So oder so oder anders

In der Frage des Krieges gegen den Irak zeigt die rot-grüne
Koalition ihre Bereitschaft, jederzeit einer Sache zuzustimmen,
die sie ablehnt. von joachim rohloff

Eben noch hat der Bundeskanzler in seiner Neujahrsansprache mit Befriedigung festgestellt, wieder einmal schaue die Welt voller Hoffnung auf uns Deutsche. Denn nicht den Franzosen oder den Italienern, sondern uns sei es, wenn auch nur »gemeinsam mit unseren Partnern, vor wenigen Wochen gelungen, die Spaltung Europas endgültig zu überwinden. Durch die Aufnahme von zehn neuen Mitgliedsstaaten, darunter unsere Nachbarn Polen und Tschechien, in die Europäische Union haben wir das Kapitel der Kriege und Konflikte auf unserem Kontinent ein für alle Mal beendet.«

Und Gerhard Schröder weiß auch, warum gerade wir auserwählt sind, nicht nur Europa, sondern der ganzen Welt den ewig währenden Frieden zu bringen. »Deutschland ist es seiner Geschichte schuldig, die Alternativen zum Krieg zu betonen. Wir Deutsche wissen aus eigener Erfahrung, dass Diktatoren manchmal nur mit Gewalt zu stoppen sind. Wir wissen aber auch, was Bomben, Zerstörung und Verlust der Heimat für die Menschen bedeuten.«

Schröder gab damit insbesondere den Amerikanern zu verstehen, der Sturz von Diktatoren sei schon immer die Sache der Deutschen gewesen, denn schließlich haben wir Bomben, Zerstörung und den Verlust unserer Heimat auf uns genommen, um Hitler zu beseitigen, und wenig später haben wir Honecker sogar ganz ohne Blutvergießen gestürzt.

Was den Diktator Saddam Hussein betrifft, so rieten die deutschen Umsturzexperten bis vor kurzem aus humanitären und pazifistischen, manchmal sogar aus antiimperialistischen Gründen von einem Krieg ab. Im Wahlkampf erfreute der Bundeskanzler die außerparlamentarische Friedensbewegung mit dem Versprechen, Deutschland werde sich an einem Krieg der USA gegen den Irak, mit oder ohne Mandat der Uno, nicht beteiligen.

Dem Argument der Pazifisten und der Antiimperialisten, es werde in diesem Krieg in Wahrheit nur ums Öl und um die Hegemonie der USA gehen, fügte Schröder seine Bedenken hinzu, eine gewaltsame Intervention im Irak könne den Nahen Osten destabilisieren und die so genannte Allianz gegen den Terror gefährden. Er empfahl die Fortsetzung des bewährten Regimes wirtschaftlicher Sanktionen, denn es habe den Irak »in den vergangenen Jahren isoliert, gerade auch in der arabischen Welt«.

Angelika Beer, die Vorsitzende der grünen Partei, erklärte noch im Dezember, im Falle eines so genannten präventiven Angriffskriegs gegen den Irak ohne einen Auftrag der Uno dürfe die Bundesregierung es den Amerikanern nicht einmal gestatten, deutsches Territorium zu überfliegen oder ihre in Deutschland gelegenen Militärbasen zu benutzen. Alles andere wäre ein Verstoß gegen das Völkerrecht und das Grundgesetz.

Im Gespräch mit einer indischen Wochenzeitung, das am 29. Dezember von der Welt am Sonntag nachgedruckt wurde, wiederholte Günter Grass noch einmal die Argumente des rot-grünen Milieus gegen diesen Krieg der USA, gegen alle Kriege der USA, gegen den amtierenden Präsidenten und gegen alle ehemaligen und zukünftigen Präsidenten der USA. George Bush junior sei »eine Bedrohung des Weltfriedens«. Er wolle im Irak nachholen, was sein Vater vor zehn Jahren versäumte, außerdem stecke seine Familie »tief im Ölgeschäft drin«. Deshalb habe »die gefährliche Kombination aus familiären, wirtschaftlichen und politischen Interessen in diesem einen Politiker ihn zu einer echten Gefahr werden lassen«.

