Wie ist der Stand des iranischen Atomprogramms und welche Informationen dazu präsentiert wer?

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Derzeit gibt es eine Menge Stimmen, die die israelische Begründung für den Angriff auf den Iran anzweifeln und als Lüge und Kriegspropaganda darstellen, die an das erinnere, was die USA vor dem Einmarsch im Irak 2003 getan habe.
Insofern:
Hat der Iran eine Bombe? Baut er daran?
Hierbei ist es wichtig, konkret zu sein.
Was behaupten nun also die Israelis?
Laut dem israelischen Armeeradio präsentierten die israelischen Geheimdienste kurz vor dem Beginn der Luftangriffe auf den Iran der politischen Führung Erkenntnisse über ein geheimes Nuklearprogramm, das Ende 2023 oder Anfang 2024 begonnen habe. Demnach hätte das iranische Regime mehrere Arbeitsgruppen von Wissenschaftlern eingerichtet, die jeweils an Wegen gearbeitet hätten, atomwaffenfähiges Material zu einer Bombe zu bauen.
Zur gleichen Zeit schritt die Anreicherung von Uran auf atomwaffenfähige Niveaus voran, die auch nach Ansicht der USA und der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nachweislich auf über 60% gebracht worden ist. Dies ist viel höher als es für eine zivile Nutzung von Atomenergie nötig wäre. Das Material, das nach Angaben der IAEA für etwa 9 Bomben reichen würde, könne in wenigen Wochen auf das Level von 90% gebracht werden, was Grundvoraussetzung für eine Bombe darstellt.
Die israelischen Geheimdienste sagen, dass sie manche Details nicht wüssten und gerade dies umso mehr Sorgen bereite, da das Atomwaffenprogramm daher noch weiter fortgeschritten sein könne als zunächst gedacht.
Alle mittlerweile getöteten mindestens 9 Wissenschaftler seien Mitglieder der besagten Arbeitsgruppen gewesen, die an einer geplanten Umwandlung des angereicherten Urans hin zu einer Bombe gearbeitet hätten. Das könne man auch daran sehen, dass die Wissenschaftler aus einigen unterschiedlichen Fachbereichen kämen, die mit genau diesem Prozess zu tun hätten.
Die israelischen Geheimdienste behaupten also nicht, dass die Atombombe schon gebaut sei, aber dass sie ein Geheimprogramm aufgedeckt hätten, das das hochangereicherte Uran zu einer Bombe entwickeln soll, dass der Iran also bereits längst ein aktives Atomwaffenprogramm besitze und dieses geheimhalte. Dies bilde die gesamte Grundlage dafür, dass man innerhalb weniger Wochen die Atombombe habe bauen können.
Einen konkreten Zeitplan darüber, bis wann die Atombombe gebaut würde, können die israelischen Geheimdienste nicht nennen, aber sie sprechen von Wochen.
Wichtig ist hier auch eine weitere Sache: Die israelischen Geheimdienste behaupteten nicht, dass die offizielle Entscheidung für den Bau der Bombe bereits gefallen sei. Die Bombe sei innerhalb weniger Wochen gebaut, sobald(!) die Führung die Entscheidung dazu fälle. (Quelle 1) Sobald das jetzt mühsam angesammelte Wissen da wäre, wäre es aber fast nur noch eine Formalität, diese Entscheidung dann zu treffen.
Ebenso sagen die israelischen Geheimdienste nicht, dass der Iran bereits alle nötigen Trägersysteme für den Abwurf(!) bzw. das Abfeuern einer Atombombe hätten, nur den Bau der Atombombe selbst.
Dazu muss gesagt werden, dass die iranische Führung ganz bewusst abstreitet, eine Atombombe zu bauen und offiziell auch behauptet, dass der oberste Rechtsgelehrte und Diktator des Landes, Ayatollah Ali Chamenei, ein religiöses Rechtsgutachten, eine Fatwa gegen die Nutzung von Atomwaffen erlassen hätte. Tatsächlich verurteilt Chamenei die Nutzung(!) von Atomwaffen und streitet ab, dass der Iran eine Atomwaffe anstrebe. Allerdings ist die tatsächliche Position der Führerschaft jedoch sehr viel weniger deutlich als das und lässt viel Spielraum für die Produktion einer Atomwaffe. Zudem kann eine Fatwa durch Ali Chamenei jederzeit neu erlassen werden, der gleichzeitig als absoluter politischer Machthaber des Landes und als oberste religiöse Autorität fungiert. (Quelle 2)
Dementsprechend wäre es nur ein kurzer Schritt zwischen einer Entscheidung Chameneis zu einer neuen Sicht auf Atombomben und der Atombombe. Alle Grundlagen wären dementsprechend ja längst dafür gelegt, die dann nur noch abgesegnet werden müssten.
