Ein Bildband zeigt die komische Seite des Konzeptkünstlers Christian Boltanski

Der komische Strang

Der Bildband »Christian Boltanski – Tode zum Lachen« zeigt die clowneske Seite des französischen Konzeptkünstlers, der sich dabei von Karl Valentin inspirieren ließ.

Christian Boltanski legte gern falsche Fährten. Der im vorvergangenen Jahr kurz vor seinem 77. Geburtstag verstorbene französische Künstler arbeitete mit fiktionalen Erzählungen zu Tod und Verschwinden. Seine großen Installationen hat er so auratisch inszeniert, dass sie zusehends als Memorialräume funktionierten. Nicht zuletzt seiner jüdischen Herkunft wegen wurden sie mit der Erinnerung an die Shoah verwoben.

Das ist nicht falsch, doch Boltanski wollte nie explizit die Shoah thematisieren. »Meine Arbeit behandelt nicht das Thema Holocaust – das wäre ­geschmacklos. Meine Arbeit ist post-Holocaust.« So äußerte er sich 1990 in einem Interview mit der Journalistin Doris von Drathen. Auch der Kunstwissenschaftler Michael Glasmeier betont, dass die »interpreta­torische Reduzierung« dem »von Selbstzweifel und Melancholie geplagten Künstler nicht behagte«. Boltanski erklärte diese Sicht auf sein Werk so: »In Deutschland mag meine Arbeit bestimmte Assoziationen auslösen, grundsätzlich ist sie aber tatsächlich nur an den Tod gebunden.«

Die Vorstellung vom Ende des Lebens ist seinem Werk eingeschrieben, ist aber nicht immer mit dem gleichen Pathos und der Trauer verbunden. In einer kurzen Phase von nur wenigen Monaten hat Boltanski das Thema Tod sogar mit derbem Humor, Ironie und Sarkasmus behandelt.

Seine Installationen aus Kleiderhaufen und Keksdosen wurden zum Markenzeichen seiner Kunst, die auf vielen internationalen Ausstellungen gezeigt wurde. Die von ihm arrangierten blechernen Biskuitschachteln wurden jeweils mit einem Schwarzweiß-Porträt einer unbekannten Person versehen und von einem kleinen elektrischen Licht illuminiert. Übereinander und nebeneinander, mal zu Gängen, mal zu rechteckigen Räumen angeordnet, lassen die Kisten an Totenschreine denken und wecken unweigerlich Assoziationen zu den in der Shoah ausgelöschten Leben.

Bei der Nutzung zufällig in Archiven gefundener Personenporträts ging es immer ganz allgemein um den Tod, denn die Fotografie erfasse einen Moment des Lebens und sei zugleich sein Tod. »Ich versuche, eine primäre Emotion herzustellen … So wie man im Kino weint«, umschrieb Boltanski seine künstlerische Inten­tion. Der Kunsthistoriker Günter Metken meinte einmal, dass Boltanskis Kunst irgendwann als »Reliquienkult« gesehen werden könnte. Grundsätzlich bedeutete die Objektwerdung von Subjekten, also auch die Bildwerdung eines Menschen mittels Fotografie, für Boltanski immer die Vollendung des Todes.

In der Ausstellung mit dem Titel »Bewegt« im Kunstmuseum Wolfsburg 2013 befasste sich Boltanski mit dem absehbaren Ende seines eigenen Lebens. Zu Aufnahmen seiner Herztöne zeigte er Porträts von sich aus sechs Jahrzehnten. Eine über fünf Meter lange digitale Uhr zählte die ihm verbleibende Lebenszeit und sollte im Augenblick seines Todes anhalten.

Die Vorstellung vom Ende des Lebens ist seinem Werk eingeschrieben, ist aber nicht immer mit dem gleichen Pathos und der Trauer verbunden. In einer kurzen Phase von nur wenigen Monaten hat Boltanski das Thema Tod sogar mit derbem Humor, Ironie und Sarkasmus behandelt. Diese Werkphase zeigt der von Sabine Rinberger, der Direktorin des Valentin-Karlstadt-Musäums, herausgegebene Bildband »Tode zum Lachen«. Das Buch enthält Arbeiten, die Boltanski dem Haus 1993 vermachte. Die Schenkung erfolgte nach einer Ausstellung, die Michael Glasmeier in Zusammenarbeit mit dem Künstler im »Musäum« organisiert hatte, und umfasst Gemälde, Pastellkreidezeichnungen, Fotografien und Filme sowie Texte vorwiegend aus den frühen siebziger Jahren.

