Der Gründer der Atomwaffen Division soll einen Anschlag geplant haben

Nazis unter Strom

In den USA wurde der Gründer der rechtsterroristischen »Atomwaffen Division« verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, Anschläge auf das Strom­netz in Baltimore geplant zu haben. In den USA häufen sich Komplotte von Neonazis mit dem Ziel, die Energieinfrastruktur anzugreifen.

»Verschwörung zum Angriff auf das lokale Stromnetz« – so lautet der Vorwurf der Behörden, die am Montag vergangener Woche die Verhaftung von Sarah Clendaniel und Brandon Russell in Baltimore, Maryland, bekanntgaben. Beide waren zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung auf Bewährung aus der Haft entlassen. Russell hatte wegen illegalen Besitzes von Sprengstoff und Schusswaffen vier Jahre im Gefängnis verbracht. Er ist als Gründer und ehemaliger Anführer der Neonazi-Gruppe »Atomwaffen Division« (AWD) bekannt. Clendaniel saß im Gefängnis, weil sie 2016 mit einer Machete einen Lebensmittelladen überfallen hatte.

Der Strafanzeige zufolge war eine dritte Person an dem Komplott beteiligt – dabei handelt es sich um einen Informanten oder eine Informantin des FBI. Russell soll dieser Person erklärt haben, wo Informationen darüber zu finden seien, wie der Strom in der Region verteilt wird und welche Transformatoren man zerstören müsse, um einen »Kaskadeneffekt« zu erzeugen, der in der kalten Jahreszeit, wenn die Menschen am meisten auf Strom angewiesen sind, maximalen Schaden anrichten würde. Russell soll zudem über eine App für verschlüsselte Nachrichten die Verbindung zwischen Clendaniel und dem Informanten oder der Informantin hergestellt haben.

Clendaniel wählte fünf verschiedene Transformatoren in der Umgebung von Baltimore aus und wollte sie alle an einem Tag mit leistungsstarken Gewehren beschießen. Das wäre »legendär« und »würde die ganze Stadt völlig zerstören«. Den Behörden zufolge kennen sich die 34jährige Clendaniel und der 27jährige Russell spätestens seit 2018. Damals tauschten sie Nachrichten aus, während sie in zwei verschiedenen Gefängnissen inhaftiert waren. In der Strafanzeige werden Textnachrichten zitiert, in denen sie über gemeinsame Kinder sprechen. Russell schrieb, dass »es sich gelohnt hat, ins Gefängnis zu gehen, weil ich dich sonst vielleicht nicht getroffen hätte«.

Clendaniel hat bereits mindestens drei Kinder. Das erste wurde 2006 ­geboren, als sie noch ein Teenager war und wegen eines Raubüberfalls mit ­einem »großen Schlachtermesser« im Gefängnis saß. Ihre Mutter sagt, sie habe im Gefängnis immer mehr rassistische Ansichten angenommen und sich dort ein Hakenkreuz tätowieren lassen. Clendaniel war lange Zeit stark drogenabhängig. Schon als sie beim ersten Überfall verhaftet wurde, war sie in Methadonbehandlung. Als sie 2016 denselben Lebensmittelladen erneut überfiel und festgenommen wurde, fand man bei ihr eine Crack-Pfeife, Spritzen und verschiedene Pillen.

Clendaniel soll dem Informanten erzählt haben, dass sie die Anschläge auf das Stromnetz innerhalb von »höchstens einem Monat« ausführen wolle, weil sie glaubte, unheilbar krank zu sein, und vor ihrem Tod noch »etwas Sinnvolles vollbringen« wollte. In der Strafanzeige wird ein Dokument zitiert, das sie geschrieben haben soll und in dem der »Unabomber« Ted Kaczynski, der norwegische Massenmörder Anders Breivik und Adolf Hitler erwähnt werden. Darin soll gestanden haben: »Ich würde **alles** für mein Volk opfern, um nur eine Chance für den Erfolg unserer Sache zu haben.«

