Die Band Fjørd und ihr neues Album »Nichts«

»Wie am Spieß«

Die Band Fjørt hadert mit sich, mit allem – und widmet dieser Zerrissenheit mit »Nichts« ein ganzes Album.

Es sei die »Jahreszeit, die sich für diese Gruppe am besten anfühlt«, schrieb die Band Fjørt 2022, als sie eine Tour zu ihrem neuen Album für den kommenden Winter ankündigte. Ein paar Wochen später waren die ersten Konzerte bereits ausverkauft, unter anderem das in Leipzig.

Januar, eine minus sieben Grad kalte Nacht – was ist das für eine Band, für die sich das »am besten« anfühlt? Die kurzfristig fürs Vorprogramm gebuchte britische Indie-Pop-Gruppe Arxx, die ein wenig nervös ob der vielen Menschen im Publikum wirkte, gab eine Ahnung. »Wir sind nicht so Metal, das habt ihr sicher schon gemerkt«, sagte Sängerin Hanni, »hoffe, es stört euch nicht.« Es störte natürlich nicht. Arxx spielten ihr Set vor einem gemütlich dahinwippendem Publikum, bedankten sich, dann ging das Licht aus. Wenig später werden drei Männer die Bühne betreten, die ausverkaufte Hallen schon gewohnt sind. Dann wird ein wenig mehr als nur gewippt. Ein paar Takte reichen, und die Halle ist warm.

Für Optimismus gibt es keinen Anlass, so die Botschaft vieler Songs auf dem neuen Album »Nichts«.

Etwas über zehn Jahre gibt es die Band Fjørt schon. Und auch wenn ihre 2012 veröffentlichte erste EP von Szenemedien vergleichsweise euphorisch aufgenommen wurde, ist es noch nicht allzu lange so, dass ­sie ausverkaufte Konzerte spielen. Kalt und düster war der Sound schon damals. »Post-Hardcore«, »Post-Metal«, »Post-Rock«, so klangen die faulen Labels, die der Gruppe damals verpasst wurden. Hauptsache »post«, »danach« – und irgendwie stimmt auch was daran: Noch in den nuller Jahren gab es eine regelrechte Welle an Bands, die ähnlich wie Fjørt klangen. Bekannter darunter war die aus Flensburg und Kiel stammenden Escapado, deren düsterer Sound scherzhaft als »North­core« beschrieben wurde.

Fjørt kamen ein wenig später, waren nicht north, aber durchaus core – und dennoch anders. Anders genug, um aufzufallen: Das bekannte deutsche Indie-Label Grand Hotel van Cleef wurde nach einem Konzert in der Hamburger »Roten Flora« auf die Band aufmerksam. Das war 2014, kurz nach dem Erscheinen ihres Debütalbums »D’Accord«. Einen Handschlag und eine gewisse Zeit später erschien das nächste Album schon auf dem von Tomte-Sänger Thees Uhlmann mitgegründeten Label, das eigentlich für deutlich sanftere Töne bekannt ist. Ganz ähnlich lief es damals bei Escapado, deren zweites Album auch dort erschien.

Der Mann, den dieser brachiale Sound damals überzeugt hatte, ist mittlerweile Manager der Band. Acht Jahre später widmet diese ihm auf dem aktuellen Album eine Zeile, »ein kleines Negativ-Feature«, wie Sänger und Bassist David sagt. »Und Herr Scharifi, wertes Grand Hotel van Cleef, ich würd’ so hellauf gerne texten, von ’ner Hoffnung, die mich trägt«, heißt es in »Lakk«.

Ungewöhnlich ehrlich kommt die Ansage an das eigene Label in einem Song daher, in dem es um die Konsumgesellschaft geht. Aber so ist es eben, das Verhältnis einer irgendwie linken Band zum eigenen Erfolg: Man weiß, was sich verkaufen würde. Man macht es, oder eben nicht. Und wenn man es nicht macht, dann klatscht auch keiner. Vielleicht hätte sich etwas Hoffnungsvolleres ein wenig besser verkauft, aber: »Wir haben uns sehr sehr lange darüber unterhalten, was das für ein Schwachsinn wäre, hier so ein Element reinzubringen, das wir überhaupt nicht sehen«, erzählt Sänger und Bassist David im Interview mit der Jungle World.

Für Optimismus gibt es nun mal keinen Anlass, so die Botschaft vieler Songs auf dem neuen Album »Nichts«. Und: An so etwas wie Plattenverkäufe und Touren, vielleicht sogar manchmal an Musik überhaupt zu denken, fühlt sich irgendwie verkehrt an inmitten von Krieg, Hunger und einer schwelenden Umweltkatastrophe. Folglich präsentiert »Nichts« sich den Hörerinnen als eine Art Revue der Aussichtslosigkeit, viel Tod, viel Dunkelheit, und das wenig verklausuliert: »Die Welt hat Bock, dass wir alle, alle sterben gehen« (»Schrot«).