Es war der bereits erwähnte Kunsthistoriker Günter Metken, der Boltanski in Paris auf eine Retrospektive mit Filmen von und zu Karl Valentin ins dortige Goethe-Institut mitnahm. Die Komik Valentins und Liesl Karl­stadts machte großen und nach­haltigen Eindruck auf Boltanski. »Die Folge war, dass ich meinen eigenen Stil zerstören wollte, indem ich mir sagte: Ich bin nicht der, den ihr zu kennen glaubt, die Geschichten, die ihr für wahr haltet, sind falsch«, sagte Boltanski später.

In den 1974/1975 entstandenen ­Arbeiten eignet er sich die Figur des Clowns an, zum Beispiel in der Serie »Zwei Fotografien aus Tode zum Lachen«, die von Boltanskis Ehefrau, der Künstlerin Annette Messager, aufgenommen wurden. Auf je zwei Fotografien stellt er in tölpelhafter Manier Suizidversuche nach, die allesamt scheitern. Boltanski mit Stein um den Hals, bereit, sich zum Ertrinken ins Wasser zu stürzen. Die zweite Aufnahme zeigt ihn lachend mit den Füßen in einer kleinen Schüssel stehend und das Imitat eines Steins in der Hand haltend. Clownesque Szenen, einfachste Bildscherze, kindlich albern und ausgelassen, aber zu dem ernsten Thema Suizid, der hier freilich nie gelingen will und soll. Mit der Stoffpuppe »Petit Christian« stellt er in erfundenen Szenen seine Kindheit nach.

Viele bisher kaum bekannte Details aus der Kindheit Boltanskis erzählt die Herausgeberin in einem sehr informativen Text. Der Jugendfreund von Boltanskis Vater Étienne war kein Geringerer als der Surrealist André Breton, der dem jungen Christian Boltanski wohl mit ironischem Unterton empfahl: »Sie machen einen sehr netten Eindruck. Werden Sie nicht Künstler. Die sind alle böse. Das ist ein übles Milieu.« Boltanski wuchs mit zwei älteren Brüdern auf, einer ist der berühmte Soziologe Luc Boltanski.

Der Vater, dessen jüdische Großmutter aus der Ukraine stammte, musste die letzten zwei Jahre der deutschen Besatzung in einem Versteck in einem Zwischenstockwerk des Pariser Wohnhauses verbringen, was das gesamte Familienleben prägen sollte. Um vor der Nachbarschaft und den Behörden glaubhaft zu machen, dass der Étienne verschwunden sei, hatte das Ehepaar zuvor lauthals einen Ehestreit inszeniert und sogar die Scheidung beantragt. Christian Boltanski kam am 6. September 1944 kurz nach der Befreiung von der deutschen Besatzung auf die Welt, einer seiner Vornamen ist Liberté.

Der junge Christian verließ kaum das Haus und brach die Schule mit 13 Jahren ab. Die Angst vor Verlusten führte zu einer überstarken Familienbindung und ließ sie alle längere Zeit in einem Raum nächtigen, gruppiert um die kranke Mutter.

Umso erstaunlicher, dass Boltanski seine Kindheit in Szenen als Grimassenschneider darstellt und dabei diverse Rollen aus dem Repertoire der bürgerlichen Familie übernimmt, sie aber immer überzeichnet. Dieser ­komische Strang seines Werks ist über der bedeutsamen und manchmal auch mit zu viel Pathos aufgeladenen Memorialkunst in Vergessenheit geraten. Es ist verdienstvoll, dass nun auch die alberne, humoristische Seite Boltanski gewürdigt wird.

Sabine Rinberger (Hg.): Christian Boltanski – Tode zum Lachen. Die Schenkung Valentin-Karlstadt-Musäum, Verlag Antje Kunstmann, München 2022, 159 Seiten, 25 Euro