Die Initiative »Wir zahlen nicht« will einen Stromzahlungsstreik auf die Beine stellen

Nicht mehr draufzahlen

Die Initiative »Wir zahlen nicht« plant einen Zahlungsstreik gegen den Strompreisanstieg. Seit der Gründung vor vier Wochen haben sich weniger als 4 000 Menschen bereit erklärt, mitzumachen – das Ziel ist eine Million.

»Schon 2021 wurde rund 235 000 Haushalten der Strom abgeklemmt und 4,3 Millionen Haushalte haben eine Androhung zu Stromsperren bekommen«, sagt Marwin Felder von der Initiative »Wir zahlen nicht« im Gespräch mit der Jungle World. So war die Lage, bevor im vergangenen Jahr die Energiepreise in die Höhe schossen. »Wer schon vor der Krise kaum für die Rechnungen aufkommen konnte, den zwingen die derzeitigen Preise endgültig in die Knie.«

2022 war das Jahr der Preisanstiege gerade im Bereich der Grundversorgung. Die Verbraucherpreise sind innerhalb eines Jahres um 7,9 Prozent gestiegen, ermittelte das Statistische Bundesamt und errechnete auch, was sich besonders verteuert hat: Bei Heizöl stieg der Preis im Durchschnitt um 87 Prozent, bei Erdgas um 65 Prozent, bei Strom um 20 Prozent, bei Lebensmitteln um 13,4 Prozent.

RWE gab vergangene Woche bekannt, vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen einen Jahres­gewinn von 6,31 Milliarden Euro erwirtschaftet zu haben.

Derzeit sind die Strompreise für Neukunden zwar nicht mehr so hoch wie im Herbst, als sie bei rund 70 Cent pro Kilowattstunde lagen. Doch mit 38,6 Cent pro Kilowattstunde sind sie immer noch höher als vor zwei Jahren. Bei diesem Preisniveau wird die von der Bundesregierung geplante sogenannte Strompreisbremse nicht greifen. Sie sieht vor, dass ab März der Strompreis für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs auf 40 Cent pro Kilowattstunde einschließlich Steuern und Abgaben gedeckelt wird. Dabei wird nicht nach Bedürftigkeit differenziert – Wohlhabende erhalten dieselbe Unterstützung wie Arme, und wer im Vorjahr viel verbraucht hat, erhält in absoluten Zahlen mehr Unterstützung.

»Die Regierung setzt auf Individualisierung«, sagt Marie Bach von »Wir zahlen nicht« der Jungle World. »Es gibt ein bisschen Entlastung hier und da, aber letztlich sollen alle selbst sehen, wie sie klarkommen. Sie werden alleingelassen mit der Angst, ob es am Ende des Monats für Essen oder Licht reicht. Wir wollen uns gemeinsam organisieren und uns nicht mit hohen Rechnungen und Stromsperren alleine lassen.« Zu diesem Zweck gründete sich die Initiative »Wir zahlen nicht«, die am 10. Januar in Berlin mit einer Pressekonferenz in der Volksbühne an die Öffentlichkeit trat. Sie sei aus einem Kreis an Leuten entstanden, die in den vergangenen Monaten in verschiedenen »Protesten gegen die hohen Preise und das Abwälzen der Krise nach unten aktiv wa­ren«, so Marwin Felder.

Für die meisten Energiekonzerne war 2022 ein sehr gutes Jahr. RWE gab vergangene Woche bekannt, vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen einen Jahresgewinn von 6,31 Milliarden Euro erwirtschaftet zu haben. »Uns hat zusammengebracht«, so Marwin Felder, »dass schlicht ein Ausdruck fehlt, der der krassen Ungerechtigkeit – hohe Profite auf der einen, Verarmung auf der anderen Seite – gerecht wird.«

