Der Antiamerikanismus des Kreml stößt in Südafrika auf Gegenliebe

Mit Putin gegen die Energiewende

Mehrere afrikanische Regierungen wollen gemeinsam zwischen den Kriegsparteien Ukraine und Russland vermitteln. Südafrikas Regierung, die sich an der Initiative beteiligt, ließ wiederholt Zweifel an der Neutralität des Landes in dem Konflikt entstehen und kokettierte mit kremlnahen Positionen.

»Die Bewaffnung von Russen ist eine äußerst ernste Angelegenheit«, und: »Wir würden es begrüßen, wenn Süd­afrika seine Politik der Blockfreiheit auch praktiziert«, zitierte das südafrikanische Nachrichtenportal News 24 am 11. Mai den US-amerikanischen Botschafter in Südafrika, Reuben E. ­Brigety II. Dem lokalen Fernsehsender Newzroom ­Afrika habe er demnach auch gesagt: »Wir glauben, dass Waffen auf das Schiff geladen wurden, und ich würde mein Leben darauf verwetten, dass wir damit richtig liegen.«

Brigetys Anschuldigungen bezogen sich auf ein Vorkommnis im Dezember 2022, das allgemein für Spekulationen gesorgt hatte. Das russische Frachtschiff »Lady R« hatte für mehrere Tage im Hafen der südafrikanischen Marine in Simon’s Town in der Nähe von Kapstadt angelegt. Sowohl die südafrikanische als auch die russische Regierung verweigerten die Auskunft darüber, was der Frachter lud oder entlud. Es sei nicht ungewöhnlich, dass ausländische Frachtschiffe in Südafrika anlegten, dafür werde aber in der Regel der zivile Hafen in Kapstadt genutzt, so die Einschätzung des Journalisten David McKenzie am 12. Mai auf der Nachrichtenseite des US-amerikanischen Senders CNN. Ein Marinehafen erschien daher als eher ungewöhnliches Ziel für den russischen Frachter.

Da Botschafter Brigety für seine Beschuldigungen keine Beweise vorbringen konnte, musste er diese tags darauf revidieren und sich bei der südafrikanischen Regierung entschuldigen. Trotzdem gilt die Art und Weise, wie Brigety das diplomatische Protokoll gebrochen hat, als klare Warnung an die südafrikanische Regierung, die Beziehungen zu Russland nicht übermäßig freundschaftlich zu gestalten. Neben diplomatischen Verstimmungen löste er damit erneute Diskussionen über die Haltung der Republik Südafrika und der Regierungspartei African National Congress (ANC) zum Krieg in der Ukraine aus.

Weitverbreitete antiimperialistische Vorstellungen
Im Februar 2022 hatte die Außenministerin Grace Naledi Mandisa Pandor (ANC) den russischen Angriff auf die Ukraine noch öffentlich verurteilt. Präsident Matamela Cyril Ramaphosa (ANC) widersprach der Erklärung des Außenministeriums jedoch umgehend. Seither betonen Politiker des ANC, darunter auch Ministerin Pandor, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und Südafrika und ­erklären, Südafrika ergreife nicht Partei in dem Konflikt. Gemeinsam mit weiteren Staaten des südlichen Afrika ent­hielten sich die Vertreter des Landes bei allen Abstimmungen in der UN-Vollversammlung, die den Ukraine-Krieg betrafen. Die südafrikanische Position wird vom Interesse an der vielbeschworenen neuen »multipolaren Weltordnung« bestimmt, in der die USA nicht mehr Welthegemon wären. Diese Sichtweise bedient in Südafrika weitverbreitete antiimperialistische Vorstellungen.

Die südafrikanische Beteuerung, neutral zu bleiben, wird immer wieder von der Betonung der Verbundenheit zu Russland konterkariert. Diese wiederum lässt sich nicht unbedingt mit einer engen wirtschaftlichen Verbindung der beiden Länder erklären. Vielmehr ist die südafrikanische Wirtschaft in erheblichem Maße von einem privilegierten Zugang zu den Märkten der USA und der EU abhängig.

Nach der Anschuldigung, Waffen an Russland zu liefern, erreichte der Wechselkurs des südafrikanischen Rand zum US-Dollar einen nie dagewesenen Tiefstand. Die Beziehungen zu den USA durch eine Annäherung an Russland zu beschädigen, könnte erhebliche Konsequenzen für Südafrika nach sich ziehen. Nicht nur ein möglicher Ausschluss aus dem US-amerikanischen African Growth and Opportunity Act, der den Mitgliedstaaten weitreichenden steuerfreien Zugang zum US-Markt garantiert, würde Südafrika schwer treffen. Fürchten müsste das Land auch den Ausschluss aus dem von den USA initiierten Anti-Aids-Programm President’s Emergency Plan for Aids Relief (Pepfar), dessen Wegfall das marode Gesundheitssystem nicht kompensieren könnte.

»Es handelt sich nicht mehr nur um einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern in erster Linie um einen Konflikt zwischen den USA sowie der US-geführten Nato und Russland.« Resolution des ANC

Erkennbar um Deeskalation bemüht, kündigte Präsident Ramaphosa auf die Anschuldigungen hin an, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen, um herauszufinden, ob jemand im Militärhafen Waffen verladen habe – er spielt also auf Zeit. Gleichzeitig verkündete er eine gemeinsame Friedensinitiative im Verbund mit Sambia, Senegal, der Republik Kongo, Uganda und Ägypten, mit deren Staatsoberhäuptern er eine gemeinsame Reise nach Moskau und Kiew antreten wolle. Sowohl Russlands Präsident Wladimir Putin als auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagten vergangene Woche zu, eine vereinte Friedensdelegation der afrikanischen Vertreter zu empfangen.
Südafrika versucht so, an seine traditionelle Vermittlerrolle in internationalen Konflikten anzuknüpfen und die Frage nach Waffenlieferungen an Russland in den Hintergrund zu drängen. Als jüngster Erfolg südafrikanischer Vermittlungen gilt die Vereinbarung von Pretoria, die am 2. November 2022 den zwei Jahre andauernden Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien beendete.

