In Österreich hetzen Rechtsex­treme immer stärker gegen LGBT-Personen

Risse im Regenbogen

In Wien hat ein rechtsextremer Mob versucht, die Kinderbuchlesung einer Drag Queen zu stören. Österreichische Rechtsextreme hetzen seit einiger Zeit verstärkt gegen LGBT-Personen.

Ein Großaufgebot der Polizei war nötig, um die beiden Seiten voneinander zu trennen. Ein rechtsextremer Mob hatte in Wien am Sonntag, dem 16. April, versucht, die Kinderbuchlesung einer Drag Queen im LGBT-Community-Zentrum »Türkis Rosa Lila Villa« zu verhindern. Den etwa 100 Rechtsextremen – bestehend aus Identitären, FPÖ-Vertretern und fundamentalistischen Christen – standen deutlich mehr Gegendemonstranten gegenüber. An jenem Sonntag wurde einmal mehr deutlich, dass auch Österreichs rechte Szene inzwischen mit der Wahnidee Hetze betreibt, LGBT-Personen verdürben Kinder durch »Frühsexualisierung«.

Dabei hatte es zuvor auch in Österreich Fortschritte im Kampf gegen ­Homophobie gegeben. Seit dem 1. Januar 2019 dürfen Paare dort heiraten, egal welches Geschlecht die Partner haben. Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist seit 2004 verboten. Bereits 2002 war, nach mehreren entsprechenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das sogenannte Schutzalter für Homosexuelle jenem für Heterosexuelle angepasst worden. Etliche Prominente hatten sich seit der Jahrtausendwende geoutet, Homo- und Transsexualität wurde immer mehr als zur gesellschaftlichen Normalität gehörend wahrgenommen, Heterosexuelle und ihre queeren Freund:innen guckten zusammen den Eurovision Song Contest und hatten dabei eine Gaudi, und sogar die FPÖ hielt sich mit homophoben Attacken, zumindest auf Ebene der Bundespolitik, zurück.

Aber während dieser Phase der Liberalisierung braute sich unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit etwas zusammen. Rechte und rechtsextreme Kreise, darunter federführend Alt- und Neonazis sowie christliche Fundamen­ta­list:innen, hatten sich mit der gesellschaftlichen Liberalisierung seit 1968 nie abgefunden.
In Kärnten organisierte die FPÖ-Politikerin Kriemhild Trattnig politische Veranstaltungen, auf denen sie gegen die Frankfurter Schule und namentlich Theodor W. Adorno und Max Horkheimer wetterte.

Trattnig machte sie für die »Zerstörung von Natur und Familie« verantwortlich und warf ihnen vor, »Homosexualität und Kinderschändung« zu propagieren. Darin folgte Trattnig den Thesen ihres Idols Christa Meves, einer deutschen Kinderpsychologin, die seit den frühen siebziger Jahren einen publizistischen Kreuzzug gegen die Sexualaufklärung von Kindern führte und den heutzutage von Rechten so gern verwendeten negativ konnotierten Begriff der »Frühsexualisierung« ­populär machte. Meves wiederum war vom Nazi-Arzt und Euthanasietäter Werner Villinger inspiriert, in dessen unwissenschaftlichen Pamphleten aus den zwanziger Jahren der Begriff »Frühsexualisierung« erstmals auftauchte.

Trattnig gilt als eine der ideologischen Bezugsfiguren der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ). Diese hetzt nicht allein gegen Zuwanderung, sondern auch gegen nichtheterosexuelle Menschen und Lebensentwürfe. Vergan­genes Jahr fuhr die IB im Juni, als weltweit im Zuge des Pride Month Demonstrationen für LGBT-Rechte stattfanden, die Kampagne »Patriot Month statt Pride Month«.

