Am 27. Januar wird an die von den Nationalsozialisten verfolgten sexuellen Minderheiten erinnert

Schwierige Erinnerung

Am 27. Januar, dem Gedenktag zur Befreiung Auschwitz, werden erstmals sexuelle Minderheiten explizit hervorgehoben. Die Erinnerung an diese Opfer des Nationalsozialismus blieb lange Zeit weitgehend auf der Strecke. Das mag unter anderem daran gelegen haben, dass mit der Befreiung der Konzentrationslager nicht automatisch die Verfolgung Homosexueller beendet war.

Bei der diesjährigen Gedenkstunde zur Befreiung von Auschwitz wird zum ersten Mal explizit an die erinnert, die »aufgrund ihrer sexuellen Orientierung« beziehungsweise »geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden«. Seit 1996 ist der 27. Januar als bundesweiter Gedenktag gesetzlich festgeschrieben. Im Deutschen Bundestag kamen seitdem Personen zu Wort, um die Erfahrungen verschiedener Opfergruppen während des Nationalsozialismus zu schildern. Bereits 2018 hatte Lutz van Dijk, ein deutsch-niederländischer Autor und Historiker, gemeinsam mit anderen Initiatoren eine Petition an den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) gerichtet, die dazu aufforderte, den Holocaust-Gedenktag den homosexuellen NS-Opfern zu widmen. Die Petition wurde damals mit der Begründung abgelehnt, dass die Redner bis 2020 schon feststünden. In diesem Jahr wird die Forderung erstmals erfüllt.

Die Verfolgung im Nationalsozialismus richtete sich in vielen Fällen gegen Menschen, die bereits vor 1933 diskriminiert und verfolgt wurden. Gerade diese Gruppen hatten nach 1945 wenig Chancen, dass ihre Verfolgung als typisch nationalsozialistisches Unrecht anerkannt wurde. Dazu zählten neben Sinti und Roma, Bettlern und Obdachlosen, den sogenannten Asozialen und den sogenannten Berufsverbrechern all jene, denen das Stigma »erbkrank« angeheftet worden war. Dazu zählten aber auch Homosexuelle. Was sie betraf, stellte sich die Entschädigungsrechtsprechung auf den Standpunkt, die nationalsozialistischen Urteile seien rechtmäßig gewesen, was Entschädigung ausschloss.

Etwa 10 000 homosexuelle Männer kamen dem Soziologen Rüdiger Lautmann zufolge in Konzentrationslager, in denen gut die Hälfte nicht überlebte.

Homosexuelle wurden nach dem Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs verfolgt, der gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Der Paragraph wurde von den Nationalsozialisten nicht eingeführt, aber 1935 verschärft. Über 100 000 Männer wurden polizeilich erfasst und auf der sogenannten Rosa Liste geführt; 50 000 Urteile ergingen aufgrund des Paragraphen; etwa 10 000 homosexuelle Männer kamen dem Soziologen Rüdiger Lautmann zufolge in Konzentrationslager, in denen gut die Hälfte nicht überlebte. Schätzungen der Zahl der Homosexuellen, die im Konzentrationslager ihr Leben ließen, variieren indes. Es ist nicht ermittelbar, wie viele aus anderen Gründen ermordete Menschen homosexuell waren. Ruth Maier beispielsweise wurde als Jüdin von den Nationalsozialisten ermordet. Ihr gleichgeschlechtliches Begehren hingegen blieb in der Geschichtswissenschaft lange unerwähnt.

In der Bundesrepublik galt der Paragraph 175 weiterhin, doch die Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten waren beispiellos, das Strafmaß unter der NS-Justiz mit bis zu zehn Jahren Haft bei bloßem Verdacht auf homosexuelle Handlungen exzessiv. Erst 1969 wurde der Paragraph ein erstes, 1973 ein zweites Mal entschärft. Dann erst waren gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht mehr automatisch strafbar, sondern nur dann, wenn einer der Partner unter 21 (1969) beziehungsweise 18 Jahre (1973) alt war. In der DDR war der Paragraph 1968 ersatzlos gestrichen worden. In der Bundesrepublik konnten bis zur Abschaffung des Paragraphen 175 im Jahr 1994 weiterhin Männer wegen Homosexualität verurteilt werden; nach dem Beitritt der DDR kam der Paragraph in den neuen Bundesländern allerdings nicht zur Anwendung. Das »Nie wieder« galt demnach nach der Befreiung nicht für alle. Die fortlaufende Kriminalisierung und Verfolgung glichen mehr einem »Weiter so«, wenn auch in deutlich abgeschwächter Form. Insofern geht die Erinnerung an diese Opfergruppen einher mit der Kritik an Zuständen im demokratischen Nachkriegsdeutschland, was ein wesentlicher Grund für die zögerliche Bereitschaft zur erinnerungspolitischen Repräsentation im Bundestag gewesen sein dürfte.

An die wegen ihres Schwulseins verfolgten Männer soll bei der Gedenkveranstaltung im Bundestag der Schauspieler Jannik Schümann erinnern, der einen Text über Karl Gorath (1912–2003) lesen will. Gorath wurde von den Nati­onalsozialisten als Schwuler verfolgt und überlebte mehrere KZ, nur um nach Kriegsende abermals kriminalisiert zu werden. Besonders makaber an Goraths Verfolgungsgeschichte ist, dass er nach seiner Befreiung aus dem KZ Mauthausen 1946 in Bremen vom selben Richter wieder verurteilt wurde, der ihn bereits 1938 verurteilt hatte.

Zur Opfergruppe, um die es beim diesjährigen Gedenktag vorrangig geht, zählen nicht nur Menschen in Konzen­trationslagern, die dort mit dem sogenannten Rosa Winkel auf der Kleidung gekennzeichnet worden waren. Insbesondere Frauen, die zu Opfern der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik wurden, belegte man oftmals mit anderen Bezeichnungen. Sie als Angehörige der Opfergruppe der Homosexuellen überhaupt wahrzunehmen, ist nicht ganz einfach. Trans-Personen wurden beispielsweise im nationalsozialistischen Schriftgut als Transvestiten oder als Schwule kategorisiert. Lesbische Frauen konnten als »Asoziale« oder wegen sogenannter sittlicher Verwahrlosung interniert werden. Die kriegsbedingte Abwesenheit vieler Männer ha­be zu einer »sexuellen Unordnung« geführt. Lesbisches Begehren wurde da­mit als solches gar nicht erst anerkannt und als sexuelle Devianz verfolgt. Beim Gedenkakt im Bundestag will die Schauspielerin Maren Kroymann mit einer Lesung Mary Pünjer gedenken. Pünjer, die aus einer jüdischen Hamburger Kaufmannsfamilie stammte, wurde 1940 als »Lesbierin« und wegen »Aso­zialität« im KZ Ravensbrück interniert und 1942 in einem als Tötungsstätte benutzten Trakt der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Bernburg ermordet.

In den vergangenen Jahren wurde die Gedenkstunde im Bundestag unter anderem den Sinti und Roma, den Zwangs­arbeiter:innen und den »Euthanasie«-Opfern gewidmet. Gerade weil es sich um ein öffentliches Gedenkritual handelt, ist die an diesen Tag und diesen Ort gebundene symbolische Bedeutung nicht zu unterschätzen. In der Regel müs­sen Verfolgtenverbände oder engagierte Einzelpersonen viele Jahre dafür kämpfen, dass an dieser Stelle der von ihnen vertretenen Verfolgtengruppe gedacht wird.