Die Angst vor Jugendlichen in Kriebethal

Hasskinder

Der nahe Osten – eine Kolumne über die sächsischen Verhältnisse Von Thorsten Mense

In dem mittelsächsischen Dorf Kriebethal wird gegen die Unterbringung von zwölf minderjährigen Geflüchteten Stimmung gemacht. Die Bürgermeisterin distanziert sich zwar von rechten Protesten, die Ängste der Bürger:innen nimmt sie allerdings »sehr ernst«.

»Die Menschen haben Angst vor Vandalismus, vor Diebstahl, vor sexuellen Übergriffen«, erklärte Maria Euchler (Freie Wähler), die Bürgermeisterin von Kriebethal, gegenüber dem MDR vergangene Woche. Schlimmes scheint dem kleinen Dorf in Sachsen bevorzustehen, wenn so die Angst umgeht, für die die Bürgermeisterin in ihrer Stellungnahme Verständnis zeigte. Worum geht es? In dem Dorf mit 670 Einwohner:innen wird gerade ein altes Pflegeheim des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) saniert, in dem ab dieser Woche zwölf minderjährige Geflüchtete, vermutlich aus Syrien und Afghanistan, im Alter von zehn bis 17 Jahren untergebracht werden sollen. Es werden schutzsuchende Kinder und Jugendliche sein, die unbegleitet nach Deutschland eingereist sind. Das DRK-Heim soll als sogenannte Inobhutnahmestelle dienen. Das bedeutet, dass die Minderjährigen dort nur ein paar Wochen bleiben werden, bis ein Vormund für sie bestellt ist und langfristige Unterbringungsmöglichkeiten gefunden wurden.

Bürgermeisterin Euchler, die natürlich nicht in die rechte Ecke gestellt werden möchte, sorgt sich allerdings vor möglichen »Übergriffen und Messerstechereien«, wie sie auch der Zeit erzählte. Und so kann sie verstehen, dass sich Widerstand regt: »Das Problem ist doch, dass es für viele Menschen nicht mehr nachvollziehbar ist, wenn so eine Vielzahl an Fremden bei uns aufgenommen wird.« Zwölf Kinder und Jugendliche sind also in Sachsen bereits eine »Vielzahl an Fremden«, wahrscheinlich sogar schon eine Überzahl, aber diese Offenheit überlässt man lieber den Rechtsextremen, die Anfang Januar mit einer Demonstration im Ort den Volkszorn auf die Straße bringen wollten. Über 200 Menschen beteiligten sich an der Kundgebung gegen das »Migrantenquartier«, wie Die Freie Presse ganz im Sinne der Demonstrant:innen titelte, die sich aus »besorgten« Bürger:innen und offensichtlichen Neonazis zusammensetzten.

Dazu aufgerufen hatten die AfD sowie die neonazistische Kleinst­partei Freien Sachsen, die sich in den vergangenen beiden Jahren als einer der Hauptakteure der rechten Mobilisierung im Freistaat hervorgetan hat. Mit den Rechtsextremen will Bürgermeisterin Euchler indes nichts zu tun haben, wie sie bei jeder Gelegenheit betont. Trotzdem nehme sie die »Bedenken« ernst. Denn Euchler meint zu wissen, dass es hier gar nicht um Kinder gehe, sondern um »Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren, von denen manche womöglich keine echten Papiere haben und viel älter sind«, wie sie im Interview mit dem Spiegel sagte. Man befürchte – ihrer Meinung nach zu Recht – in Kriebethal Zustände wie in Berlin zur Silvesternacht.

Zustimmung dürfte sie dafür vom stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Kreistag, Rolf Weigand, bekommen. In seiner Rede beim »Spaziergang« gegen die geplante Unterbringung zweifelte auch er an, dass das Alter der Jugendlichen immer stimme. Das Interview mit Euchler erschien genau an dem Tag, an dem Weigand seine Zweifel mit den »besorgten« Dorfbewohner:innen teilte, mit denen er in der Dunkelheit dann noch an besagtem Heim des DRK vorbeizog. Hier werden bereits die Weichen fürs Pogrom gestellt. Noch begnügt man sich aber mit Unterschriften. 257 Menschen, fast die Hälfte der Dorfbewohner:innen, haben sich in einer Petition gegen die Unterbringung der minderjährigen Geflüchteten ausgesprochen. Am Freitagabend voriger Woche gab es bereits den nächsten rassistischen »Spaziergang«, diesmal nur mit 30 Leuten, dafür aber unangemeldet.

Die Diskussion in Kriebethal reiht sich in eine breitere rassistische Mobilisierung ein, die sich an mehreren Orten in Sachsen beobachten lässt. In Bautzen haben Unbekannte Ende Oktober einen Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft verübt. In Dresden-Sporbitz, Chemnitz-Einsiedel und Naunhof bei Meißen gab es in den vergangenen Monaten ebenfalls bereits Kundgebungen gegen Asylsuchende. Am Montag riefen die Freie Sachsen unter dem Motto »Aue ist unsere Stadt« zu einer weiteren Demonstration im Erzgebirge auf.

Die »Hetze gegen Unterbringung von Geflüchteten in Sachsen nimmt zu«, warnte der Sächsische Flüchtlingsrat vergangene Woche in seinem Newsletter. Begleitet wird die rechte Mobilisierung von Stimmungsmache des sächsischen Innenministers Armin Schuster (CDU). Bereits im September warnte er davor, dass sich die Unter­bring­ungssituation zusehends verschärfe und »in Kürze kaum noch zu bewältigen« sei. Ende November forderte er einem Bericht von Bild zufolge, sämtliche Sonderprogramme zur Aufnahme von Flüchtlingen »zumindest auszusetzen«, und sprach sich dafür aus, die Liste der sicheren Herkunftsländer um Tunesien, Georgien, Algerien und Marokko zu erweitern.