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Nach den Ausschreitungen in Amsterdam versuchen antizionistische Gruppen, die antisemitische Gewalt umzudeuten.
Die Ermittlungen zu den Ausschreitungen rund um das Europapokalspiel zwischen Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv am 7. November dauern an. Die niederländische Polizei fahndet derzeit nach 45 Personen, die der Verwendung »exzessiver Gewalt« verdächtigt werden. Neun niederländische Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft.
Hintergrund für die Ermittlungen sind Ausschreitungen in der Nacht vom 7. auf den 8. November in der niederländischen Hauptstadt. In deren Verlauf waren unter Rufen antizionistischer und teils offen antisemitischer Parolen vermeintliche oder tatsächliche Fans des israelischen Fußballclubs angegriffen worden. 60 Personen wurden verletzt, fünf mussten im Krankenhaus behandelt werden.
Die linksliberale Bürgermeisterin Amsterdams, Femke Halsema, sprach am Morgen nach den Ausschreitungen zunächst davon, dass die Ereignisse an ein Pogrom erinnerten.
Fast alle Parteien des niederländischen Parlaments verurteilten in den folgenden Tagen die Ausschreitungen; der niederländische Ministerpräsident Dick Schoof sagte in diesem Zusammenhang: »Wir dürfen Intoleranz nicht mit Toleranz beantworten.« Die linksliberale Bürgermeisterin Amsterdams, Femke Halsema, sprach am Morgen nach den Ausschreitungen zunächst davon, dass die Ereignisse an ein Pogrom erinnerten, und erließ für das Wochenende ein Demonstrationsverbot. Bei dennoch stattfindenden sogenannten propalästinensischen Protesten griff die Amsterdamer Polizei hart durch.
Der niederländische Ableger des Netzwerks Samidoun, das in Deutschland verboten wurde, nachdem dessen Mitglieder in Berlin-Neukölln das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 mit der Verteilung von Süßigkeiten gefeiert hatten, beklagte willkürliche Polizeigewalt und sprach von »sich gegen genozidalen Faschismus, Rassismus und Zionismus erhebenden Massen« und »Selbstverteidigung«. BDS Niederlande hatten bereits vor dem Fußballspiel zu Protesten gegen die israelische Mannschaft aufgerufen und die Absage des Spiels gefordert. Sie mutmaßten, dass sich unter den angereisten Anhängern womöglich welche befänden, »die an Kriegsverbrechen beteiligt waren«.
Vor dem Hintergrund dieser Stimmungsmache kam es schon am Vortag des Spiels in der Amsterdamer Innenstadt zu vereinzelten Auseinandersetzungen zwischen antiisraelischen Demonstranten und einigen der angereisten Maccabi-Anhänger. Zwei Videos, die randalierende Maccabi-Fans zeigen sollten, gingen in der Nacht auf Donnerstag in antizionistischen Kreisen auf sozialen Medien viral; Taxifahrer polemisierten in Chatgruppen gegen israelische Fans.
Wie neuere Recherchen der Tageszeitung NRC zeigen, wurde mit einem der Videos jedoch eine Falschmeldung verbreitet. Der Verfasser des Posts, der allein auf X mehr als 400.000mal angesehen wurde, behauptete, es handle sich um einen Angriff israelischer Fans auf einen als arabisch identifizierten Taxifahrer. Tatsächlich ist das Gegenteil passiert. Demnach ist in einer längeren Fassung zu hören, dass die beiden Opfer Hebräisch sprechen. Einer der Angreifer ruft während der Tat »Palästina«. Die Falschmeldung fand rasche Verbreitung, auch Medien wie RTL Nieuws und die FAZ übernahmen sie.
Doch vor allem nach dem Fußballspiel eskalierte die Lage. Am Amsterdamer Hauptbahnhof wurden zurückkehrende Stadionbesucher attackiert, in der Innenstadt wurde vermeintlichen oder tatsächlichen Israelis aufgelauert, diese wurden gejagt und mit Feuerwerkskörpern angegriffen.
Videos zeigen auch, dass sich am Hauptbahnhof ein Pulk von Maccabi-Fans formierte, der, teils mit Holzlatten und Gürteln bewaffnet, die Konfrontation suchte. Bilder dieser Situation waren von Medien zunächst fälschlicherweise als Angriff durch antizionistische Gruppen ausgewiesen worden. Mit der Richtigstellung verschob sich der Fokus der allgemeinen Berichterstattung weg von der antisemitischen Gewalt, hin zu dem aggressiven Verhalten von einigen der Maccabi-Fans nach und unmittelbar vor der Partie.
Unter anderem zeigen Videos, wie Maccabi-Anhänger bei einer Versammlung am Donnerstagnachmittag auf dem Dam, dem zentralen Platz der Stadt, »Fuck you Palestine« skandierten. Parteien wie die konservativ-antirassistische Partei Denk, aber auch die linke antirassistische Partei BIJ1 klinkten sich ein und beklagten eine einseitige Berichterstattung. »Während Maccabi-Hooligans Amsterdam terrorisierten, schlossen sich rechte und linke Politiker dem israelischen Narrativ an«, empörte sich BIJ1 und rief zum Boykott Israels auf.
Eine Woche nach den Ausschreitungen sagte die Bürgermeisterin, sie würde den Begriff Pogrom nun nicht mehr verwenden und sie hätte das aggressive Verhalten der Maccabi-Fans früher kritisieren müssen.
Halsema geriet unter Druck und wurde dafür kritisiert, die Gewalt gegen Juden und Israelis als Pogrom bezeichnet zu haben. Eine Woche nach den Ausschreitungen sagte die Bürgermeisterin, sie würde den Begriff nun nicht mehr verwenden und sie hätte das aggressive Verhalten der Maccabi-Fans früher kritisieren müssen. Mit ihrer späteren Selbstkritik wollte Halsema nach eigenen Angaben auch der rassistischen Instrumentalisierung der antisemitischen Gewalt durch Geert Wilders von der extrem rechten Partei für die Freiheit (PVV) entgegenwirken, der stärksten Partei der rechten niederländischen Regierungskoalition.
Einstweilen ist in den jüdischen Gemeinden des Landes die Verunsicherung aufgrund des grassierenden Antisemitismus groß. Im Sommer veröffentlichte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) die Ergebnisse einer Online-Umfrage unter Juden, wonach 97 Prozent der niederländischen Teilnehmer im Jahr vor der Umfrage in ihrem Alltag mit Antisemitismus konfrontiert waren. Mehr als 70 Prozent versteckten demnach gelegentlich die eigene jüdische Identität aus Angst vor feindseligen Reaktionen und Angriffen.
Der Antisemitismusbeauftragte der Niederlande, Eddo Verdoner, mahnte, dass die Angriffe rund um das Fußballmatch dem erstarkten Antisemitismus seit dem 7. Oktober vorigen Jahres zuzuschreiben seien. »Im Windschatten des Konflikts treiben alte antisemitische Gespenster ihr Unwesen«, sagte er.
Dazu dürfte auch ein Instagram-Post der Palästinensischen Gemeinde in den Niederlanden zählen. Auf einem Cartoon ist in Anspielung auf die Maccabi-Anhänger, die im Kontext der Ausschreitungen in Amsterdam eine Palästina-Flagge von einer Hauswand rissen, ein mit dem Davidstern gekennzeichnetes Schwein zu sehen, das die Flagge abreißt. Übrig bleibt ein nach unten gerichtetes rotes Dreieck, das von antizionistischen und islamistischen Gruppen wie der Hamas genutzt wird, um ihre Feinde zu markieren.