Anne Renzenbrink, Reporter ohne Grenzen, im Gespräch über Pressefreiheit in Kambodscha

»Es gibt noch mutige Journalist:innen in Kambodscha«

Anne Renzenbrink von Reporter ohne Grenzen über das Online-Magazin »Voice of Democracy« in Kambodscha, das kürzlich geschlossen wurde.

Das zweisprachige Nachrichtenportal Voice of Democracy (VoD) konnte in den vergangenen zwei Jahren relativ frei auf Khmer und Englisch berichten. Es gab zwar bereits im November Anzeichen, dass VoD der Regierung sehr unliebsam ist, als ihre Reporter nicht zu einer Pressekonferenz im Rahmen des Asean-Gipfels zugelassen wurden, aber die Schließung im Februar erfolgte doch sehr plötzlich. Wie kam es dazu?
Der Ablauf der Schließung deutet für Reporter ohne Grenzen darauf hin, dass Kambodschas Ministerpräsident Hun Sen eines der letzten verbliebenen unabhängigen Nachrichtenportale noch vor der Wahl, die im kommenden Juli ansteht, schließen wollte.

Können Sie den Ablauf kurz schildern?
VoD hat einen Regierungssprecher damit zitiert, dass Hun Manet (Hun Sens Sohn, seit 2018 Kommandeur der Königlich Kambodschanischen Armee, Anm. Red) die Freigabe von Hilfsgeldern für die Erdbebenopfer in der Türkei unterzeichnet habe. Dem hat Hun Sen im Nachhinein auf Facebook vehement widersprochen, da dies über Hun Manets Kompetenzen hinausgehe. Hun Sen forderte eine Entschuldigung von VoD. Dafür gab er dem Nachrichtenportal 72 Stunden Zeit, ansonsten würde das Informationsministerium VoD die Lizenz entziehen. Diese Frist wurde im Laufe des Konflikts noch verkürzt und dann am Montag, dem 13. Februar, VoD die Lizenz entzogen. Das lässt die Mo­tivation vermuten, VoD noch vor den Wahlen zum Schweigen zu bringen.

Wie steht es jetzt um die Presse in Kambodscha? Gibt es noch unabhängige Medien?
Es gibt weiterhin Medien, die versuchen, unabhängig zu arbeiten, aber die Möglichkeiten sind stark eingeschränkt. Um sich ein Bild der Lage zu machen, muss man ein paar Jahre zurückgehen. 2017 und 2018 waren eine einschneidende Zeit. Der Cambodia Daily musste 2017 seine Arbeit einstellen. Die Zeitung wurde mit astronomischen Steuernachforderungen konfrontiert (6,3 Millionen US-Dollar, Anm. d. Red.) und hat dann im September 2017 ihre letzte Ausgabe herausgebracht. Das war die älteste englischsprachige Tageszeitung. Sie hat sehr kritisch über Themen wie Korruption und illegale Abholzung berichtet. Diese und andere Umweltthemen sind auch heute noch ebenso dringlich und wurden von VoD auf­gegriffen. Im selben Zeitraum wurde auch die Ausstrahlung von 30 Radiosendern verboten, darunter auch Radio Free Asia und Voice of America. Im Jahr 2018 hat dann die Phnom Penh Post den Besitzer gewechselt, eine regierungsnahe PR-Agentur hat die Zeitung übernommen, womit sie ihre Unabhängigkeit de facto verlor.

Wie ging es weiter?
Einige kritische Journalist:innen haben daraufhin die Redaktion verlassen. Man kann also sehen, dass die Medienvielfalt schon vor den Wahlen 2018 angegriffen wurde und nicht erst jetzt mit der Schließung von VoD. Trotzdem ist es wichtig festzuhalten, dass die Pressefreiheit nicht komplett zerstört wurde und Journalist:innen immer wieder versuchen, unabhängig zu arbeiten.

»Es gibt weiterhin Medien in Kambodscha, die versuchen, unabhängig zu arbeiten, aber die Möglichkeiten sind stark eingeschränkt.«

Diese müssen wir unterstützen. Eine ermutigende Entwicklung ist, dass sich Ende 2019 die Cambodian Journalists Alliance gegründet hat. Da haben sich einige bekannte Journalist:innen zusammengetan. Sie berichten regelmäßig über den Stand der Pressefreiheit in Kambodscha, auch darüber, wie viele Journa­list:in­nen festgenommen und angeklagt wurden. Zudem veröffentlichen sie ­eigenständig Nachrichten. Es gibt also noch mutige Journalist:innen in dem Land.

