards der Meinungspluralität in Bezug auf den Krieg zum gegenwärtigen Zeitpunkt gelten können, wie ein demokratisches Russland ohne Wladimir Putin aussehen könnte oder wie man journalistisch mit dem imperialistischen Erbe und der Gegenwart Russlands umgehen soll, wurde durch Lettlands Entscheidung erschwert.