Südafrikas Außenpolitik ergibt sich auch aus den innenpolitischen Problemen des Landes. Das marode Stromnetz des staatlichen und von Korruption geprägten Energiekonzerns Eskom steht kurz vor dem Zusammenbruch und kann die Stromversorgung landesweit nur mit täglichen mehrstündigen Stromabschaltungen (load shedding) aufrechterhalten.

Präsident Ramaphosa konnte Kampfabstimmungen um die Führung des ANC 2017 und 2022 nur knapp für sich entscheiden. Um Parteivorsitzender zu bleiben, ist er insbesondere auf die Zustimmung der Mitglieder aus der Kohleprovinz Mpumalanga und auf die des Ministers für Bergbau und Energie, Samson Gwede Mantashe, angewiesen. Die im Kohleabbau beschäftigten und mit der Branche verbundenen Parteimitglieder und Wähl­er:innen sind für die antiwestliche Rhetorik Putins und sein Eintreten für einen fossilen Kapitalismus besonders empfänglich.

Von der ANC-Führung mitgesteuerte kriminelle Netzwerke
Mantashe führt einen Abwehrkampf gegen eine Energiewende, für die unter anderem auch Deutschland bis zu acht­einhalb Milliarden US-Dollar Unterstützung zugesagt hat. Der Kohleabbau und die damit verknüpften Dienstleistungsbereiche waren in der Zeit der Transformation nach dem Ende der Apartheid 1994 Südafrikas erfolgreichste Wirtschaftsbereiche. Der Aufstieg der neuen schwarzen Oberschicht und vieler ANC-Kader ist mit dem ­Minenbesitz verbunden. Mehr als der Dienstleistungs- und der Bankensektor gibt es hier schwarzes Eigentum.

Hinzu kommen kriminelle Netzwerke, die aus der ANC-Führung mitgesteuert werden und das Geschäft durchziehen. Mit einer Energiewende verlören der ANC und einige seiner führenden Vertreter ihre ökonomische Grundlage. Putin hatte mit Ramaphosas Amtsvorgänger Jacob Zuma (ANC) 2014 ein milliardenschweres Atomstromprogramm vereinbart. Auch wenn das Oberste Gericht Südafrikas dieses Vorhaben 2017 für rechtswidrig erklärte und der Plan mit dem Rücktritt Zumas vom Präsidentenamt hinfällig wurde, hatte Russland damit erkennbar Angebote an wichtige Fraktionen im ANC gemacht.

Die Russische Föderation hat sich erfolgreich als Staat inszeniert, der in der Tradition der sowjetischen Unterstützung der Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika steht. Der Ukraine hingegen ist es seit ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 hingegen kaum gelungen, stabile diplomatische Verbindungen zu Südafrika oder zu anderen afrikanischen Ländern aufzubauen, die Hauptabnehmer der ukrainischen Getreideexporte sind.

Dem ANC droht der Verlust der Mehrheit
Der ANC hat auf seinem Parteitag vom Dezember 2022 eine Einschätzung des Kriegs formuliert, die die russische Interpretation fast vollständig übernimmt: »Es handelt sich nicht mehr nur um einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern in erster ­Linie um einen Konflikt zwischen den USA sowie der US-geführten Nato und Russland, in dem die Ziele der sogenannten Wolfowitz-Doktrin verfolgt werden.« Die Wolfowitz-Doktrin war eine außenpolitische Strategie aus den Neunzigern, die auf eine Ausweitung des Einflusses der USA sowie auf eine Eindämmung des chinesischen und russischen Einflusses in der Welt abzielte, und vor allem die Außenpolitik von Präsident George W. Bush (2001–2009) beeinflusst hat.

Dem ANC droht bei den 2024 anstehenden Parlaments- und Regionalwahlen der Verlust der absoluten Mehrheit im Unterhaus, der Nationalversammlung. Mit ihrer Russland-Politik stößt die Partei bei der Wählerschaft jedoch auf Zustimmung und kann sich so gegen die Konkurrenten von der linkspopulistischen Partei Economic Freedom Fighters stärken. Die urbanen, linksakademischen und internationalistisch eingestellten Wähler:innen, deren Stimmen der ANC bereits bei den Regionalwahlen 2021 eingebüßt hatte und die vermutlich eine andere Außenpolitik bevorzugen würden, sind für den ANC wohl ohnehin nicht mehr erreichbar.

Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass Putin bei einer Teilnahme am Gipfel der sogenannten Brics-Staaten in Südafrika im August verhaftet wird. Die Abkürzung Brics steht für die Mitgliedsländer Brasilien, Russland, Indien und Südafrika, die sich als aufstrebende Volkswirtschaften in dieser Zusammensetzung seit 2010 organisieren. Am 17. März hatte der Internationale Gerichtshof in Den Haag gegen Putin einen Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen. Südafrika hat das Römische Statut, die vertragliche Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs, ratifiziert.