Es wird gemunkelt, die VoD stehe auf der Abschussliste der Regierung, seit sie 2022 über die »Cyber scam«-Affäre berichtet und auch nachgewiesen hatte, dass der Regierung nahestehende Großindustrielle involviert sind. Menschen aus verschiedenen asiatischen Ländern wurden mit Jobangeboten nach Kambodscha gelockt, dann jedoch gezwungen, an Betrügereien im ­Internet teilzunehmen. Sobald ein Nachrichtenportal kritisch berichtet, wird es über kurz oder lang geschlossen?
Natürlich ist es immer ein Risiko, das sehen wir auch in anderen Ländern, sobald sich ein Medium als wichtige und unabhängige Quelle etabliert hat oder auch Recherchen veröffentlicht hat, die besonders heikel sind – wobei sich die Themen natürlich ändern können. So hat VoD ja auch bei illegalen Abholzungen den Finger in die Wunde gelegt.

Was hat das für Auswirkungen auf die Wahlen im Juli? Bei der vorigen Wahl 2018 gingen alle Sitze im Parlament bis auf vier an die dominierende nationalkonservative Regierungspartei Kambodschanische Volkspartei (CPP). Die einzige Oppositionspartei, die Candlelight Party, früher bekannt als Sam-Rainsy-Partei, wird mit Gerichtsprozessen überzogen. Spielt es überhaupt noch eine Rolle, dass es keine relevanten unabhängigen Medien mehr gibt?
Durchaus, das kann man übrigens nicht nur für Kambodscha sagen, dass Wahlkampf- und Wahlberichterstattung im demokratischen Prozess extrem wichtig sind, dass auch andere, oppositionelle Stimmen grundsätzlich Platz in der Berichterstattung vor Wahlen haben müssen. Wir beobachten auch in anderen Ländern, dass bestimmte Medien in der Berichterstattung eingeschränkt werden und dass die Regierungspartei viel mehr Platz bekommt. Es ist entscheidend, dass vor den Wahlen die Pressefreiheit nicht noch mehr eingeschränkt wird, damit sich die Bevölkerung frei informieren und eine Meinung bilden kann. Die schnelle Reaktion der Regierung zeigt auch die Stellung von VoD – dass es eben ein wichtiges Medium war. Ich hatte schon erwähnt, dass 2017/2018 ein entscheidender Zeitraum war, aber eigentlich hat das noch früher begonnen und es war ein längerer Prozess.

Können Sie das genauer erläutern?
Bei der Parlamentswahl im Sommer 2013 wurde der Wahlsieg der CPP in der Berichterstattung der Medien in Frage gestellt. Es gab auch Massenproteste in Phnom Penh. Ich war damals selbst vor Ort, es sah nach Aufbruch und politischer Veränderung aus. Die folgenden Kommunalwahlen 2017 galten als ein Test und die damals wichtigste ­Oppositionspartei, die liberale Nationale Rettungspartei Kambodschas (CNRP), hatte einen großen Erfolg, daraufhin wurde die Oppositionsarbeit stark eingeschränkt. Der Vorsitzende der Partei, Kem Sokha, wurde festgenommen und mittlerweile nach einem langjährigen Prozess zu 27 Jahren Haft sowie Politikverbot verurteilt, die CNRP wurde ver­boten. Das ging dann weiter bis zur Einschränkung der unabhängigen Presse. Derzeit zeichnet sich ein ähnliches Bild wie in der Periode 2017/2018 ab. Wobei natürlich viele der unabhängigen ­Medien, die es damals noch gab, heute nicht mehr existieren.

Die Wahlen im Juli sind für Hun Sen auch so wichtig, weil er vermutlich in der nächsten Legislaturperiode die Macht an seinen Sohn Hun Manet übergeben will. Hun Sen möchte einen reibungslosen Machtwechsel, dafür braucht er eine überzeugende Mehrheit im Parlament. Wie sind die Aussichten auf eine gewisse Liberalisierung für die Zeit nach einem möglicherweise anstehenden Machtwechsel?
Ich kann nicht in die Zukunft sehen und muss da auch spekulieren, aber wir beobachten weltweit, dass politische Veränderungen und ein Machtwechsel sich durchaus positiv auf die Pressefreiheit auswirken können. In Kambodscha selbst sehe ich aber leider keine Anzeichen, dass sich der Zustand verbessern wird. Es läuft daraus hinaus, dass Hun Manet den Kurs fortführt, den Hun Sen eingeschlagen hat. Das sind leider keine guten Voraussetzungen für Verbesserungen im Land.

Anne Renzenbrink

»Wir beobachten weltweit, dass politische Veränderungen und ein Machtwechsel sich durchaus positiv auf die Pressefreiheit auswirken können.« Anne Renzenbrink

Bild:
Martin von den Driesch

Anne Renzenbrink arbeitet seit September 2016 als Pressereferentin bei der international tätigen NGO ­Reporter ohne Grenzen. Davor hat sie als Journalistin in Deutschland und Asien für verschiedene Print- und ­Online-Medien berichtet, darunter die kambodschanische Zeitung »Phnom Penh Post« und die »Nepali Times« in Kathmandu. Als Stipendiatin der Robert-Bosch-Stiftung war sie 2015 als Medienbotschafterin in China. Anne Renzenbrink hat in Heidelberg Politikwissenschaft sowie in Shanghai und Taipeh Chinesisch studiert und ihren Master in Journalismus an der Universität Hongkong absolviert.