Die Bundeszentrale für politische Bildung wird mehr denn je gebraucht

Demontage der Allgemeinvernunft

Der Bundeszentrale für politische Bildung sollen die Fördergelder gekürzt werden. Diejenigen, die das für einen Sieg über woke Indoktrinierung halten, verkennen, was verlorenzugehen droht.

Wer in der alten Bundesrepublik das Gymnasium besucht hat, wird sich, auch wenn er damals nur wenig Interesse am Tagesgeschehen hatte, aus dem Fach Politische Weltkunde an die »Schwarzen Hefte« der Bundeszentrale für politische Bildung erinnern. Mit diesen vierteljährlich erscheinenden »Informationen zur politischen Bildung« bietet die Bundeszentrale, eine Behörde des Bundesinnenministeriums, seit 1963 Lehrern an Oberschulen und an In­stitutionen der Erwachsenenbildung Lehr- und Lernmaterialien zur Geschichte der Bundesrepublik, zur Geschichte anderer Staaten, zur Außenpolitik und zum politischen Zeitgeschehen an.

Verglichen mit den Informations- und Hintergrundtexten in Schul­büchern für den Geschichts- und Sozialkundeunterricht waren die Artikel der »Schwarzen Hefte« ungleich anspruchsvoller, dichter und profilierter. Zumeist verfasst von Historikern und Politologen mit teils stark voneinander abweichenden Positionen zu ihrem Gegenstand vermittelten sie nicht nur die Grundlage für nuancierte Diskussionen des Unterrichtsstoffs, sondern auch eine erste Ahnung von dem unerschlossenen Wissen, das den eigenen Horizont noch überstieg und auf denjenigen wartete, der die Geduld aufbrachte, am einmal gefassten zeitgeschichtlichen Interesse über die Unterrichtszeit hinaus festzuhalten.

Solche Erfahrungen müssen in Erinnerung gerufen werden, um zu beurteilen, welche Folgen die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 fixierten Pläne zur Kürzung der Förderung der Bundeszentrale für politische Bildung hätten, wenn sie verwirklicht würden. Von 2024 an soll der für die Behörde vorgesehene Etat um ein Fünftel – circa 20 Millionen Euro – auf 76 Millionen Euro zusammengestrichen werden. Zwar dürfte der Kampf gegen Rechtspopulismus darunter kaum leiden; er wird von derart vielen outgesourcten Staatsagenturen – Stiftungen, Forschungsgemeinschaften und NGOs – besorgt, dass es keiner Bundeszentrale bedarf, um ihn zu unterstützen. Wirklich fehlen werden die Gelder in der Erwachsenenbildung und an den Volkshochschulen (die Förderung gemeinnütziger Anbieter politischer Bildungsver­anstaltungen soll um 25 Prozent gekürzt werden) sowie bei der Sicherung einer langfristigen, nicht nur auf tagesaktuelle Moden reagierenden politischen Bildung an den Schulen: bei der Bewahrung all dessen also, was mit einem altmodisch klingenden Wort politische Allgemeinbildung genannt wird.

Das »Reorientation« genannte Erziehungsziel war Bestandteil der Reeducation-Politik der Westalliierten, die die Bildungspolitik der alten Bundesrepublik bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre bestimmte. Insofern ist die Behörde ein Relikt des politischen Common Sense der alten BRD.

Altmodisch, nämlich im guten Sinn staatsbürgerkundlich, ist die Bundeszentrale für politische Bildung stets gewesen. 1952 als »Bundeszentrale für Heimatdienst« gegründet – ein Name, der wegen seines Nachklangs von Deutschem Reich 1963 aufgegeben wurde –, gehörte die »Demokratieerziehung« mit den Mitteln staatsbürgerlichen Unterrichts von Beginn an zu ihren in der Satzung festgehaltenen Selbstverpflichtungen. Das »Reorientation« genannte Erziehungsziel war Bestandteil der Reeducation-Politik der Westalliierten, die die Bildungspolitik der alten Bundesrepublik bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre bestimmte. Insofern ist die Behörde, auch wenn sie Elemente der woken Agenda postmoderner Linker in ihr Selbstverständnis integriert hat, ein Relikt des politischen common sense der alten BRD, der die Politik der Westbindung wenigstens als Dogma verteidigte, nicht weniger jedenfalls als den Glauben an Chancengleichheit, an den sozialen Aufstieg durch Bildung sowie die Überzeugung, dass es einen überzeitlichen Kanon historischen Wissens gibt, der intergenerationell tradiert, also festgehalten und erneuert werden muss.

