Produktives High. Der Trend zur Mikrodosierung von LSD und anderen Drogen

Ein besseres Erleben im Falschen

Psychedelische Drogen werden immer häufiger für die Selbst­optimierung benutzt, gleichzeitig finden sie in die Forschung zurück und wecken Hoffnungen als Heilmittel für psychische Erkrankungen.

Seit einigen Jahren finden wieder zaghafte Forschungen mit lange verbannten und verpönten Substanzen statt, die viele Menschen mit Wahnsinn, Chaos, Umsturz und somit Gefahr verbinden: LSD wird in der Sterbebegleitung erprobt, MDMA (vulgo »Ecstasy«) bei posttraumatischen Belastungsstörungen, Psylocybin und Ketamin bei Depressionen, Ibogain gegen Sucht usw. Das bekannteste Psychoaktivum ist wohl das LSD, das 1938 zufällig von Albert Hofmann entdeckt wurde, und erst nach militärischen und geheimdienstlichen Experimenten seinen Weg in die aufkommende Beat- und Hippiekultur fand, wie Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter in ihrem Buch »Neues von der anderen Seite« (Suhrkamp, 2015) dokumentieren. In der Gegenkultur wurde es schnell zur Droge der Bewusstseinserweiterung, der Absage an stumpfe Regeln, Traditionen und Pflichten, des Aufbruchs in eine neue Welt der All-Verbundenheit. US-Präsident Richard Nixon bezeichnete Ende der sechziger Jahre Timothy Leary als »den gefährlichsten Mann in Ame­rika«, weil dieser unablässig die Einnahme von LSD empfahl. 
Der Verbreitung der Droge folgte bald die staatliche Reaktion: LSD wurde il­legalisiert. Das bedeutete auch das Ende der Forschung. Die Wissenschaft war nun angehalten, Argumente für den Krieg gegen die Drogen zu liefern. Somit wurden die möglichen negativen Effekte, hauptsächlich das Auftreten von psychotischen Episoden oder gar chronischen Psychosen, als zwingende Konsequenz des Konsums dargestellt. Daher verwundert es wenig, dass die Angst vor LSD und Konsorten immer noch präsent ist. So fragte etwa Hannes Schrader in seinem Artikel »LSD statt Kaffee« in Zeit Campus Ende vorigen Jahres, wie gefährlich denn dieser Trend zur »Mikrodosierung« sei.
Das Neue an der Renaissance der Psychedelika ist nämlich, dass sie nicht mehr in bewusstseinserweiternden Dosen eingenommen werden, sondern in Dosierungen, die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle bleiben (sollen). Was soll ein solches sogenanntes Microdosing dann bringen, könnte man fragen. Darauf gibt es zwei Antworten: Zum einen wird das Mikrodosieren als schlichtes Neuroenhancement genutzt, also zur Optimierung der Hirnleistung. Wenn man heute nach San Francisco geht, sollte man also nicht mehr Blumen im Haar tragen, wie es im berühmten Lied von Scott McKenzie heißt, sondern LSD in nicht systemgefährdenden Dosen mit sich führen. Denn im Silicon Valley fand dieser Trend der Optimierung von Problemlösungen seinen Anfang. Das sei al­lerdings schon in den sechziger Jahren der Fall gewesen, schreiben Hanske und Sarreiter. 
Neu am derzeitigen Trend ist lediglich die Mikrodosierung, die ausgeglichener, klarer, kreativer machen soll, von Schrader schon auf den spießigen Punkt gebracht: LSD statt Kaffee. In diesem Sinne reiht sich das mikrodosierte LSD als Neuroenhancement ein in die Liste von Amphetamin, Methamphetamin, Ritalin und Kokain. Es geht hierbei um die schnöde Optimierung der Ware Arbeitskraft beziehungsweise der Marke Ich. Der einzige Vorteil beim mikrodosierten LSD ist, dass es so gut wie keine Nebenwirkungen erzeugt, die Optimierung also reibungslos vonstatten gehen kann. Während Kaffee ein hibbeliges Auf und Ab des Wachheitsgefühls erzeuge, sei es bei mikrodosiertem LSD wie bei einer Fahrt auf einer frisch geteerten Autobahn, zitiert Schrader einen Interviewpartner. Das anarchische Schreckgespenst LSD wird so in sein Gegenteil verkehrt und zur ausgeglicheneren Ausbeutbarkeit genutzt.
Die zweite Antwort auf die Frage nach dem Nutzen des Trends ist interessanter: Mikrodosierte Psychedelika könnten den psychopharmakologischen Betrieb durcheinanderwirbeln. Es gibt nämlich vielversprechende Hinweise, dass sie bei sogenannten psychischen Erkrankungen oder Störungen weit bessere Ergebnisse erzielen als die etablierten Psychopharmaka und das auch noch so gut wie ohne Nebenwirkungen. Der Depressionsforscher Carlos Zarate spreche beispielsweise bezüglich des Einsatzes von Ketamin bei Depressionen vom größten Durchbruch seit 50 Jahren, schreiben Hanske und Sarreiter. 
