Christian Sperneac-Wolfer, Institut für Sozialforschung, im Gespräch über seine Studie über rumänische Wanderarbeiter in der deutschen Baubranche

»Für manche überwiegt die Angst, arbeitslos zu sein«

In der deutschen Bauwirtschaft arbeiten Zehntausende Wanderarbeiter aus Rumänien unter schlechtesten Bedingungen. Das Projekt »Rumänische Wanderarbeiter_innen in der deutschen Baubranche. Eine klassifikationstheoretische Studie« des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main begleitet sie seit mittlerweile zwei Jahren. Die »Jungle World« sprach mit Christian Sperneac-Wolfer, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektbearbeiter der Studie.
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Unter welchen Bedingungen arbeiten die rumänischen Arbeiter in der deutschen Baubranche?
In der Studie haben wir 28 Interviews mit rumänischen Arbeitern geführt und mit vielen weiteren gesprochen. Von über 100 Männern hat keiner zu den Konditionen gearbeitet, die ihm nach Arbeitsrecht zustehen. Häufig waren die Arbeitstage zu lang, wurde Geld für Überstunden, Urlaub oder gar der komplette Lohn unterschlagen, Pausen wurden nicht eingehalten. Viele dieser Arbeiter waren fälschlicherweise als Bauhelfer angestellt, das ist die niedrigste Lohngruppe. Dieser Status sieht nur einfachste Aufgaben nach Anweisung vor. Die Leute errichten aber komplette Gebäude. Und das für durchschnittlich neun bis 13 Euro netto in der Stunde.

Naiv gefragt: Wie kann das trotz der Tarifregelungen und Arbeitsschutzgesetze in Deutschland sein?
Die Struktur gibt das her! Viele Sicherheiten hängen vom Arbeit­geber ab. Ein Beispiel: Ein Arbeiter mit einer 55-Stunden-Woche hat einen Unfall auf der Baustelle. Erst setzt ihn sein Arbeitgeber ­unter Druck und droht, alle Kollegen zu entlassen, wenn er den Unfall meldet. Als er einige Zeit danach doch verletzt ins Krankenhaus muss, stellt er fest, dass sein Arbeitgeber ihn inzwischen abgemeldet hat. Die Krankenkasse erkennt den Lohnzettel nicht als Nachweis für die Anstellung an. Sie will Krankengeld erst zahlen, wenn der Arbeitgeber die falsche Abmeldung korrigiert. So lange fehlt dem Arbeiter Geld. Da er nur einen Vertrag über 20 Stunden bekommen hat, sind die Sozialleistungen außerdem äußerst gering. Zu alldem ist er auch seine Unterkunft in Deutschland los, weil auch die an den ­Arbeitgeber gebunden war: Der hatte ihm ein Bett in einem Viererzimmer bereitgestellt. In der Studie nennen wir es »multiple Prekarität«, dass Arbeiter in Sachen Arbeit, Wohnung und Lebensgestaltung mit so viel Unsicherheit konfrontiert sind.

»In der Studie nennen wir es »multiple Prekarität«, dass Arbeiter in Sachen Arbeit, Wohnung und Lebensgestaltung mit so viel Unsicherheit konfrontiert sind.«

Obwohl solche Zustände in der rumänischen Öffentlichkeit bekannt sind, lassen sich Menschen darauf ein – warum?
Unsere Befragung hat gezeigt, dass die Arbeitenden vor allem davon ausgehen, dass sie gute Arbeit anbieten und dass die in Deutschland gebraucht und gut bezahlt wird. Natürlich gibt es dazu unterschiedliche Ideen, aber vieles hat mit dem Selbstbild der Arbeiter – eben als Arbeiter – zu tun. Für einige gehört es entsprechend zum Selbstbild, schwere körperliche Tätigkeiten bewältigen zu ­können. Für andere zählt vor allem ihre Vereinbarung mit dem Arbeitgeber und sie stehen zu ihrem Wort. Wenn also per Handschlag ausgemacht wird, dass ein Projekt fertig werden soll, dann bauen sie auch sonntags.
Für manche überwiegt einfach die Angst, arbeitslos zu sein, und sie ziehen eine »schlechte« Arbeit vor, statt keine zu haben. All das wird in der Baubranche ausgenutzt. Auch wenn viele mit mehreren Hundert Euro pro Monat zum Familieneinkommen in Rumänien beitragen – was verglichen mit den Löhnen in Rumänien viel ist –, werden sie im Vergleich zu den deutschen Kolleg:innen geringer bezahlt und weniger fürs Alter oder andere Arbeitsunfähigkeit abgesichert.

Für gewerkschaftliche Organisierung ist Deutschland eher weniger bekannt …
Es gibt Unterstützung und Organisationen, die wichtige Infor­mationen und Hilfe anbieten. Aber insgesamt ist die Ausbeutung in der Branche weitverbreitet und wird öffentlich zu wenig ­diskutiert.