Dass der Einzelne aber mitwirkt an dieser Welt, die auf ihr eigenes Ende hinarbeitet, das wissen die Aachener genau: »Kann zwar texten, und kann schreien, doch mein Beitrag ist blamabel, von der Bühne kann ich niemandem den Magen voller machen«, heißt es im introspektiven Song »Kolt«, der zwischendurch immer wieder mit der Zeile »Ich tue gar nichts, weil es gemütlich ist« in Selbsthass kulminiert.

Neben der Konkretheit fällt noch eine Neuerung auf »Nichts« auf: der Gesang. »Schreien mach’ ich seit zehn Jahren, das kann ich ja wie am Spieß, sozusagen«, lacht Sänger und Gitarrist Chris, »Singen ist aber eine andere Disziplin.« Dass Ersteres keineswegs übertrieben ist, hat das Trio kurz vor dem Release ihres neuen Albums gezeigt. In einer für die Livemusikbranche außerordentlich schwierigen Zeit spielte die Band an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im August je vier Konzerte, einmal in Hamburg, einmal in Köln. »Ein Tag, vier Konzerte, vier Alben« hieß das Konzept.

Mehrere Stunden Show, mehrere Stunden Singen, Schreien, Bass, Schlagzeug, Gitarre, vom Mittag bis kurz vor Mitternacht – am Ende stellte die Band jeweils ihre neuen Songs vor. Zweifellos eine Promo-Aktion, aber auch eine Belastungsprobe. »Ich mach da keinen Hehl draus, bei der letzten Show in Hamburg hat unser Schlagzeuger – so viel wir auch trainiert haben – die Arme nicht mehr hochgekriegt«, sagt David.

Leicht gemacht haben es sich die Aachener selten. Fjørt ist eine Band mit Plan. Es gibt keinen Song im Repertoire, der nicht ins Gesamtbild passt, angefangen bei einer Vorliebe für Fremdwörter und Frankophonie bei Titeln (»Belvedere«, »Magnifique«, »Fauxpas«) über die so gut wie immer ausufernde Lyrik bis hin zu den Covern: Immer sucht die Band Weite, Größe, Tiefe, Facette.

Eigentlich sucht sie damit weit mehr, als drei Menschen auf einer Bühne leisten können. Trotzdem bekamen die Fans in Leipzig das volle Programm: Ein paar Backing-Tracks und Effektpedale genügen, um die dreiköpfige Band wie ein feuerspeiendes Orchester klingen zu lassen. Entsprechend verhält sich Sänger David auf der Bühne, gelegentlich gestikulierend, als würde er das Publikum nicht bespaßen, sondern eher beschwören wollen.

Fjørt, das heißt auch: Pathos, Geste, große Worte. Nicht unbedingt üblich für eine Band, die zumindest noch mit einem Bein in der Punk-Subkultur steht. Nur Show? Spätestens bei »Paroli« wird an diesem Abend aber spürbar, dass die Selbstkritik vielleicht zu hart ausfällt: Der Song vom Album »Kontakt« (2016), der als Antwort auf die rechtspopulistischen Demonstrationen im Erscheinungsjahr gedacht war, ist so gar nicht zweifelnd, skeptisch, ohnmächtig: »Auf zwei von denen kommen zehn von uns«, intoniert David. »Und bitte!« entgegnet das Publikum. Für einen Moment pulsiert kathartische Wärme durch die Halle, als wäre es noch 2016, als würde draußen in der Kälte schon die nächste Fascho-Demo warten.

Ist es nicht auch ein Erfolg, die eigene Botschaft so wirkmächtig unter Leute bringen zu können? »Das kriegst du als Band immer erst mit, wenn einem das eine Person sagt«, meint David. Zudem hat er das Gefühl, vor allem jene Menschen zu erreichen, die bereits politisch auf gleicher Linie sind: »Ich glaube, kaum eine Person gibt heute noch 27 Euro für ‚ne Band aus, um da mal reinzuschauen.«

Am nächsten Tourtag in Münster muss niemand 27 Euro ausgeben, um die Band zu hören. Ein »AfD-Neujahrsempfang« wurde angekündigt. Die Band entscheidet sich kurzerhand, vor der eigentlichen Show auf der Gegendemonstration die Verstärker aufzubauen und ein paar Songs zu spielen, »Braun bunt schreien«, wie sie es auf Facebook mit gewohntem Pathos ausdrücken. Was ist das schon, ein bisschen Krach gegen den neuen Faschismus, ein bisschen Lärm gegen den Gesamtirrsinn? Zu wenig? Vielleicht. Show? Auch. Punk? Klar. Nur eines ist es keineswegs: nichts.

Fjørt: Nichts (Grand Hotel van Cleef)