Was behaupten nun andere Seiten?
Hier gibt es teilweise unterschiedliche Sichtweisen.
Tulsi Gabbard, die wegen ihrer teils verschwörungstheoretischen Positionen umstrittene Koordinatorin der vielen US-Geheimdienste, äußerte sich Ende März bei einer Anhörung im Senat unter Eid auch zum Iran. Dabei sagte sie unter anderem Folgendes:
„Furthermore, Iran's nuclear program continues apace (ph). It's actively developing multiple space-launched vehicles, which are little more than flimsy cover for an intercontinental ballistic missile program that could hit the United States in a matter of years.“
“The IC continues to assess that Iran is not building a nuclear weapon and Supreme Leader Khamenei has not authorized the nuclear weapons program that he suspended in 2003. The IC continues to monitor closely if Tehran decides to reauthorize its nuclear weapons program.”
“In the past year we've seen an erosion of a decades long taboo in Iran on discussing nuclear weapons in public, likely emboldening nuclear weapons advocates within Iran's decision making apparatus. Iran's enriched uranium stockpile is at its highest levels and is unprecedented for a state without nuclear weapons.” (Quelle 3)
Hier fällt auf, dass Gabbard als Geheimdienstkoordinatorin sagt, dass der Iran derzeit keine Atombombe baue und Chamenei das Atomwaffenprogramm von 2003 nicht wiederaufgenommen habe.
In einem CNN-Bericht wird dies als Beleg dafür dargestellt, dass die US-Geheimdienste der Einschätzung der Israelis widersprechen würden. (Quelle 4)
Allerdings ist die Einschätzung von Gabbard aus dem März, über 2 einhalb Monate her, und der israelische Bericht macht deutlich, dass die Erkenntnisse über geheime Arbeitsgruppen zum Bau von Atomwaffen völlig neu seien, also deutlich nach der Zeugenaussage Gabbards im Senat.
Zudem haben die Israelis selbst gesagt, dass die offizielle Entscheidung zum Bau einer Atombombe noch nicht gefallen sei, aber alle wichtigen Grundlagen zum Bau einer Atombombe vorbereitet würden, was ja auch Gabbard bestätigte, als sie davon sprach, dass die Anreicherung von Uran so hoch ist, dass es höchst ungewöhnlich für einen Staat ohne Atomwaffen sei.
Da die israelischen Geheimdienste gerade inmitten der zahlreichen gezielten Angriffe auf hochrangige Regimeangehörige eindrücklich belegen, dass sie über fast alles im Iran bestens Bescheid wissen, ist es nicht unbedingt wahrscheinlich, dass die amerikanischen Geheimdienste besser informiert wären als die israelischen.
Zudem ist Tulsi Gabbard als Personalie äußerst umstritten. Als Geheimdienstkoordinatorin hat sie einen gewissen persönlichen Interpretationsspielraum dessen, was die Geheimdienste an sie herantragen. Gerade so ein Detail wie die Frage, ob oder wie stark das iranische Regime über ihr Atomprogramm lügt, kann zu unterschiedlichen Einschätzungen zwischen Geheimdiensten oder Geheimdienstkoordinatorinnen führen.
Vor ihrer Benennung als Geheimdienstkoordinatorin hatte sie immer wieder deutlich belegte Geheimdienstinformationen geleugnet, als es beispielsweise um das Assadregime und dessen Nutzung von Giftgas im Krieg gegen die syrischen Rebellen ging. 2017 ließ sie sich von Vertrauten des Assadregimes gar zu zwei Audienzen beim syrischen Diktator einladen und verkaufte das Treffen später als Beobachter- und Friedensmission. Assad wurde 13 Jahre lang vom iranischen Regime gestützt, um das es hier nun auch geht. Ebenfalls gilt sie als nah gegenüber russischen Narrativen. (Quelle 5)
Ebenso fällt in ihre Amtszeit die Unterdrückung mehrerer geheimdienstlicher Einschätzungen, die Trumps Politik in der Migration entgegengestanden hätten. (Quelle 6)
Zudem ist Gabbard dafür bekannt, Misstrauen gegenüber den Geheimdiensten entgegenzubringen und in verschwörungstheoretischer Weise von einem „tiefen Staat“ zu reden, der gegen Trump und die normalen Amerikaner arbeite. (Quelle 7)
Wenige Tage vor dem Angriff Israels auf den Iran warnte sie auf den sozialen Medien nach einem Besuch im japanischen Hiroshima vor einem „nuklearen Holocaust“ und vor „Kriegstreibern“, die die Welt „näher als je zuvor an den Rand einer nuklearen Vernichtung“ brächten. Auf eine Nachfrage hin, was sie damit meinte, wurde nur darauf verwiesen, dass Trump Gabbards Position gegen Kriege teile. Zu diesem Zeitpunkt fanden zwischen Trump und dem Iran Gespräche über ein Atomabkommen statt, während Vorbereitungen für einen Angriff auf den Iran durch Israel bereits im Raum standen.
