Tel Avivo

Israel ist wie DDR am Mittelmeer
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Wie ist Israel denn so? Großartig! Ja, aber wie? Was sagt man da? Ein bisschen wie Italien. Ja. Das mediterrane Klima, die mediterrane Atmo­sphäre. Das Verhalten im Straßenverkehr, die Handy-Manie. Die schönen Frauen, die schönen Männer. Mit einem Auge für Stil. Guter Wein. Die unstete »Parteienlandschaft«. Die Leidenschaft für laute Diskussionen, die spontane, per Telefon dirigierte Dating-Kultur (»Wo steckst du? Wir sind jetzt hier, ich ruf dich noch mal an, wenn wir dort sind«), eine gewisse Unzuverlässigkeit – und die charmante Ruppigkeit: Zwar sind Italiener Weltmeister darin, sich zu bedanken und sich zu entschuldigen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie es auch so meinen. Trotz aller Höflichkeitsformeln drängeln sie sich in der Schlange vor, schubsen sich in den Bus hinein, schneiden dir den Weg ab, müssen an der Ampel die ersten sein. Höflichkeitsfloskeln kennen die Israelis hingegen nicht, aber auch das heißt nicht, dass sie es so meinen. Sie drängeln und schubsen genau wie die Italiener, in Wirklichkeit sind aber Italiener wie Israelis unglaublich freundliche, zuvorkommende und hilfsbereite Menschen.

Ein bisschen ist Israel natürlich auch wie die USA (Multikulti, Debattenkultur, Hippies, Amerikaner) und etwas Orient (Falafel, Araber, kaum Schweinefleisch). Dazu eine Prise Old Europe (Bildung, Lite­ratur, Kunst, Sexshops), Afrika (Wüste), Holland (Pragmatismus, Erfindungseifer) und ein wenig Japan (Technologie, bevorzugte Automarken).

Tja, und dann ist Israel auch ein bisschen wie die DDR. Ja, wirklich. Und damit meine ich nicht nur die Kibbuz-Kollektive, die Produktionsgenossenschaften, die ganze quasi-sozialistische Gründungszeit. Beide Staaten sind etwa zur gleichen Zeit entstanden, was man ihnen ansieht bzw. -sah, und haben eine Generation von Pionieren hervorgebracht, die eine besondere Stellung im Staat und in der Gesellschaft einnehmen. Der Pioniergeist ist überall spürbar. Natürlich waren die politischen Ausgangsbedingungen ganz verschieden, und dennoch: überall Russen! Die Architektur ist verwandt. Das Bauhaus stammt aus Weimar und Dessau. Die Bau­substanz vieler Wohnhäuser ist marode. Das Militär nimmt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft ein, ist überall präsent. Die Springbrunnen sehen fast alle aus wie der am Alexanderplatz. Die ausgiebigen Grenzkontrollen, Bürokratie. Die Frauen sind selbstbewusst, was in der DDR durch ihre ökonomische Selbständigkeit, in Israel vermutlich durch ihre Militärzeit begründet war bzw. ist.

Sicher, in vielen Dingen ist Israel ganz anders als Italien oder die DDR. Aber wer weiß, hätte die DDR am Mittelmeer gelegen und wäre von Israelis bewohnt und regiert worden… Ach, völliger Unsinn, sagen Sie? Das sei doch alles an den Haaren herbeigezogen? Das könne man auch anhand 100 anderer Staaten irgendwie konstruieren? Möglich. Gut möglich. Wahrscheinlich sogar. Vielleicht ist Israel eben doch nicht vergleich­bar. Nein, ganz sicher nicht. Schon deshalb: Es ist voller Juden. Und das ist auch gut so.

ivo bozic