Permanente Erreichbarkeit belastet

Schreib mich nicht an, Staat

Der Stand der Bewegung Von Koschka Linkerhand

Ständig erreichbar sein zu müssen ist auch Arbeit. Gerade Linke sollten einander das nicht unbedingt zumuten.

Wie der analoge Mann in dieser Zeitung hasse ich Handys. Dabei bin ich quasi ins Handyzeitalter reingewachsen. Mein Hass wuchs mit dem unverfrorenen Anspruch auf stete Ansprechbarkeit, er wetzte seine Zähne an den Versuchen des Jobcenters, meine Handynummer zu bekommen, und erreichte einen neuen Höhepunkt mit der Tatsache, dass mich neuerdings der Staat per Handy vor Katastrophen warnt.

Es ist schwer verständlich, warum so viele Leute es als Fortschritt empfinden, ihre zurückgelegten Schritte und ihre Menstruationszyklen per Handy zu dokumentieren sowie Regenwolken zu tracken. Ich bin kein Cyborg, der bereitwillig seine Daten sammelt und optimiert – und Konzernen in den Rachen wirft, deren antidemokratische Verfahren bekannt sind.

Leider gilt das Schimpfen auf diese Fußfessel des neoliberalen Kapitalismus nicht als sexy, auch unter Linken nicht. Es klingt kulturkonservativ, von der Notwendigkeit zu sprechen, leibhaftig in der Gegenwart zu leben. Den Blick durch den Raum schweifen zu lassen, einfach in die Kneipe reinzugehen und im Ungewissen zu sein, das Risiko unvorhergesehener Begegnungen auszuhalten, statt sofort ins Handy zu tippen: Wo bist du?!

Trotzdem: Ich halte diese Doppelung des Alltags in Realität und virtuelle Welt nur schwer aus. Wenn jemand zu spät kommt, greife ich zum Handy, um zu lesen, was ohnehin klar ist: Freundin X verspätet sich um ein paar Minuten.

Meine feministische These: Handys vermehren Reproduktionsarbeit. Ständig ansprechbar zu sein, ist eine Grundlektion weiblicher Sozialisierung. Mütter müssen per Handy immerzu für Kinder und Kitas zu erreichen sein, Freundinnen für Freund:innen. Oft, wenn ich in der Bibliothek sitze, sehe ich eine andere Nutzerin aufspringen und ins Handy flüsternd den Saal verlassen – eine Frau, die eigentlich hergekommen ist, um unbehelligt geistiger Arbeit nachzugehen.

Ähnliches passiert, wenn in Politgruppen alle Planung kurzfristig per Messenger über den Haufen geworfen wird. Der gerade in der Linken verbreitete Anspruch, eigene Bedürfnisse auszudrücken und auszuleben, wird nicht besser dadurch, dass sie spontan kommuniziert werden, möglichst in Sprachnachrichten, in denen man sich gar nicht mehr zusammenreißt. Immer neue Bedürfnisse zu berücksichtigen, ist anstrengend. Es geht auf Kosten von Frauen, die alles auffangen und ständig neu organisieren. Daher, Freund:innen, Genoss:innen: Ich bin keine Befehlsempfängerin für Reproduktionsarbeit. Ich will mit euch leibhaftig im Plenum, in der Kneipe, auf der Straße zusammenfinden. Und du, Staat, brauchst mir gleich gar nicht zu schreiben.