Was die Ausgehszene in Warschau von der Berlins unterscheidet

Party in Warschau: Alle kommen rein

Versteckte Bars, endlose Schlangen, unbekannte Dresscodes. Frisch tätowiert, schaffen es unsere Clubber und Nachtschwärmerinnen hinter die Türen der angesagten Locations. Drinnen erlebt das Party-Team der »Jungle World« die eine oder andere Überraschung.

Lunapark
Verwöhnt von der Berliner Clubs muss man in Warschau nach Open-Air-Locations etwas ­länger suchen. Auf der, von unseren Wohnungen aus gesehen, anderen Seite der Weichsel, im Stadtteil Praga werden wir fündig. Der Open-Air-Club »Lu­napark« wird angesteuert, der sich mit der zweitägigen Partyreihe »Spot Słoneczny«, übersetzt in etwa »Sonnenspot«, in den Winterschlaf verabschiedet.

Gefeiert wird nur von 16 bis 24 Uhr. Wir sind am zweiten Tag relativ früh da, weshalb die Schlange ­immens lang ist. Eigentlich abschreckend, Ewigkeiten auf Einlass warten zu müssen, doch die Türsteher sehen die Angelegenheit nicht so streng wie in Berlin: Alle kommen rein. Körperkontrolle Fehlanzeige, lediglich die Taschen werden nach Flüssigkeiten untersucht.

So sind wir schon nach 15 Minuten Wartezeit drin. Über bunte Stufen gehen wir runter aufs Areal und checken die beiden Dancefloors ab. Ein großes Zirkuszelt wölbt sich über dem einen Floor, »Wata Cukrowa« (Zuckerwatte) nennt sich diese von der Flame Crew kuratierte Bühne. Das längliche Gelände des »Lunapark« hat Jahrmarktcharakter, viele Stände bieten Snacks und Drinks an. Es gibt einen Arcade-Bereich mit Spielautomaten und Air-Hockey-Tischen sowie einem Dosenwurfstand. Es fällt auf, dass Spirituosenhersteller überall ihre Leuchtreklamen angebracht haben.

Wir trinken in Strandliegen mit Sponsoren-Logo unsere Cocktails, die an mehr als zehn Bars angeboten werden, preislich relativ günstig für gute sechs bis sieben Euro. Ein ­Getränkestand fällt allen auf und wir rätseln rum, weil keine Schilder und keine Preise zu sehen sind, nur eine Bar mit kleinem Schlitz für die Ausgabe. Es dauert ein paar Kippenlängen, bis wir uns aufraffen und nachfragen. Es handelt sich um eine Alkohol-Discountbar für Leute, die wenig Geld haben. Dafür steht man lange in der Schlange, ebenso lange wie vor den Toiletten.

Es füllt sich und wir gehen zum anderen Floor: »Hocki Klocki«, der sehr an die Berliner »Else« erinnert. DJ MKO mischt Disco und R’n’B-Sounds gepaart mit mainstreamigem Elektro. Für eine Zeit ganz nett, aber nicht ganz unsere Stimmung. Im Zelt legt Deaf Can Dance mit Densiflora auf und überzeugt mit eher minimalen, wubbernden Tönen den ganzen Abend lang.

Am Ende hat sich der Club mit schätzungsweise 3.000 bis 4.000 Menschen gefüllt. Ein sehr diverses Publikum von Schickimicki bis Hippie muss sich wohl oder übel bald auf den Weg nach Hause machen, denn um Punkt Mitternacht ist der Spaß vorbei. Schau war’s! Aber auch ein wenig Sell-out.

Dragana Bar im Złota Milonga
Wer feiern geht, macht sich meist auch schick. Die jeweilige Location und Partyreihe bestimmen die Optik. Andernfalls wäre die Gefahr zu groß, nach stundenlangem Anstehen an der Tür abgewiesen zu werden. Berlin und seine Touristen kennen das Problem.