Es erscheint fraglich, ob ausgerechnet Tulsi Gabbard in ihrer Interpretation dessen, was die Geheimdienste an sie herantragen, vertrauenswürdiger sein soll als die israelischen Geheimdienste, die immerhin transparent wiedergeben, was sie wissen und die Gabbards Einschätzung viel weniger widersprechen als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Weiterhin muss gesagt werden, dass beim G7-Gipfel sich alle westlichen Staaten auf ein vergleichsweise proisraelisches Statement einigen konnten, obwohl sich die Beziehungen zwischen diesen Staaten und Israel aufgrund der Lage in Gaza stark verschlechtert hatten. Dies wäre kaum zu erwarten gewesen, wenn sie den Erkenntnissen der israelischen Seite völlig widersprechen würden. (Quelle 9)
Auch Guido Steinberg von der renommierten Stiftung für Wissenschaft und Politik, die den Bundestag und die Bundesregierung berät, nannte die israelische Einschätzung in dieser Frage glaubwürdig. Es sei gar nicht nötig, dass der Iran bereits die gesamten nötigen Träger für einen Abwurf einer Atombombe ins Ausland besitzen müsse, um einen Atombombentest zu begehen und dann somit bereits Atommacht sei. Zudem sei es möglich, dass die Atommacht Russland sich einmische und diesen Schritt beschleunige. (Quelle 10)
Hierbei zeigt sich, wie unsauber mit Begriffen umgegangen wird. CNN betont lediglich, dass der Iran nach Einschätzung der Geheimdienste lediglich noch länger entfernt davon sei, eine Atombombe mit den geeigneten Trägerraketen zu besitzen. Dementsprechend wird das Wort „usable“ nun erwähnt, einsetzbare Bombe mit den dazugehörigen Trägern, was aber auch nicht das war, was die Israelis gesagt haben.
Diejenigen, die Israel vorwerfen, es habe gelogen, behaupten letztlich in der logischen Folge auch, dass Israel die etwa ein Dutzend Wissenschaftler sinnlos getötet hat, wenn man nun behauptet, es gäbe gar kein Atomwaffenprogramm. Woher wussten die Israelis dann von diesen Wissenschaftlern? Warum würden sie sie töten, wenn sie gar nicht daran beteiligt waren, das atomwaffenfähige Material für eine Atombombe umzubauen? Sind das nur irgendwelche Bauernopfer oder in Wahrheit an anderen Dingen interessiert?
Ebenfalls behaupten diese Stimmen damit, dass das Regime offenbar glaubwürdig ist, wenn es lediglich die Bestandteile für eine Atombombe baut, aber diesen letzten Schritt offenbar gar nicht oder nur viel später gehen wolle. Die Behauptung wäre da also, dass das Regime die Atombombe nur als Verhandlungsmasse für Verhandlungen nutzen würde.
Was aber allgemein unbestritten ist:
1. Der Iran hat nach Angaben der IAEA, der US-Geheimdienste, der israelischen Geheimdienste und selbst nach eigenen Angaben Uran bis über die Schwelle von 60% angereichert, was nachweislich nur noch wenige Wochen davon entfernt ist, atomwaffenfähiges Uran zu besitzen, was für eine Atombombe notwendig wäre. Diese extrem hohe Anreicherung hätte keinerlei Nutzen für die zivile Nutzung von Atomenergie, dafür wäre nur eine Anreicherung von weit unter 10% nötig.
2. Der Iran hat die allermeisten Bestandteile für eine Atombombe, könnte sie aber jedoch innerhalb der nächsten Wochen definitiv noch nicht für einen Atomschlag im Ausland nutzen. Auch die israelischen Geheimdienste sagen das, dass bis dahin noch weitere Schritte notwendig sind.
3. Die politische Führung des Iran hat derzeit noch keine offizielle Entscheidung zum Bau einer Atombombe gegeben und streitet ab, diese besitzen zu wollen. Das letzte Wort darüber hat der Diktator Ali Chamenei. Das ist auch die israelische Meinung.
