»Der Gegner ist die Bundesregierung«

Tobias Pflüger

Beim Antikriegskongress in München vom 10. bis 12. Januar trafen sich KriegsgegnerInnen und GlobalisierungskritikerInnen aus Deutschland und der Schweiz, um die Proteste gegen das World Economic Forum in Davos, das am 23. Januar beginnt, und gegen die Anfang Februar stattfindende Münchener Nato-Sicherheitskonferenz vorzubereiten.

Mit dabei war der Politikwissenschaftler Tobias Pflüger, Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen, die sich mit der Bundeswehr, der Nato und militärischen Konflikten beschäftigt. Mit ihm sprach Thies Marsen.

Die deutsche Regierung ist gegen den Irakkrieg oder zumindest war sie es einmal. War sie es tatsächlich oder nur zum Schein?

Bei vielen Menschen in aller Welt gab es bis vor kurzem tatsächlich die Wahrnehmung, die US- und die britische Regierung wollen den Krieg und die deutsche Regierung will ihn nicht. Ich war kurz nach der Bundestagswahl in den USA, und Leute aus der US-amerikanischen Friedensbewegung haben uns zur Wiederwahl von Schröder und Fischer gratuliert. Auch in den Ländern des Südens gibt es die Wahrnehmung, endlich habe mal jemand von den Großen gesagt: »Nein, wir machen nicht mit.«

Der Fakt ist aber, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder im März 2002 dem amerikanischen Präsidenten Bush eine Kriegszusage gegeben hat unter den Voraussetzungen, dass das Ganze mit einem UN-Mandat und nach der Bundestagswahl stattfindet. Sie wurde nie zurückgenommen. Jetzt, kurz vor dem wahrscheinlichen Beginn des Irakkrieges, sagt Fischer, dass er sich auch eine Zustimmung zum Krieg im UN-Sicherheitsrat vorstellen könne. Das diskreditiert Opposition gegen den Krieg. Und es diskreditiert eine Antikriegspolitik als solche.

Ein abgekartetes Spiel?

Zum Teil durchaus. Man wollte einerseits Wählerstimmen gewinnen. Andererseits hat Deutschland aber auch andere Interessen in der Region. Der Iran zum Beispiel ist ein Teil von Bushs »Achse des Bösen«, für deutsche Unternehmen ist das Land dagegen ein wesentlicher Wirtschaftspartner. Das heißt, im Iran, der ja eines der nächsten Kriegsziele sein wird, wenn der Irak besiegt ist, wird es zu deutlichen Interessenkonflikten zwischen den USA und Deutschland kommen.

Warum macht die Bundesregierung dann bei Bushs Kriegsplänen mit?

Als Fischer gesagt hat, er könne sich ein deutsches Ja zum Krieg vorstellen, war für mich persönlich klar: Der Krieg wird kommen. Damit hat er das Zeichen gegeben, dass Deutschland nun an der Nachkriegsordnung beteiligt sein will, auch wenn die derzeitige Konstellation für die deutsche Regierung und Wirtschaft besser wäre. Bei diesem Krieg geht es um Hegemonialinteressen und um Öl. Und natürlich wollen die Deutschen dabei sein. Sie haben das Startzeichen gegeben. Sie sind dafür wesentlich mitverantwortlich, wenn der Irakkrieg jetzt kommt.

Inwiefern ist Deutschland derzeit direkt an Kriegsvorbereitungen beteiligt?

Drei Militärstandorte in Deutschland sind entscheidend für die Kriegsvorbereitungen: Frankfurt Airbase, Ramstein und Spangdahlem. Über sie laufen seit Monaten alle Transporte von Soldaten und Material. In Grafenwöhr wird das Hauptmanöver abgehalten, bei dem geprobt wird, wie der Irakkrieg ablaufen wird. Von Vilseck aus wird schweres Material in die Region transportiert. In Bremerhaven werden Truppen eingeschifft.

Die Bundesregierung muss bei jedem Militärtransport außerhalb der eigentlichen Standorte zustimmen. Sie hat eine allgemeine Zustimmung gegeben und bricht damit eindeutig das Völkerrecht und das Grundgesetz, denn hier wird ein Angriffskrieg vorbereitet. Da werden auch im juristischen Bereich neue Fakten geschaffen. Darauf hat auch der Richter am Bundesverwaltungsgericht, Dieter Deiseroth, hingewiesen. Er sagt, die Bundesregierung befindet sich am Rande des Verfassungsbruchs.