Dass die Behörde von solchen selbstgesetzten Ansprüchen heutzutage immer weniger wissen will, demonstriert ihr Präsident, der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Thomas Krüger, wenn er angesichts der kritischer gewordenen Berichterstattung über die BDS-Bewegung vor einer »Diskursverengung durch Antisemitismusvorwürfe« warnt, was nichts daran ändert, dass in ihrem Wissenschaftlichen Beirat mit dem Historiker Peter Hoeres und der Ethnologin Susanne Schröter, die beide den »­Appell für freie Debattenräume« unterzeichnet haben, profilierte Gegner des links-akademischen Mainstreams sitzen.

Dass manche von der Bundeszen­trale unterstützten Veranstaltungen politisch fragwürdig sind, hat die Publizistin Judith Sevinç Basad auf der Online-Plattform Nius festgehalten. So werde der Instagram-Kanal »Say My Name«, auf dem das Canceln politisch inopportuner Wissenschaftler verteidigt und Werbung für Trans-Aktivismus gemacht werde, von der Bundeszentrale gefördert. Die meisten Beispiele, die Basad als Belege für deren woke Unterwanderung anführt, illustrieren hingegen eher ihre eigene Verbohrtheit beim Kampf gegen politische Korrektheit. Beim jüngst ausgerichteten Schülerwettbewerb der Bundeszentrale, empört sie sich, seien Teilnehmer beispielsweise aufgefordert worden, zu bestimmen, was »ziviler Ungehorsam« im Zusammenhang von Demons­trationen für den Klimaschutz bedeute, sowie die Frage »Wie weit darf Protest gehen?« zu beantworten. Weitere Fragen hätten gelautet: »Wie wäre es, wenn über euch mit einem anderen Pronomen gesprochen würde?« Und: »Welche Intention steckt hinter gendergerechter Sprache?«

Mit solchen Fragen, behauptet Basad, werde »moralischer Druck« ausgeübt, es handle sich um einen Versuch kollektiver Indoktrination im Sinne postmoderner wokeness. Dabei sind gerade diese Fragen ­Beispiele eines immer unbeliebteren Appells an Allgemeinvernunft und Gesprächsbereitschaft, für den die Bundeszentrale für politische Bildung traditionell meistens stand. Schließlich hindert die Schüler niemand daran, auf die Frage nach der Intention gendersensibler Sprache zu antworten: »Es soll moralischer Druck ausgeübt werden.« Und der Aufforderung »Recherchiert, was man unter Transmenschen versteht« nachzukommen, ist sogar Voraussetzung einer Kritik des Transgenderismus.

Es geht also bei den von Basad genannten Beispielen um das Gegenteil moralischer Erpressung: um die Anregung, sich auf Grundlage informierter Reflexion eine eigene Meinung über kontrovers diskutierte Tagesfragen zu bilden. Nichts anderes haben Schüler seit jeher durch das Aufsatz-Genre der Erörterung gelernt. Entsprechend wimmelt es in den seit 2019 erschienenen »Schwarzen Heften« auch nicht von Themenschwerpunkten über Queerness, Rechtspopulismus und Klimapolitik. Stattdessen finden sich klassische Themen der Politik- und Zeitgeschichte: »Internationale Sicherheitspolitik«, »Rechtsstaat«, »Das politische System der USA«, »Jüdisches Leben in Deutschland nach 1945«, »Weimarer Republik«, »Parlamentarische Demokratie« und »Ländliche Räume«. Es ist dieses angenehm altbackene Verständnis zeitgeschichtlichen Wissens, dem mit Christian Lindners Kürzungsplänen ganz im Sinne des herrschenden Zeitgeistes ein empfindlicher Stoß verpasst werden würde.