Es ist nicht das erste Mal, dass Russell, ein ehemaliges Mitglied der Nationalgarde, über Angriffe auf kritische Infrastrukturen nachgedacht hat. Während seines Prozesses 2017 sagte sein ehemaliger Mitbewohner aus, Russell habe über Anschläge auf eine Synagoge, Stromleitungen und einen Atomreaktor gesprochen. Nach seiner Verhaftung im selben Jahr fanden die Ermittler in Russells Zimmer ein gerahmtes Foto des Attentäters von Oklahoma City, Timothy McVeigh, sowie Kopien von »Mein Kampf« und dem Buch »The Turner Diaries«. McVeigh hatte 1995 den bis dato größten Terroranschlag der US-Geschichte auf ein Gebäude der Bundesverwaltung in Oklahoma City begangen. Mit einer Autobombe tötete er 168 Menschen, darunter 19 Kinder. Er war ein eifriger Verfechter der »Turner Diaries«, eines 1978 veröffentlichten apokalyptischen Romans des Neonazis William Luther Pierce. Darin bekämpft eine rassistische und antisemitische Geheimorganisation die US-Regierung und stürzt sie schließlich, indem sie unter anderem Kraftwerke und andere Infrastruktur zerstört und sogar Atomraketen auf Israel und New York City abschießt. Auch Baltimore, dessen ­Bevölkerung mehrheitlich afroamerikanisch ist, wird gegen Ende des Romans durch eine Atomwaffe dem Erdboden gleichgemacht.

In einem Memorandum vom Januar vergangenen Jahres warnte das ­Heimatschutzministerium, dass »gewalttätige Extremisten seit mindestens 2020 glaubwürdige, zielgerichtete Pläne für Angriffe auf die Stromin­frastruktur entwickelt haben, wobei sie das Stromnetz aufgrund seiner ­Verflechtung mit anderen Infrastrukturbereichen als besonders attraktives Ziel betrachten«.

Fünf Männer, darunter zwei ehemalige Marineinfanteristen, wurden 2021 in North Carolina unter anderem wegen Verschwörung zu Anschlägen auf Stromversorgungseinrichtungen angeklagt. In einem selbsthergestellten Video ist zu sehen, wie die Mitglieder der Gruppe mit Waffen üben und den Hitler-Gruß zeigen.

Im Februar 2022 bekannten sich drei Neonazis schuldig, Anschläge auf Stromversorgungseinrichtungen in verschiedenen Teilen des Landes geplant zu haben. Das Justizministerium teilte mit, sie hätten »Krieg verursachen, sogar einen Rassenkrieg, und die nächste Weltwirtschaftskrise herbeiführen« wollen. Mindestens zwei der Männer waren mit »Selbstmord-Halsketten« ausgestattet, die Fentanyl enthielten – diese Idee stammt ebenfalls aus den »Turner Diaries«.

Ein tatsächlich ausgeführter Neonazi-Angriff hat sich womöglich in Moore County, North Carolina, ereignet. Dort fiel Anfang Dezember tagelang der Strom aus, nachdem unbekannte Angreifer Kugeln auf zwei Umspannwerke abgefeuert hatten. Die Ermittlungen dauern noch an. Kurz darauf, am 18. Dezember, wenige Stunden vor Beginn des Chanukka-Fests, wurden in Moore County Transparente an Autobahnüberführungen gefunden. Auf ihnen waren Hakenkreuze und die Parole »Bringt alles zum Einsturz« abgebildet.

Die Atomwaffen Division propagiert den bewaffneten »führerlosen Widerstand«, ist also dezentral organisiert. Das Ziel ist der Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung, um einen »Rassenkrieg« auszulösen. Die Gruppe ist aus dem inzwischen aufgelösten Neonazi-Webforum Iron March hervorgegangen, in dem Russell 2015 erstmals die Existenz der Gruppe bekanntgab. Er schrieb, sie seien »eine sehr fanatische, ideologische Gruppe von Kameraden, die sowohl Aktivismus als auch militärisches Training betreiben«. Mitgliedern der Gruppe werden in den USA mehrere Morde vorgeworfen. Die AWD hat Anhänger in zahlreichen Ländern, darunter Kanada, das Vereinigte Königreich und Deutschland. Im April 2022 gab es hierzulande eine Razzia gegen 50 mutmaßliche Rechtsextreme, darunter befanden sich zehn mutmaßliche Mitglieder der AWD.