Die Identitären sind seit der Offenlegung ihrer Verbindungen zu einem rechtsterroristischen Massenmörder insgesamt stiller geworden – der Attentäter, der in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen tötete, hatte mehrere Tausend Euro an die österreichischen Identitären gespendet. Doch im Zuge der Covid-19-Pandemie fanden viele Rechtsextremisten ein neues Reizthema und neue Verbündete. Zum klassischen neonazistischen Milieu war ein bunter Haufen an christlichen Fanatikern und Verschwörungstheoretikerinnen hinzugekommen, der auf wöchentlichen Demonstrationen seinen Wahn in die Welt brüllte. Zentral auch bei den Seuchentodbefürwortern: Homophobie. So zerriss die Szene­größe Jennifer Klauninger bei einer Coronademonstration am 5. September 2020 auf offener Bühne und unter großem Jubel eine Regenbogenfahne, ­wobei sie rief: »Ihr seid kein Teil der Gesellschaft! Wir müssen unsere Kinder vor Kinderschändern schützen!«

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet hatten in Österreich seit Ende der neunziger Jahre evangelikale Freikirchen und rechtskatholische Sekten wie Opus Dei und Engelwerk ihre Aktivitäten intensiviert. Diese ­religiös-fundamentalistischen Kräfte werben gezielt um einsame und verwirrte Menschen, die sich von der Moderne überfordert fühlen.

In solchen Milieus verbreiteten sich Wahnvorstellung einer »satanischen Verschwörung« einer »globalistischen Elite«. Es gebe eine Weltverschwörung mit dem Ziel, Kinder zu pervertieren oder gar gleich dem Teufel zu opfern. Hinter Euphemismen wie »Globalisten« steckt nichts anderes als blanker Anti­semitismus. Als das Internet und vor allem die sozialen Medien um das Jahr 2010 ihren Siegeszug begannen, vermischten sich christlicher und neonazistischer Antisemitismus. Mit dem Vehikel des »Kinderschutzes« konnten sie seither erheblich an Verbreitung gewinnen. Ironischerweise sind die Hassreden gegen die »Globalisten« weltweit fast identisch. Ob in den Appalachen oder in Ungarn, überall wettern sie gegen »pädophile Eliten«, »Früh­sexualisierung« oder, was alle Ressentiments zusammenfasst, die »Gender-Ideologie«.

Die FPÖ hatte sich lange mit offener homophober Hetze zurückgehalten. Das lag womöglich auch am Wirken von Jörg Haider, der in den Achtzigern die Renaissance der österreichischen Rechten einleitete. Unter Freiheitlichen galt lange die Marschrichtung: Gegen alles hetzen, außer gegen Schwule. Seit Haiders Unfalltod 2008, und seit in der FPÖ wieder Rechtsextreme der alten Schule das Sagen haben, hat sich das wieder geändert. Der oberösterreichische FPÖ-Vorsitzende Manfred Haimbuchner zum Beispiel ließ auf Facebook ein Sharepic posten, auf dem neben seinem Foto zu lesen stand: »Ich will nicht, dass der Franz den Lois heiratet, um den Sepp zu adoptieren.« Das mag man unfreiwillig komisch finden, aber die gefährlichen Zutaten sind alle da, vor allem auch die Andeutung, homosexuelle Paare würden Kinder zum Zwecke des »Grooming« adoptieren, also um sich die Gelegenheit zu verschaffen, sie sexuell zu missbrauchen.

Noch sieht es laut Meinungsum­fragen danach aus, dass die große Mehrheit in Österreich nicht zurück will in Zeiten, in denen LGBT-Menschen strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich diskriminiert wurden. Der »Europäischen Wertestudie« der Universität Wien zufolge ist die Akzeptanz für Homosexualität deutlich gewachsen. 1990 hatten noch 40 Prozent der Befragten angegeben, sie hätten Homosexu­elle nicht gerne als Nachbarn, 2008 waren es noch 25 Prozent und 2018 nur noch 13 Prozent. Aber wie Beispiele aus den USA, Ungarn und anderen Ländern zeigen, braucht es für einen gesellschaftspolitischen Rollback keine Mehrheit, sondern bloß eine kritische Masse.