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Kriegsdienst, Aufrüstung und der neue »Multipolarismus«

Ende der Friedensdividende

Kommentar von

Würdest du »Wehrdienst« leisten? Das Feuilleton, Talkshows und viele Linke sind geradezu vernarrt in diese Frage. Wesentlich interessanter ist, warum es überhaupt weltweit zur Aufrüstung kommt.

Die Schlagzeilen der »Tagesschau« von vergangener Woche hatten es in sich. »Deutsche Rüstungsexporte so hoch wie noch nie« lautete eine. »Kabinett stellt Weichen für Nationalen Sicherheitsrat« eine andere. Über eine neue Rheinmetall-Fabrik in Niedersachsen hieß es am selben Tag: »Auf dem Weg zum größten Munitionswerk Europas.« Am meisten Aufmerksamkeit aber erhielt folgende Nachricht: »Das Bundeskabinett will heute den neuen Wehrdienst auf den Weg bringen.«

Eine richtige »Wehrpflicht« ist es nicht, das war mit der SPD wohl – noch – nicht zu machen. Fürs Erste soll an alle 18jährigen ein verpflichtend auszufüllender Fragebogen verschickt werden (für junge Frauen ist das Ausfüllen freiwillig), um dann einige von ihnen zur Musterung vorzuladen. Ab 2027 wird die Musterung für alle Männer bei Erreichen der Volljährigkeit verpflichtend. Der Militärdienst bleibt erst mal freiwillig.

Der Personalhunger der Bundeswehr ist riesig, schließlich soll sie »konventionell zur stärksten Armee Europas« werden, wie Merz im Mai sagte. Bis 2035 soll die Zahl der aktiven Zeit- und Berufs­soldaten auf 260.000 ansteigen, das sind gut 80.000 mehr als heute.

Doch das könnte sich ändern, falls sich nicht genügend frei­willig melden – was wohl sehr wahrscheinlich ist. »Wir sind damit wieder zurück auf dem Weg zu einer Wehrdienstarmee«, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), und man sollte ihm da wohl beim Wort nehmen.

Der Personalhunger der Bundeswehr ist riesig, schließlich soll sie »konventionell zur stärksten Armee Europas« werden, wie Merz im Mai sagte. Bis 2035 soll die Zahl der aktiven Zeit- und Berufs­soldaten auf 260.000 ansteigen, das sind gut 80.000 mehr als heute. Zusätzlich soll die Reserve aus derzeit 100.000 Soldaten verdoppelt werden.

Um solche Zahlen zu erreichen, müsse vor allem das »Mindset« in der Gesellschaft gerade bei jungen Männern und Frauen ver­ändert werden, sagte dazu Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Bei solcher Rhetorik kann einem schon schwindelig werden. Viele Linke warnen schon seit einer Weile vor der »Militarisierung« der Gesellschaft.

Die Rüstungsexporte in Rekordhöhe gehen vor allem in die Ukraine

Allerdings stellt sich unweigerlich die Frage, ob es mit dieser »Militarisierung« wirklich so weit her sein kann, wenn die Bundeswehr händeringend nach Personal sucht und die Union nicht einmal einen richtigen Wehrdienst durchsetzen kann.

Sogar die deutschen Rechtsextremen fühlen sich unter Friedensflaggen oft wohler als bei der Bundeswehr. Die heutige autoritäre Gefahr scheint weniger vom soldatischen Obrigkeitsmenschen auszugehen als von den passiven Konsumenten der Menschenfeindlichkeit, die sich zu Hause vorm Computer in ihren individuellen Wahnwelten einrichten.

Auch die deutsche Aufrüstung erscheint in einem anderen Licht, wenn man anerkennt, dass sie nun mal wirklich eine Reaktion auf äußere Entwicklungen war. Kurz gesagt: auf Trump und Putin. Die eingangs erwähnten Rüstungsexporte in Rekordhöhe gehen vor allem in die Ukraine.

Viele Linke – wie zum Beispiel Ingar Solty von der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung – versuchen nachzuweisen, dass die nun stattfindende Aufrüstung von langer Hand durch die »außenpolitischen Eliten« geplant gewesen sei. Die verschiedenen Schocks – die Krim-Annexion 2014, Trumps erster Wahlsieg 2016, die russische Großinvasion 2022, Trumps Wiederwahl 2024 – hätten immer nur als willkommener Vorwand gedient, um der wider­willigen Bevölkerung die »Militarisierung« zu verkaufen.

Das bisherige Arrangement war günstig für die Interessen des deutschen Staates

Viel plausibler aber ist, dass die jeweiligen Staatsführungen der BRD zwar immer wieder davon gesprochen hatten, Deutschland müsse »mehr militärische Verantwortung« übernehmen – so der gängige Euphemismus für den Aufbau militärischer Macht –, tatsächlich aber eher an der Friedensdividende interessiert waren und keineswegs zur Bundeswehr des Kalten Krieges zurückzukehren wollten.

Das bisherige Arrangement war einfach zu günstig für die Interessen des deutschen Staates: Die USA sorgten mit ihrer militärischen Übermacht für eine westliche Hegemonie und setzten eine halbwegs stabile globale Wirtschaftsordnung und Freihandel durch. Die Exportmacht Deutschland profitierte davon, während sie gleichzeitig freie Hand hatte, mit allerlei antiwestlichen Diktaturen ins Geschäft zu kommen – Iran, Russland und China vor allem.

Mehr noch als die Rückkehr des militärischen Raubimperialismus in Europa durch Putins Kriegspolitik könnte deshalb Donald Trump zur Aufrüstung beigetragen haben. Er hat das bestehende transatlantische Arrangement aufgekündigt und nutzt militärische Abhängigkeit als Druckmittel. Als die EU kürzlich bei den Handelsverhandlungen mit den USA große Konzessionen machte, geschah das auch, weil sie unbedingt die Nato und die US-amerikanische Unterstützung für die Ukraine bewahren wollte.

Es ist gerade der heraufziehende »Multipolarismus«, der weltweit zur Aufrüstung beiträgt.

Ines Schwerdtner von der Linkspartei kritisierte das als »Kotau vor Donald Trump«, was wohl zu bedeuten hatte, dass Deutschland international selbstbewusster auftreten solle. Um das zu bewerkstelligen, schlug Solty vor, »den neuen Multipolarismus als Tatsache« zu begreifen und zu erkennen, »dass die Europäer mehr gemeinsame Interessen mit China« hätten. Man kann sich fragen, welche Interessen das sein sollen: Der chinesische Außenminister sagte zum Beispiel kürzlich in Verhandlungen mit der EU, sein Land werde nicht zulassen, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine verliert.

Es ist gerade der heraufziehende »Multipolarismus«, der weltweit zur Aufrüstung beiträgt. Denn in der Praxis bedeutet er kaum mehr, als dass sich mehrere Großmächte gegenüber­stehen, die nicht mehr nur auf dem Weltmarkt konkurrieren und das heimische Kapital protegieren, sondern sich exklusive Einflusszonen aufbauen, indem sie Vasallenstaaten unterwerfen, und die ihre technologisch-militärische Überlegenheit in die Waagschale werfen, um schwächere Länder zu erpressen. Dass die EU versucht, dieses Spiel mitzuspielen, ist besorgniserregend, aber nicht die Wurzel des Problems.