Die Szene in Warschau ist allerdings allen Kollektivmitgliedern fremd und der Reiserucksack ließ nur wenig Platz für eine Auswahl verschiedenster Abendgarderoben zu. Die erste Abendveranstaltung, die besucht werden soll, ist dann auch direkt eine Herausforderung: Die Dragana Bar ist eine queere Technoparty in einem Lokal, in dem eigentlich Tango getanzt wird, dem »Złota Milonga«. Kurzer Blick in den Reiserucksack: nichts Passendes dabei. Irgendwas Besonderes muss aber sein. Also lassen sich zwei von uns kurzerhand in der Küche unserer Unterkunft tätowieren. Als das »Outfit« endlich abgeschlossen ist, geht es dann auch viel zu spät los. Aber wer was auf sich hält, kommt sowieso nicht pünktlich – klar.

Auf dem Weg begegnen wir unsere Kollegen, die in entgegengesetzte Richtung den Nachhauseweg antreten. Ihre polnische Begleitung verabschiedet sich noch mit den Worten, wir seien auf dem Weg zu einer »coolen Party mit coolen Leuten«. Ihre Abneigung gegen die Veranstaltung ist nicht zu überhören.

Nachdem wir etwas hilflos durch einen Park geirrt sind, um den Eingang zu finden, kommen wir endlich an der Schlange an. Klar, coole Partys zeichnen sich durch lange Schlangen aus. Bei den netten Menschen am Einlass angekommen, stellt sich allerdings heraus, dass die Wartezeit vielmehr am fehlenden Wechselgeld lag. Aber immerhin versprechen sie uns »die Party des Jahres«. Und: Wir sind drinnen, ergo cool genug. Tattoo sei Dank.

Zumindest für einen Kollegen beginnt der Abend mit einer Überraschung. Direkt am Eingang wartet sein Grindr-Date auf ihn – mit gleich zwei Bieren in der Hand, alle Achtung!

Beim Tanzen fällt ein Unterschied direkt ins Auge: Fotografieren und Videoaufnahmen sind erlaubt. Um das DJ-Pult tummeln sich dementsprechend »coole Leute«, die sich selbst unaufhörlich mit der DJ im Hintergrund beim Raven filmen.

Die Kollektivmitglieder wähnen sich kurzzeitig auf einer echten ­In-Party: Es seien zwei Warschauer Berühmtheiten auf der Feier, hat man von anderen erfahren. Die kennt zwar niemand von uns, aber denen von uns, die kein Date haben, scheint die Sache spannender als das Überraschungs-Rendezvous.
Beim Tanzen fällt ein Unterschied direkt ins Auge: Fotografieren und Videoaufnahmen sind erlaubt. Um das DJ-Pult tummeln sich dementsprechend »coole Leute«, die sich selbst unaufhörlich mit der DJ im Hintergrund beim Raven filmen. Cool. Der Floor ist viel zu hell beleuchtet. Das Fischgrätenparkett macht sicher was her, wenn man hier tagsüber Tango tanzt, insgesamt ­erinnert das Ambiente allerdings stark an Schülerdisco. Großes Plus: die beiden sehr eleganten 70jährigen Ladys hinter der Theke, die sich von unserer Redakteurin beibringen lassen, wie man einen Aperol Spritz zubereitet. Der bereits erwähnte Redakteur hat hingegen ein Auge auf den 20 Jahre jüngeren Kollegen der beiden geworfen; schließlich ist sein Grindr-Date mittlerweile schon nach Hause gegangen.

Ansonsten alles wie immer. Wer pinkeln muss, hat verloren. Vor ­allem in diesem Fall, wo es nur zwei Klos gibt, von denen im Laufe des Abends das eine auch noch ausfällt. Die Party des Jahres.

Mały Wojtek
Das »Mały Wojtek« ist eine charmante kleine Bar, die versteckt in einem Hinterhof liegt und ein bisschen Außenbereich zum Rauchen aufweist. Den Weg zur Bar muss man erst mal finden. Eine Möglichkeit besteht darin, sich über den Hauseingang der Bracka 20 reinzuklingeln. Dass sich das Tor mit der Kombination »Schlüsselsymbol – 10« öffnen lässt, ist nicht direkt selbsterklärend, aber es funktioniert. Vielleicht ist das auch der Grund, warum man in dem netten Etablissement vor allem alternative Polen und Polinnen trifft, obwohl sich die Bar mitten im Zentrum in unmittelbarer Nähe zum Kulturpalast befindet. Ein netter Genosse aus dem Boxtraining im besetzten Zentrum hatte sie uns als seine Lieblingsbar empfohlen.

