Nichts Gesellschaftliches ist ihm fremd
»Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd«, schrieb Karl Marx einst als Maxime in das Poesiealbum seiner Tochter Jenny. Man kann das als poetische Formulierung seiner achten Feuerbach-These lesen, denn »alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlassen, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis«. Oder aber man liest es lediglich als Bekenntnis eines Humanisten. Ein Gutmensch, wie man heutzutage sagen würde, der aus universeller Menschlichkeit sich einerseits die Gesellschaft erklären will und daraus andererseits allerhand Forderungen für ein gutes und eben menschliches Leben ableitet.
Der Münchner Soziologe Armin Nassehi sieht in einer solchen Weltsicht bereits eines der fundamentalen Missverständnisse, die in einem prinzipiell schwer auszuhaltenden Zustand gipfeln. Nämlich dem, würde man marxistisch sagen, Widerspruch zwischen Ideologie und Wirklichkeit moderner Gesellschaften. Erlebt wird ein solcher Widerspruch etwa dort, wo angesichts von Wirtschaftskrisen, Pandemie oder Klimakatastrophe festgestellt wird, wie wenig vernünftiges Handeln einer geeinten Menschheit oder schlicht des eigenverantwortlichen Individuums zu erwarten steht. In Nassehis Worten stellt sich das grundlegende Problem folgendermaßen: »Wie können die Menschen, kann die Menschheit, kann die Gesellschaft so viel Leid und Problematisches zulassen, während sie die Mittel dagegen doch in der Hand zu halten scheint?«
Wie von ganz allein kommt Nassehi über seine nüchterne Beschreibung der Gesellschaft zu konservativen und im strengen Sinne gegenaufklärerischen Überlegungen.
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