4. Die iranische Führung hat immer wieder behauptet, es halte seine Verpflichtungen im Atomwaffensperrvertrag ein. Gleichzeitig jedoch hat es die IAEA und andere Staaten häufig an der Nase herumgeführt und Aspekte des militärischen Atomprogramms geheimgehalten, verschleiert oder geleugnet. Zahlreiche geheime Aspekte des Atomprogramms, insbesondere die Anlagen in Natanz, Arak und Fordow, wurden erst später aufgedeckt, die das Regime bis dahin verleugnet hatte.
5. Das iranische Regime hat eine antisemitische Ideologie und droht Israel immer wieder mit der Vernichtung. Dafür hat es massive Gelder im Ausland in Terrororganisationen investiert, die Israel offen mit der Vernichtung drohen und dies seit dem 7. Oktober auch umzusetzen bereit waren. Diese Aussagen sind also keine bloße Rhetorik.
6. Es hat ein aufwendiges Raketenprogramm, das ein Bestandteil für eine Atombombe wäre. Zudem hat es gute Beziehungen zu Russland, das das größte Atomwaffenprogramm der Welt besitzt und ebenfalls häufiger mit nuklearer Vernichtung droht.
Die Diskussion dreht sich also im Grunde um Details, die weitaus weniger wichtig sind als es manche darstellen. Folgende Fragen sind noch nicht geklärt:
Hat der Iran in ein paar Monaten eine Atombombe oder bloß in ein paar Wochen die wichtigsten Bestandteile für eine Atombombe und wäre noch 1, 2 Jahre bis zu einer einsatzfähigen Atombombe entfernt? Hat das Regime ein aktives Atomwaffenprogramm oder nur alle Bestandteile für eine Atombombe, die es aus eigenartigen Gründen am Ende gar nicht mehr einsetzen wolle? Lügt das iranische Regime erneut oder kann man dem Regime glauben, wenn es offiziell keine Atombombe anstrebe und nur damit kokettiere, den letzten Schritt zu einer Atombombe gar nicht gehen wolle?
Diese Fragen sind zwar nicht irrelevant und könnten die Begründung der Israelis, dass dies ein völkerrechtlich legitimer Präventivschlag war, schon widerlegen. Im Endeffekt macht es aber kaum einen politischen Unterschied, da der Weg zu einer Bombe ziemlich deutlich existiert und nur die Frage ist, wie lange es bis zu einer Bombe hin wäre, die faktisch ja alle ablehnen außer das Mullahregime.
Das ist überhaupt nicht wie 2003 im Irak, wo das davor real existierende Atomprogramm schon weitgehend abgebaut oder zerstört worden war und die IAEA und die UN auch kaum Zweifel daran hatte. Es gab eine monatelange Debatte mit einer Involvierung zahlreicher internationaler Organisationen, die alle keine Belege für Nuklearwaffen fanden. Der irakische Diktator kooperierte auch vergleichsweise stark mit diesen Behörden, geheime Atomanlagen waren nicht mehr gefunden worden, UN-Missionen Monate vor der Invasion kamen auch zu diesem Schluss. Die US-Regierung stand mit ihrer Behauptung von Atomwaffen damals völlig allein mit dieser Sicht, der Rest der Welt war „unconvinced“ und zwar aus guten Gründen. (Quelle 12)
Die Debatte damals drehte sich nicht um Detailfragen um die Frage, wann Saddam Atomwaffen hätte. Zudem war eine einzelne US-Geheimdienstquelle für diese Sicht der Dinge verantwortlich, die völlig dem widersprach, was real war und bis dahin Stand der Dinge war. In unserem heutigen Fall gibt es jedoch viele einzelne Quellen, die IAEA, die israelischen Geheimdienste, die US-Geheimdienste, westliche Geheimdienste, Medienberichte, und alle bestätigen, dass es ein Atomwaffenprogramm gibt, es aber nur noch die Frage gibt, wie weit es fortgeschritten ist.
Quellen:
1. https://www.timesofisrael.com/israel-found-iran-carried.../
2. https://www.atlanticcouncil.org/.../iran-nuclear-weapons.../
3. https://www.dia.mil/.../DIA.../Committee_Hearing_2025.pdf
4. https://edition.cnn.com/.../israel-iran-nuclear-bomb-us...
5. https://apnews.com/.../tulsi-gabbard-assad-syria-trip-dni...
6. https://www.axios.com/.../tulsi-gabbard-intelligence...
7. https://www.vox.com/.../tulsi-gabbard-national...
8. https://www.politico.com/.../tulsi-gabbard-nuclear...
9. https://g7.canada.ca/.../g7-leaders-statement-on-recent.../
10. https://www.ardmediathek.de/.../Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL...
11. https://www.tabletmag.com/.../israel-end-iran-nuclear...
12. https://www.sipri.org/.../twenty-years-ago-iraq-ignoring...