Was genau soll nun der Vorteil der neu entdeckten Heilmittel gegenüber den etablierten Medikamenten sein? Die Anwendung von Antidepressiva und Antipsychotika fußt auf der Annahme, dass ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter, also der Botenstoffe des Gehirns, bestehe. Bei der Depression wäre das also, vereinfacht gesagt, zu wenig Serotonin, bei der Schizophrenie ein Durcheinander beim Dopamin. Die Psychopharmaka sollen dieses Ungleichgewicht beseitigen und eine Stabilisierung bewirken. Daher wird auch oft empfohlen, die Medikation langfristig beizubehalten.
Soweit die Theorie, doch so ein Ungleichgewicht konnte noch nie nachgewiesen werden. Es ist eine reine Hypothese ohne jegliche empirische Unterstützung. Depressiven Menschen werden teilweise über Jahre Antidepressiva verschrieben, deren Wirksamkeit mehr als fraglich ist. Den meisten Antidepressiva gelingt nur ein minimaler Vorsprung gegenüber Placebos. Wenn allerdings ein aktives Placebo eingesetzt wird, also eines, das zum Beispiel Mundtrockenheit verursacht, ohne sonstige Effekte zu besitzen, ist auch dieser Vorsprung dahin. So wie die Entdeckung jedes relevanten Psychopharmakons Zufall war, scheint auch ihre Anwendung einem Schuss ins Blaue zu gleichen. Das Ungleichgewicht im Neurotransmitterhaushalt kommt erst durch die Gabe der Medikamente zustande. Bei manchen hat das positive Auswirkungen, sie erleben eine Verbesserung ihres Zustandes, bei anderen passiert gar nichts oder ihr Zustand verschlechtert sich sogar. Insbesondere bei Antipsychotika können die Nebenwirkungen verheerend sein, umso mehr, je länger sie eingenommen werden. Zudem kann hier nicht von einer Heilung gesprochen werden, sondern das emotionale Erleben wird verflacht, wodurch Wahnvorstellungen und Paranoia ihren Schrecken verlieren. Gleichzeitig ist jedoch das gesamte Gefühlsleben wie in Watte gepackt, was von vielen als sehr unangenehm beschrieben wird. Für Psychotikerinnen und Psychotiker gilt es als typisch, dass sie ihre Medikamente absetzen, was dann in der Regel ihrer mangelnden Krankheitseinsicht zugeschrieben wird anstatt ihrer begründeten Sehnsucht danach, wieder ungefiltert fühlen zu können.
Die Daten zur alternativen Behandlung schizophrener Störungen sind noch etwas dürftig, trotzdem gibt es vielversprechende Anzeichen, etwa für die Wirksamkeit von Cannabis, wie Will Hall auf dem Blog von »Mad in America« berichtet. Besonders der Bestandteil Cannabidiol hat eine antipsychotische Wirkung – im Gegensatz zum bekannteren THC, das sich auf psychotische Zustände sehr ungünstig auswirken kann. Das A und O in der therapeutischen Nutzung von Cannabis sei wiederum die Dosierung, schreibt Hall. Doch dadurch, dass die Cannabisproduktion und -distribution dem Schwarzmarkt überlassen werden, gibt es keine Diversität der Cannabisprodukte und eine Kontrolle derselben ist unmöglich.
Aber zurück zum Microdosing. Peter Gasser, ein Schweizer Pionier der europäischen Forschung in diesem Bereich, berichtet zum Beispiel von Erfolgen mit mikrodosiertem LSD bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Einer Patientin, die aufgrund schwerer Kindheitstraumata unter dissoziativen Episoden litt, habe Gasser in einigen Sitzungen bei der Bewältigung ihrer Probleme deutlich weiterhelfen können, schreibt Carole Koch in ihrem Artikel »Mit Drogen Ängste lindern« in der NZZ. Gerade für die Behandlung von PTBS ist Mikrodosierung vielversprechend. Die Multidisciplinary Asso­ciation for Psychedelic Studies (MAPS), eine Pioniereinrichtung in den USA, die viele Forschungsprojekte finanziert und Lobbying betreibt, hat zur Rehabilitation traumatisierter Soldaten ein umstrittenes MDMA-Projekt in Kooperation mit dem Militär durchgeführt.
Es wird deutlich, dass Microdosing zwar dem jeweiligen Individuum effektiv und mit wenigen bis gar keinen Nebenwirkungen helfen kann, am falschen Ganzen aber nichts verbessert. Im schlimmsten Fall optimiert es nur die Verwaltung des Elends.