Welche Rolle spielt in der Friedensbewegung die Tatsache, dass es deutsche Firmen waren, die den Irak wesentlich mit aufgerüstet und ihm erst ermöglicht haben, an Massenvernichtungswaffen zu kommen?

Eine der am weitesten verbreiteten E-Mails derzeit ist ein Bericht von Andreas Zumach in der taz, in dem Passagen aus dem Bericht des Irak an den UN-Sicherheitsrat zitiert werden. Darin werden 98 deutsche Firmen genannt, die zur früheren Aufrüstung des Irak beigetragen haben. Das ist für uns eine ziemlich relevante Frage, wenn auch im Moment nicht die zentrale. Denn im Moment laufen die konkreten Kriegsvorbereitungen. Unsere These ist: Wenn der Krieg jetzt losgeht, ist Deutschland maßgeblich dafür verantwortlich, und einer der Punkte dabei ist auch die Aufrüstung des Irak durch deutsche Firmen.

Sind auch Aktionen gegen deutsche Firmen geplant, die den Irak aufgerüstet haben?

Es gibt solche Vorschläge. Das Schwierige dabei ist allerdings, dass die im Irak-Bericht genannten deutschen Firmen vor allem kleine Unternehmen sind. Und gegen die zu mobilisieren ist natürlich schwerer als zum Beispiel gegen Siemens. Außerdem liegt die Aufrüstung des Irak durch deutsche Firmen auch schon einige Zeit zurück. 1991, während des zweiten Golfkriegs, gab es Aktionen vor deutschen Firmen.

Haben sich große Teile der Friedensbewegung in ihrer Argumentation gegen den Krieg zu sehr an die Bundesregierung angelehnt? Einige werfen ihr vor, sie habe sich mit ihrer Mobilisierung gegen die US-Kriegspolitik geradezu zur Handlangerin der nationalen Interessen der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft gemacht?

Unsere Organisation, die Informationsstelle Militarisierung, hat nie eine solche Position eingenommen, auch wenn manche versucht haben, unsere Veröffentlichungen durch falsche Zitate in diese Richtung zu drehen. Der Vorwurf ist auch gegenüber der gesamten Friedensbewegung absurd, weil jeder weiß, dass die Friedensbewegung ein breites, buntes Bündnis ist.

Selbstverständlich gibt es solche Tendenzen. Die Frage ist allerdings, wie einflussreich sie sind. Ich komme relativ viel rum bei Gruppen und Kongressen, und ich spüre immer wieder, wenn ich die deutsche Rolle auf einer Veranstaltung kritisiere, dass das sehr positiv aufgenommen wird. Es gibt vielleicht zu wenige Akteure, die das innerhalb der Friedensbewegung ansprechen, die Position als solche aber hat einen enormen Rückhalt.

Die rot-grüne Bundesregierung hat nicht nur die Militärpolitik der Regierung Kohl fortgesetzt, also die so genannte Normalisierung der militärischen Rolle Deutschlands. Mit dem völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Angriff auf Jugoslawien, der Ausweitung der Auslandseinsätze und den neuesten Plänen, die Bundeswehr auch im Inland einzusetzen, hat sie neue Maßstäbe gesetzt. Ist die Union das kleinere Übel?

Die rot-grüne Bundesregierung ist die notwendige Voraussetzung für Deutschland gewesen, Kriege zu führen. Ohne Rot-Grün wäre die Militarisierung in der deutschen Bevölkerung so nicht durchsetzbar gewesen. Nur die mutmaßlichen Vaterlandsverräter konnten die Begründungen für den Angriffskrieg gegen Jugoslawien glaubwürdig vertreten: dass es dort KZ gebe, dass Milosevic wie Hitler und Stalin sei, dass es im Kosovo ein neues Auschwitz gebe.

Da ist es eine Aufgabe der Friedensbewegung, nicht loyal gegenüber der rot-grünen Regierung zu sein. Wir müssen auch Gewerkschaftslinke dazu bringen, sich von dieser Loyalität zu verabschieden, ebenso kritische Kirchenleute und auch Kreise innerhalb des rot-grünen Milieus. Auch die müssen sich von der Vorstellung trennen, dass Rot-Grün die bessere Alternative ist. Meine These ist: Rot-Grün macht die effektivere Kriegspolitik. Der zentrale Gegner der Friedensbewegung hier in Deutschland ist die deutsche Bundesregierung.