Offside
Mit der Bahn ist man schnell im östlich der Weichsel gelegenen Szenestadtteil Praga. Man fährt drei Stationen von der Altstadt bis zur Haltestelle Dworzec Wileński. Dort angekommen, orientiert man sich Richtung des nördlichen Praga-Północ. Die heruntergekommenen alten Backsteinhäuser, die sehr normalen ­Leute auf den Straßen, alles wirkt hier sehr »authentisch«.

Und dann steht man an der Ecke Zaokopowa und Wileńska plötzlich vor der netten Fußballkneipe »Offside«. Im Schaufenster hängt ein ­Plakat mit den Spielterminen des Frauenteams des Vereins AKS Zły (Alternatywny Klub Sportowy Zły, ­Alternativer Sportverein Bad). Den »ersten demokratischen Sportclub in Warschau« (vielleicht auch den einzigen) hatte uns vorab ein netter Kollege vom Fußballmagazin 11 Freunde empfohlen. Der Verein hat ein Frauen- und ein Männerteam und setzt sich gegen Rassismus, Homophobie und soziale Ausgrenzung ein. Keine Selbstverständlichkeit. Die Mitarbeiterinnen hatten uns ausdrücklich davon abgeraten, das Frauenteam bei einem Auswärtsspiel zu begleiten: »Leider hat das Team, gegen das wir spielen, keine posi­tive Haltung zum Besuch von Freunden.«

In der Kneipe sieht es gemütlich aus, man fühlt sich gleich wohl. Schicke polnische Plakatkunst und die obligatorischen Fan-Schals von Besuchern aus allerlei Ländern sind zu sehen. An der Mittelsäule hängt zum Entzücken einer Redakteurin ein Schal des FC St. Pauli. Im Fenster um die Ecke hängt etwas anderes: ein Bild Wladimir Putins an einem kleinen selbstgebastelten roten Holz­galgen. Der Laden gefällt.

Sunn O))) mit Kali Malone im Progresja
Wenn eine experimentelle Künstlerin wie Kali Malone mit einem ­gestandenen Drone-Rocker wie Stephen O’Malley, dem Gitarristen des US-Drone-Doom-Duos Sunn O))), eine gemeinsame Platte macht, liegt es nahe, dass sie auch zusammen auf Tour gehen – zumal die beiden seit kurzem verheiratet sind. Im Gepäck haben sie »Does Spring Hide Its Joy«, ein im vergangenen Jahr veröffentlichtes mehrstündiges brummendes Klangkunstwerk, an dem auch als Dritte im Bunde die Cellistin Lucy Railton beteiligt war.

Auszüge daraus werden beim Konzert im Warschauer Club »Progresja« am 15. September als Vorprogramm der »Sunn O))) Show« in Sinuswellen zu Gehör gebracht.

Kali Malone steht in Jeans und Ledermantel auf der Bühne. Als zum Ende ihrer Klangperformance Hubschraubergedröhn die Halle vibrieren lässt, ist es vorbei mit der sakralen Stimmung. Malone verneigt sich und geht ohne ein müdes Lächeln ab.

Stephen O’Malley und sein Bandpartner Greg Anderson in dunklen Kutten entern nun die mit Equipment vollgepackte Bühne. Sie spielen ausschließlich auf Verstärkern der 2002 verblichenen Firma Sunn, nach denen sich die Band benannt hat.

Ob die beiden Gehörschutz verwenden, ist nicht ersichtlich. Weiße Laser schneiden durch die Nebelwände und bilden pulsierende geometrische Formen. Die Lichtskulpturen erzeugen drei über der Bühne hängende Projektoren. Immer wieder werden die Gitarren den Verstärkern zugewandt ins Licht gehalten. Geplante maximale Verzerrung. Nach guten 90 Minuten ist das Hirn nur noch Brei. Danke für die aufrüttelnde Meditation!