Die brasilianische Staatsanwaltschaft geht wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Volkswagen vor

Unsoziale Nachhaltigkeit

Dem VW-Konzern werden schwere Menschenrechtsverletzungen in Brasilien vorgeworfen. Aktivisten fordern von ihm nun, seine Schuld anzuerkennen.

Die Kritik an Menschenrechtsverletzungen, die dem deutschen Automobilkonzern Volkswagen angelastet werden, wächst – auch hierzulande. 2 800 Personen unterzeichneten eine an den VW-Vorstand gerichtete Petition der Brasilien-Initiative Freiburg e. V., in der der Konzern dazu aufgefordert wurde, »seine Schuld an den damaligen Menschenrechtsverletzungen« anzuerkennen; zwischen 1974 und 1986 soll es in Brasilien auf der werkseigenen Rinderfarm Fazenda Vale do Rio Cristalino zu schweren Misshandlungen von Arbeitern gekommen sein.

Die Bundesstaatsanwaltschaft in Brasília wirft Volkswagen do Brasil, dem brasilianischen Tochterunternehmen des VW-Konzerns, vor, dort Hunderte von Arbeiterinnen und Arbeitern unter sklavenarbeitsähnlichen Zwangsverhältnissen eingesetzt zu haben. Am 24. März reisten an der Initiative Beteiligte nach Wolfsburg, um die Petition in der Hauptzentrale einzureichen. Entgegengenommen wurde die Petition allerdings nicht von einem Vorstandsmitglied, sondern lediglich von einem Pressesprecher.

Bereits Mitte der Achtziger berichtete der Spiegel über die Arbeitsbedingungen. Die brasilianischen Landarbeiter fristeten auf der Fazenda ein erbärmliches Leben. Weder durften sie die Farm verlassen, auf der sie schufteten, noch wurden sie entlohnt. Selbst Kranke wurden angeblich zur Arbeit gezwungen. Wer fliehen wollte, wurde von bewaffneten Wächtern daran gehindert. Wer sich wehrte, wurde geschlagen. Einige Landarbeiter gaben an, sie seien weiterverkauft worden. Als Sklavenarbeit bezeichnete ein Pater der christlichen Landpfarrei Anfang der achtziger Jahre die Zustände auf der »Fazenda Volkswagen« im Bundesstaat Pará im Norden Brasiliens.

Selbst Kranke wurden angeblich zur Arbeit gezwungen. Wer fliehen wollte, wurde von bewaffneten Wächtern daran gehindert. Wer sich wehrte, wurde geschlagen.

Die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft versucht seit einigen Jahren, eine Entschädigung für Landarbeiter durchzusetzen – bislang ohne Erfolg. Ende März hat Volkswagen do Brasil die Verhandlungen eingestellt. Ein Sprecher der Bundesstaatsanwaltschaft in Brasília erklärt, das Unternehmen habe kein Interesse an einem Abkommen mit der zuständigen Anklagebehörde. Die Behörde hatte rund 30 Millionen Euro als Entschädigung für die damaligen Beschäftigten sowie deren verbliebene Angehörige gefordert.

Die Farm war lange Zeit ein Vorzeigeprojekt der brasilianischen VW-Tochter gewesen. Bei der Fazenda Vale do Rio Cristalino handelte es sich um eine der größten Unternehmungen im ländlichen Amazonasgebiet in den siebziger Jahren. Der Autokonzern hatte die Farm gegründet, um ins Fleischgeschäft einzusteigen. Sie umfasste rund 1 390 Quadratkilometer – eine Fläche fast doppelt so groß wie Berlin. Zehntausende Hektar Urwald mussten dafür gerodet werden, über 200 Teiche und 175 Kilometer Straßen wurden angelegt.

Die Arbeitsbedingungen auf der Farm unterschieden sich von Fall zu Fall erheblich. Bei den rund 250 festangestellten Arbeitskräften bemühte sich der Konzern um mustergültige Verträge. »Die VW-Landarbeiter wohnen in großzügigen Stein- oder Holzhäusern und werden ärztlich versorgt. Ein Schulbus legt jeden Tag 300 Kilometer zurück«, berichtete der Spiegel Mitte der achtziger Jahre. Ganz anders erging es den rund 300 Beschäftigten, die von Subunternehmen für die Rodung des Amazonas-Waldes auf die Farm geholt worden waren. In dem entlegenen Gebiet verlangten die Subunternehmer Wucherpreise für Lebensmittel, so dass »am Ende der Arbeit meist eine Schuld zu bezahlen bleibt. So sichern sich die Auftragsnehmer der VW-Farm die Arbeitskräfte für den nächsten Auftrag«, berichtete der Spiegel weiter.

Der VW-Konzern sieht jedoch kein Fehlverhalten bei sich. Für die elenden Bedingungen seien ausschließlich die Subunternehmer verantwortlich gewesen. Das Arbeitsgericht von Belém, der Hauptstadt des Bundesstaats Pará, befand hingegen bereits in den Achtzigern, die Subunternehmen seien gemeinsam mit dem VW-Management für Verstöße gegen das Arbeitsrecht bei Tagelöhnern haftbar zu machen.

Nicht nur in Brasilien zeigt VW ein eigenwilliges Verhältnis zu Arbeits- und Menschenrechten.

Es ist nicht der einzige Fall, in dem VW ein eigenwilliges Verhältnis zu Arbeits- und Menschenrechten zeigt. So will der Konzern an seinen umstrittenen Standort in der chinesischen Region Xinjiang festhalten, wie der Vorstand der chinesischen VW-Tochtergesellschaft, Ralf Brandstätter, Anfang April mitteilte. In den vergangenen Jahren hatte es wiederholt Berichte über Zwangsarbeit und Umerziehungslager in Xinjiang gegeben. Auch ein Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte sprach im vergangenen Jahr von schwerwiegenden Verstößen in der Region.

Zumindest in Brasilien muss der VW-Konzern nun mit weiterem Ärger rechnen. Die Bundesstaatsanwaltschaft in Brasília teilte Anfang April mit, dass sie die Haltung von Volkswagen bedauere, die im Widerspruch zu dem Bekenntnis des Unternehmens zum Land und zu den Menschenrechten stehe. »Im Rahmen unserer unternehmerischen Tätigkeit bekennen wir uns umfassend zu unserer Menschenrechtsverantwortung«, heißt es dazu auf der Website der Volkswagen Group. »Soziale Nachhaltigkeit« besitze im Konzern Volkswagen eine lange Tradition – »stets im Dialog mit der Belegschaft und den Sozialpartnern«.

Der Mutterkonzern in Wolfsburg hat sich bislang noch nicht inhaltlich zu den Vorwürfen geäußert, will diese der »Tagesschau« zufolge aber ernst nehmen; bereits vor fünf Jahren hat der Historiker Christopher Kopper diese Vorwürfe im Auftrag von VW untersucht und bestätigt. Eine Reaktion auf die von VW eigens beantragte Studie sei jedoch ausgeblieben, berichtete die »Tagesschau«. Die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft will demnach nun vor Gericht ziehen – in Brasilien und wenn nötig auch in Deutschland.