In Russland ist der Militärblogger Igor Girkin alias Strelkow im Knast gelandet

Nationalistische Gewinner und Verlierer

Die russische Regierung hat die Kontrolle über mehrere Unternehmen im Besitz westlicher Konzerne übernommen. Gleichzeitig verschärft sie nach der Meuterei der Wagner-Gruppe die Repression gegen staatstreue, aber regierungskritische Militaristen.

Zum Profit gehört oft auch Risiko. Das ist nicht nur in Russland so. Wie schnell und unerwartet sich dort wirtschaftliche Rahmenbedingungen jetzt im Krieg ändern können, dürfte hingegen selbst seit vielen Jahren in Russland tätige ausländische Firmen vor den Kopf stoßen. Diese Erfahrung machten jüngst zwei der ganz Großen im Russland-Geschäft – der französische Lebensmittelkonzern Danone und das dänische Brauereikonglomerat Carlsberg. Per Dekret verfügte der russische Präsident Wladimir Putin am 16. Juli, dass ihre in Russland tätigen Unternehmen bis auf weiteres dem staatlichen Vermögensfonds Rosimuschestwo unterstellt werden. Faktisch kommt dies einer Nationalisierung gleich.

Zwei Tage später tauchte im russischen Unternehmensregister der Name des neuen Generaldirektors des russischen Danone-Ablegers auf. Bei dem 32 Jahre alten Jakub Sakrijew handelt es sich nicht nur um den amtierenden Landwirtschaftsminister der autonomen Föderationsrepublik Tschetschenien und ehemaligen Bürgermeister der tschetschenischen Hauptstadt Grosny, sondern auch um einen Neffen des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Das auf Wirtschaftsfragen spezialisierte russische Nachrichtenportal The Bell hatte bereits zuvor von an einer Danone-Übernahme interessierten Personen in Tschetschenien berichtet.

Danone eroberte als eines der ersten westlichen Unternehmen den russischen Markt und eröffnete 1995 dort die erste eigene Produktionsstätte. Seither avancierte das Unternehmen in Russland zum führenden Hersteller von Milchprodukten mit 17 eigenen Betrieben. Im vergangenen Herbst hatte Danone angekündigt, sein Russland-Geschäft einem neuen Eigentümer zu übertragen, allerdings ohne Einzelheiten zu nennen.

Bei Carlsberg stand ein Verkaufsvertrag unmittelbar vor dem Abschluss, dem die russische Regierung mit der faktischen Enteignung zuvorkam. 2008 hatte der dänische Konzern mit Baltika eine der erfolgreichsten Bierhersteller in Russland übernommen, der an neun Standorten produziert. Nach der russischen Invasion in der Ukraine wollte Carlsberg Baltika verkaufen, erst vor einem Monat gab die Leitung von Carlsberg bekannt, dass sich ein Käufer gefunden habe. Es fehlte lediglich die Zustimmung der russischen Aufsichtsbehörden – doch die hatten andere Pläne. Mit dem aus Nordossetien stammenden Tajmuras Bollojew, der bereits in früheren Jahren die Geschäfte von Baltika geführt hatte, überwacht nun ein Kenner der Brauereibranche die Konzerntätigkeit. Bollojew ist ein langjähriger Bekannter Putins und arbeitete beispielsweise bei den Wahlen 2000 und 2004 für ihn. Das korporative russische Staatsmodell macht loyale Personen zu Profiteuren, die Präsidialmacht kann Entscheidungen jedoch im Handumdrehen revidieren.

Die russische Regierung will die Kosten für die Konfiskation russischen Vermögens im Ausland hochtreiben und enteignet nun in Russland tätige westliche Konzerne.

Erst im April schuf Putin die formalen Voraussetzungen zur Übernahme ausländischer Vermögenswerte. In dem von ihm erlassenen Dekret heißt es, dass eine Fremdverwaltung dann erfolge, wenn in den USA und in an »diese angelehnten« Ländern Eigentum russischer Staatsangehöriger oder Unternehmen konfisziert werde. Als Erste traf es die russischen Töchter der Energieversorger Uniper aus Deutschland und Fortum, einen börsennotierten Energiekonzern mit Sitz in Finnland, dessen Anteile am in Russland tätigen Energiehersteller Unipro schon seit längerer Zeit abgestoßen werden sollten. Nach Angaben der russischen Regierung erfolgte die Zwangsverwaltung als Antwort auf die Verstaatlichung russischer Unternehmen im Ausland. Der konkrete Anlass war vermutlich die Verstaatlichung des russischen Gasunternehmens Securing Energy for Europe (SEFE), vormals Gazprom Germania, durch die deutsche Bundesregierung im vergangenen November. Nach außen lautet die Botschaft also: Wie du mir, so ich dir. Die Kosten für die Konfiskation russischen Vermögens im Ausland sollen hochgetrieben werden.

Zur gleichen Zeit ist Russlands Führung dazu übergegangen, allzu eigenmächtig agierende Personen im nationalistischen Lager zu maßregeln. Der Marsch von Jewgenij Prigoschins Wagner-Söldnern Richtung Moskau im Juni motivierte den Kreml offenbar zum Handeln. Die Regierung kündigte die Auflösung der Wagner-Gruppe an. Prigoschin war gezwungen, seine Medienfirma Patriot Media, die zahlreiche Nachrichtenseiten betrieb, zu schließen, während Tausende Wagner-Söldner nach Belarus verlegt werden sollen. Auf dem afrikanischen Kontinent bleibt die Söldnertruppe jedoch weiterhin mit Unterstützung Russlands aktiv.

Der ehemalige militärische Anführer der sogenannten Volksrepublik Donezk im Rang eines Obersten des Inlandsgeheimdiensts FSB, Igor Girkin alias Strelkow, der 2014 einen erheblichen Beitrag zur Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine geleistet hatte, sitzt indes seit Freitag voriger Woche in Untersuchungshaft. Offenbar hatten es die Strafverfolgungsbehörden eilig, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Noch am Tag seiner Festnahme wurde er dem Haftrichter vorgeführt, auf die sonst für diese Prozedur üblichen Unterlagen wurde verzichtet.

Anlässe für strafrechtliche Ermittlungen gegen Girkin/Strelkow gäbe es zuhauf, bislang lautet der Vorwurf auf öffentliche Aufrufe zu Extremismus, worauf bis zu fünf Jahre Haft ­stehen. Girkin nahm bei seiner Kritik der russischen Militärführung kein Blatt vor den Mund und erlaubte es sich sogar, Putin persönlich anzuprangern. Bislang kam er damit durch. ­Inzwischen scheint der Nutzen ehemaliger, wenn auch prominenter Kriegsteilnehmer für den Kreml geschwunden zu sein. Darüber hinaus verfügt Girkin über Einfluss in Kreisen, die Zugang zu Waffen besitzen. Das macht ihn hochgefährlich. Andererseits benötigt Putin weiterhin den Zuspruch von Hurra-Patrioten zur Fortsetzung des Kriegs und kann es sich nicht leisten, alle zu vergraulen.