Auf der Website Wirzahlennicht.info kann sich registrieren, wer bereit ist, in den Zahlungsstreik zu treten. Bis Redaktionsschluss haben demnach 3 779 Menschen »zugesagt zu streiken, wenn wir eine Million sind«. Als Forderungen aufgelistet sind ein Verbot von Stromsperren, ein »bezahlbarer Strompreis« von 15 Cent pro Kilowattstunde, die Vergesellschaftung der Energieversorgung und »100 Prozent erneuerbare und dezentrale Energie«. Man wolle erst zum Zahlungsstreik aufrufen, wenn eine Million Menschen zugesagt haben, sich zu beteiligen. Denn dann wäre der »Aufwand, ihnen allen den Strom abzudrehen«, zu groß, darauf könnten »sich die Konzerne gar nicht vorbereiten«, heißt es auf der Website. Das bedeute: Je mehr Menschen sich am Streik beteiligen, desto höher ist auch der individuelle Schutz.

Nicht nur das Design der Internetseite, sondern die ganze Kampagne ist an »Don’t Pay UK« aus dem Vereinigten Königreich angelehnt. Dort begann die Kampagne bereits im Sommer 2022. Bislang haben auf deren Website 258 000 Leute ihre Bereitschaft erklärt, die Stromzahlung kollektiv zu verweigern – mehr als in Deutschland, aber bei weitem nicht die auch dort angestrebte Zahl von einer Million. Trotzdem hat die Kampagne zum 1. Dezember zum Zahlungsstreik aufgerufen. In einem Interview mit der Online-Zeitung Perspektive Online hatten Vertreter von »Don’t Pay UK« im vergangenen November mitgeteilt: »Wir haben entschieden, zu einer Bestreikung der Energierechnungen aufzurufen, weil sehr klar wurde, dass bereits Millionen von Menschen nicht zahlten. Entweder, weil sie nicht zahlen konnten, oder aber, weil sie dies verweigerten.« Wie viele Menschen aber tatsächlich im Zuge der Kampagne ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlt haben, teilt die Kampagne auf ihrer Website nicht mit. In den britischen Medien hat der geplante Streik zumindest keine Spuren hinterlassen.

Eine Internetseite macht noch keine Bewegung. Dennoch meint Marie Bach, ein Streik könne »auf verschiedenen Ebenen wirksam sein: als Zahlungsstreik als konkretes Druckmittel, in der Organisierung als Erzeugung politischen Drucks und in der medialen Präsenz als diskursive Intervention«. In Deutschland steht die Kampagne erst am Anfang, es wird eine dezentrale, lokale Vernetzung angestrebt: »Uns ist wichtig, gute lokale Strukturen aufzubauen«, so Marie Bach, »wir wollen ja gerade nicht nur eine Online-Unterschriftensammelaktion sein, sondern eine Bewegung werden.«

Es gab in Deutschland schon einmal eine Kampagne für einen Stromzahlungsboykott – 1977, zu Hochzeiten der Anti-AKW-Bewegung. Wolfgang Hertle, der 1977 in Hamburg beim Stromzahlungsboykott mitgemischt hat, sagt im Gespräch mit der Jungle World, das Ziel sei damals gewesen, »provokativ durch bewusste Regelverletzung die öffentliche Aufmerksamkeit zum Thema zu verstärken. Der Stromzähler repräsentierte die direkte Verbindung vom Atomkraftwerk in jeden Strom verbrauchenden Haushalt.«

Den Zahlungsstreik »Wir zahlen nicht« hält Wolfgang Hertle für sinnvoll. »Die Zahl der Streikenden allein macht noch nicht den Erfolg aus«, sagt er. »Es muss in der Öffentlichkeit Verständnis und Sympathie für die Anliegen des Strei­ks erzeugt werden, bis jeder Gerichtsprozess gegen Streikende sowie eventuelle Sperrungen der Stromlieferung zu verstärkter Teilnahme am Streik führt.« Ob »Wir zahlen nicht« eine solche Dynamik entfalten kann, ist offen.