Mit nur 49 Jahren ist der Musiker Torsun Burkhardt in Berlin gestorben. Ein Nachruf.

Abschied vom Antihelden

Viel zu jung ist der Sänger und Bassist Torsun Burkhardt am Vorabend des Silvesterfestes in Berlin gestorben. Mit seiner Band Egotronic hat er nicht nur die Kulturszene der Hauptstadt aufgemischt. Linke konnten von ihm auch politisch lernen.

Am 27. Dezember 2023 plädierte der britische Journalist Paul Mason in der Frankfurter Rundschau für eine radikale und humanistische Linke, die über einen Kompass verfügt. Eine Linke, die sich konsequent Autokraten und Nationalismus entgegenstellt und zwischen antisemitischen Terroristen und einer Freiheitsbewegung zu unterscheiden vermag. Beim Lesen des Textes musste ich sofort an Torsun denken. Für mich waren Torsun und sein langjähriges Bandprojekt Egotronic musikalisch, inhaltlich und habituell immer der Ausdruck einer solchen Linken, die das Leben liebt. Eine Linke, in der mensch »ich« sagt, statt sich hinter einem eher nebulösen »wir« zu verstecken – und die dazu auch steht, mit allen Konsequenzen. Bei Egotronic steckte das schon im Bandnamen.

Als Egotronic Anfang der nuller Jahre auf der Bildfläche der linken Venues und künstlerischen Szenen auftauchten, war das nicht weniger als eine musikalische Revolution. Wo bislang der rockige Sound unangefochten die Bühnen beherrschte, gab es nun Beats und Electrosounds. Nicht nur musikalisch war das bald sehr erfolgreich. Es ging ja immer auch ums Praktisch-Politische: Um Solidarität vor Ort, gerade auf dem Land, wo der Faschismus grassierte und es Linke besonders schwer hatten. Um »die richtige Einstellung« – zu Liebe, Leben und Genuss. Und natürlich um den Kampf gegen die deutschen Zustände. In der sogenannten Mitte der Gesellschaft, aber eben auch innerhalb der Linken.

»Deutsche Leitkultur« und »Raven gegen Deutschland«, diese zwei Songs hatten (nicht nur) für mich das Zeug zum Ohrwurm. Sie waren Hymnen linken Empowerments, die eine ganze Generation junger radikaler Linker in alternativen Orten und Räumen geprägt haben. Das alles hatte auch sehr viel mit Torsun zu tun, dessen Geradlinigkeit, Radikalität und politische Unbestechlichkeit für viele ein Kraftquell waren. Auch für mich.

In gewisser Weise war Torsun ein Antiheld. Auch dass die Band immer erfolgreicher und bekannter wurde, änderte nichts daran, dass er anderen auf gleicher Augenhöhe begegnete. Ich glaube, seine ganze Persönlichkeit sträubte sich dagegen, Eitelkeiten und Allüren zu kultivieren. Torsun blieb stets er selbst: Ein Mensch mit Zweifeln, Verletzlichkeiten und Ängsten. Mir sind nur wenige begegnet, die mit seiner Liebenswürdigkeit und Menschenfreundlichkeit mithalten konnten. Kategorisierungen in Schubladen, Fähnchenschwenken und identitäre Herdenbildung waren ihm immer ein Graus. Torsun hat es sich nie erspart, sich seine Haltung anderen Menschen gegenüber voller Neugier und mit großer Offenheit selbst zu erarbeiten. Auch seine Texte und Musik waren eben nie einfach Plakat und Parole. Sie waren die Summe seiner tätigen (inklusive müßiggängerischen) Verarbeitung der gesellschaftlichen Realität und der Fährnisse des Lebens.

Politisch hätte Torsun sich viele unschöne Erlebnisse und Enttäuschungen erspart, wären seine Haltung gegen Antisemitismus und sein Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens und zum Existenzrecht Israels nicht so unverhandelbar gewesen. Diese glasklare Haltung hatte er schon längst, als ich sie mir erst noch zu erarbeiten begann. Danke dafür!

Auf dem Album »Die Natur ist dein Feind« von 2014 versucht Torsun mit der Tatsache umzugehen, dass sein Körper einen Krieg gegen ihn vom Zaun gebrochen hatte. Vor sieben Jahren stellte er im Berliner Monarch sein »Tagebuch eines Fastenden« vor. Es war eine schwarzhumorige Auseinandersetzung mit Fastenkuren, die ihn, mit seinem bis dato multitoxischen Lebenswandel, von nun an begleiteten, und auch eine Abrechnung mit esoterischen Weltsichten. Wir sprachen an jenem Abend viel über die Zumutungen und Einschränkungen, die seine rheumatische Autoimmunerkrankung mit sich brachte.

Einfach hat er es sich nie gemacht. Niemals stehenbleiben, immer weitergehen. Künstlerisch wäre es ihm leichtgefallen, sich auf dem einmal errungenen Erfolg auszuruhen. Aber schon Egotronic waren nie nur Kontinuität, sondern immer auch Experiment und Wandlung. Nach 20 Jahren wurde es jedoch Zeit für etwas Neues: Torsun & The Stereotronics, mit seiner Liebsten Sina Synapse und seinem Egotronic-Kollegen Christian Schilgen. Wie glücklich war Torsun über das erste fertige Album, »Songs to Discuss in Therapy«! Da sollte noch so viel mehr kommen. Aber die Diagnose einer tödlichen Krebserkrankung im Frühjahr 2023 machte die Hoffnungen zunichte.

Politisch hätte Torsun sich viele unschöne Erlebnisse und Enttäuschungen erspart, wären seine Haltung gegen Antisemitismus und sein Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens und zum Existenzrecht Israels nicht so unverhandelbar gewesen. Diese glasklare Haltung hatte er schon längst, als ich sie mir erst noch zu erarbeiten begann. Danke dafür! Mit der Gründung von Artists Against Antisemitism reagierte Torsun schon sehr früh auf eine unappetitliche autoritäre und denkfaule Schlachtenbummlerei, die sich in mancher linken und kulturellen Szene bequem eingerichtet hatte. Nach dem antisemitischen Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 blieben Torsun nur mehr die sozialen Medien, um Wut und Frustration über das ohrenbetäubende Schweigen in der Linken und der Kultur auszudrücken. Für Bühnenauftritte oder Interviews reichte seine Kraft da schon länger nicht mehr.

Torsun jung

Adieu, Torsun!

Bild:
instagram.com/torsun_ego

Das »Bonusleben« dank seiner palliativen Chemotherapie war gerade noch lang genug für eine neue und letzte Single, fürs Abschiednehmen und um die künstlerische Lebensbilanz zu ordnen: Torsun und Audiolith haben uns zu Weihnachten – seinem, wie er schrieb, »last Christmas« – ein wunderbares Geschenk gemacht. Sie haben dafür gesorgt, dass wir auf Doppel-Vinyl (»Das Unbehagen in der Kultur«) das Schönste aus 20 Jahre Egotronic mitnehmen konnten in das neue Jahr.

Torsun hat 2024 nicht mehr erleben können. Am 30. Dezember hat er den Kampf gegen die grauenhafte Krankheit verloren. Und auch wenn er selbst alles getan hat, um uns auf diesen Tag vorzubereiten: Als es geschah, war es doch ein harter Schlag in die Magengrube. Krebs ist ein Arschloch. Hab Dank für alles, Genosse, du wirst uns sehr dolle fehlen. L’Chaim & rest in power!