Die einzige übrig gebliebene Supermacht wolle »den Rest der Welt kontrollieren und dirigieren, aber sie weiß viel zu wenig vom Rest der Welt. Sie weiß fast nichts.« Viel mehr als alle Amerikaner habe Willy Brandt gewusst, lenkte er doch schon in den siebziger Jahren »unsere Aufmerksamkeit auf die schreckliche Ungleichheit, die die Welt plagt« und die schließlich den Terrorismus geboren habe. »Solange wir nicht die Ursachen dieses tief verwurzelten, gerechten Zorns ausrotten, wird der Terror weitergehen.« Grass träumt, so sagte er, »von einer Weltordnung, bei der die entwickelten und die unterentwickelten Länder am gleichen Tisch sitzen und sich die Rohstoffe, die Technologien und das Kapital dieser Welt in der gerechtesten Weise teilen«.

Die Friedensfreunde in der PDS nahmen während des letzten Bundestagswahlkampfs mit Freude zur Kenntnis, dass der deutsche Kanzler kein Knecht der USA mehr war, doch obwohl sie ein Jahr zuvor noch empfohlen hatten, die Taliban in Afghanistan mit Hilfe friedlicher internationaler Sanktionen zu Fall zu bringen, entdeckten sie nun am irakischen Beispiel, dass wirtschaftliche Boykottmaßnahmen vor allem die Zivilbevölkerung quälen. Hätte man also vor zwei Wochen die Deutschen gefragt, wie man Saddam Hussein stürzen und ihn an der Herstellung von Massenvernichtungswaffen hindern soll, so hätte die Mehrheit geantwortet: Überhaupt nicht.

Bei dieser Antwort wäre es wohl auch geblieben, wenn der deutsche Botschafter bei der Uno nicht in den kommenden zwei Jahren im Sicherheitsrat säße. Obwohl die grüne Partei einen Krieg gegen den Irak ablehnt, verweigerte das einfache Mitglied Joseph Fischer, in seiner Funktion als deutscher Außenminister vom Spiegel gefragt, wie er sich verhalten werde, wenn es im Sicherheitsrat zur Abstimmung über diesen Krieg komme, nun aber jede eindeutige Ankündigung: »Das kann niemand vorhersagen, da keiner weiß, wie und unter welchen Begleitumständen sich der Sicherheitsrat hiermit befassen wird.«

Die Bundesregierung hält eine gewaltsame Beseitigung des irakischen Regimes unter allen Begleitumständen für gefährlich und nicht gerechtfertigt, trotzdem wird sie einem kriegerischen Mandat für die USA im Sicherheitsrat womöglich zustimmen. Von einem weiteren Betrug am Wähler schrieb die Presse und von einem Konflikt, der die Koalition zerreißen könnte. Als sei es nicht für jeden Politiker, zumal wenn er der sozialdemokratischen oder der grünen Partei angehört, eine leichte Übung, dagegen zu sein und trotzdem zuzustimmen.

Während die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Krista Sager, zu Neujahr bestritt, es habe eine »Richtungsänderung« in der deutschen Außenpolitik gegeben, denn man halte weiterhin »diesen Krieg für falsch« und werde sich nicht an ihm beteiligen, könne aber »trotzdem das eigene Handeln im Sicherheitsrat nicht völlig unabhängig von dem gestalten, was unsere Partner möglicherweise machen«, nannte der Vorsitzende der saarländischen SPD, Heiko Maas, die Aussagen Fischers »unschlüssig und nicht nachvollziehbar«, und der Vorsitzende des hessischen Landesverbandes, Gerhard Bökel, verlangte: »Wenn die Bundesregierung klar sagt, dass sie aus grundsätzlichen Überlegungen keine deutschen Soldaten in den Irak schickt, dann darf sie auch in keinem internationalen Gremium die Hand für den Militäreinsatz anderer Länder heben.«

Streit gibt es vor allem in der SPD, weniger unter den Grünen. Selbst der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, von dem man das erste und lauteste Wort des Protests erwartet hatte, hielt sich zurück. Zwar müsse Deutschland »zu einer Resolution, die den amerikanischen Krieg gegen den Irak bedeutet, mit Nein stimmen«, sagte er der taz, trotzdem habe »Fischer völlig Recht: Jetzt zu spekulieren ist Unsinn. Diese Diskussion über ein mögliches Verhalten im Weltsicherheitsrat ist völlig überflüssig, weil man ja noch gar nicht weiß, was da auf den Tisch kommt.«

Am vergangenen Wochenende hieß es nun, Gerhard Schröder werde in diesen Tagen ein »Machtwort« sprechen, das aber nicht lauten werde »Ja« oder »Nein«, sondern: »Maul halten!« Denn wer als zeitweiliger Gast im Sicherheitsrat unangenehm auffällt, bekommt ganz gewiss keinen ständigen Sitz.