https://jungle.world/artikel/2024/39/wildberries-milliarden-toedliche-familien-fehde-moskau
Die Scheidung zwischen Tatjana Bakaltschuk, der reichsten Geschäftsfrau Russlands, und ihrem Ehemann Wladislaw eskalierte zu einer Schießerei mit zwei Toten. Das Paar streitet sich um die Rechte an dem milliardenschweren Handelskonzern Wildberries.
Wenn, wie Mitte voriger Woche, nur wenige Hundert Meter vom Kreml entfernt Schüsse fallen, ist das ein Eklat, der sich nicht unter den Tisch kehren lässt, zumal wenn zwei Tote und sieben Verletzte zu beklagen sind. Gegen 33 Personen wurden Strafverfahren eingeleitet, allen voran gegen den Geschäftsmann Wladislaw Bakaltschuk, derzeit noch Ehemann von Tatjana Bakaltschuk, der Gründerin und Generaldirektorin des russischen Online-Versandhandels Wildberries und reichsten Geschäftsfrau Russlands. Es geht um Mord und versuchten Mord.
Allein im vergangenen Jahr betrug der Jahresumsatz von Wildberries rund 25 Milliarden Euro mit einem Reingewinn von knapp 190 Millionen.
Die Schießerei ereignete sich am 18. September am Firmensitz von Wildberries. Offiziell ließ der Konzern verlautbaren, Wladislaw Bakaltschuk habe versucht, sich gewaltsam Zutritt zu Büroräumlichkeiten gleich an zwei Standorten des Unternehmens zu verschaffen, obwohl er dazu kein Recht besitze. Nachdem Tatjana die Firma 2004 gegründet hatte, brachte Wladislaw eigenes Vermögen und sein Wissen ein, hält aber nur ein Prozent der Aktien des Konzerns.
Seine bewaffneten Begleiter hätten geschossen, als sie eindrangen, und dabei Wachleute getötet, hieß es in der Erklärung des Konzerns weiter. Wladislaw seinerseits gab zu Protokoll, er sei erschienen, um Firmendokumente einzusehen. Am Eingang habe es lediglich eine verbale Auseinandersetzung mit dem Wachpersonal gegeben, plötzlich habe er Schüsse gehört und sich daraufhin in Sicherheit gebracht. Den Vorfall bezeichnete er als Provokation.
Seit drei Monaten beschäftigt die russische Öffentlichkeit, womit sich unter anderen Umständen womöglich nur ein überschaubarer Personenkreis befasst hätte. Am 18. Juni wurden Pläne bekannt, Wildberries mit dem Werbeunternehmen Russ Outdoor zu fusionieren – ein, gelinde gesagt, ungleiches Gespann.
Allein im vergangenen Jahr betrug der Jahresumsatz von Wildberries rund 25 Milliarden Euro mit einem Reingewinn von knapp 190 Millionen, während der Umsatz bei Russ Outdoor gerade mal bei 280 Millionen und der Reingewinn bei knapp 50 Millionen lag. Überaus sonderbar wirkt mit Blick auf die so ungleiche ökonomische Potenz der Firmen die Aufteilung der Anteile nach der Fusion mit 65 Prozent für die Bakaltschuks und 35 Prozent für den Juniorpartner.
Wildberries gehört mit über 32.000 Festangestellten und Zehntausenden weiteren Beschäftigten, die unterschiedliche Arten von prekären Verträgen haben, zu den größeren Arbeitgebern in Russland. Das Unternehmen verfügt über ein ausgedehntes Netzwerk an Filialen nicht nur in jeder russischen Stadt, sondern auch in ländlichen Regionen, deren Versorgung immer mehr in Abhängigkeit von Wildberries und der starken Konkurrenz von Ozon gerät. Mit 35 beziehungsweise 31 Prozent Marktanteil am Online-Handel nehmen diese beiden Unternehmen in ihrer Sparte die Spitzenplätze ein. Nicht zuletzt werden vermittelt durch Wildberries Waren importiert, die Sanktionen unterliegen.
Seit vorigem Jahr allerdings sorgt Wildberries für Negativschlagzeilen: Erst gab es 2023 eine Streikwelle, dann folgte ein Großbrand in einem der Warenlager in Sankt Petersburg zu Jahresbeginn. Dem waren Inspektionen durch allerlei staatliche Instanzen vorausgegangen – ein Indiz für ernsthafte Probleme des Unternehmens.
Doch wie bestellt bot daraufhin der aus Dagestan stammende Großunternehmer und Abgeordnete des Föderationsrats, Sulejman Kerimow, der oft als Selfmade-Milliardärin dargestellten Tatjana Bakaltschuk seine Hilfe an – besser gesagt seine Beziehungen zum Leiter der Präsidialverwaltung, Anton Wajno, und über ihn zu Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich. Nach Recherchen des kremlkritischen russischen Investigativportals Projekt wird Kerimow mit Russ Outdoor in Verbindung gebracht. Und bei der Umverteilung großer Vermögen läuft nichts ohne das Votum des russischen Präsidenten.
Tatjana Bakaltschuks Ehemann Wladislaw stellte sich von Anfang an gegen die Fusion, konnte jedoch nicht einmal verhindern, dass im Frühjahr das Management von Wildberries ausgetauscht wurde.
Wladislaw Bakaltschuk bat den für seine gewaltsamen Methoden berüchtigten Machthaber Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, um Unterstützung.
Schließlich leitete Tatjana die Scheidung der langjährigen Ehe ein. Nicht nur brach sie den Kontakt zu ihrem Mann abrupt ab, sie beanspruchte auch die gemeinsam aufgebaute Firma für sich allein – ein gefundenes Fressen für die Regenbogenpresse. Noch im Juli bat Wladislaw Bakaltschuk den für seine gewaltsamen Methoden berüchtigten Machthaber Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, um Unterstützung.
Kerimow soll Putin die Fusion mit der Geschäftsidee schmackhaft gemacht haben, eine Alternative zum internationalen Zahlungssystem Swift zu etablieren, von dem russische Banken sanktionsbedingt weitgehend abgekoppelt sind. Bei diesem Deal ging Kadyrow leer aus, anders als bei der Übernahme der russischen Produktion der Konzerne Danone und Carlsberg. An der Schießerei waren Tschetschenen beteiligt. Einer von ihnen berichtete beim Haftprüfungstermin, er diene in der tschetschenischen Spezialeinheit Achmat, die formal zur Nationalgarde gehört.
Just zwei Tage nach dem Vorfall genehmigte die russische Antimonopolbehörde FAS die Fusion. Die über zwei Dutzend in der Angelegenheit Verhafteten sollen sich zum Fronteinsatz in der Ukraine gemeldet haben. Die Vorwürfe gegen Wladislaw Bakaltschuk wurden noch am Freitag fallengelassen und seine Ehefrau Tatjana tritt seit Montag wieder unter ihrem vorehelichen Nachnamen Kim in Erscheinung, obwohl die Ehe noch nicht geschieden ist.