Homestory

Homestory #42/23

Als das Redaktionskollektiv dieser Zeitung vor knapp einem Monat in Warschau war, herrschte dort bei politischen Gesprächspartnern gedrückte Stimmung. Die Umfragen sagten bei den anstehenden Parlamentswahlen einen knappen Wahlausgang voraus. Als schlimmstes Szenario stand die Möglichkeit einer Koalitionsregierung der regierenden Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit) mit der noch weiter rechts stehenden Konfederacja im Raum – also vier weitere Jahre PiS, vier weitere Jahre Erosion der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz, vier weitere Jahre rechtspopulistische Stimmungsmache im öffentlichen Fernsehen, vier weitere Jahre Kriminalisierung von Abtreibung.

Gerade die polnischen Linken neigten zum Pessimismus und malten bereits eine Zukunft wie in Ungarn an die Wand – schließlich geben die politischen Trends in Europa auch wenig Anlass für Optimismus und politische Aufbruchstimmung. Manche fragten sich immerhin, wie groß die Proteste nach einem Wahlsieg von PiS wohl ausfallen und ob sie nur die Großstädte erfassen würden oder auch den Rest des Landes.

Aber es kam anders. Als am Dienstagvormittag die Stimmen ausgezählt waren, blieb PiS zwar stärkste Kraft, aber mit deutlichen Verlusten und offenbar ohne die Möglichkeit, eine neue Regierungskoalition zu bilden, denn die rechtsextreme Konfederacja schnitt mit knapp über sieben Prozent ebenfalls überraschend schlecht ab. Stattdessen scheint eine Koalition aus Liberalkonservativen, Linken und der konservativen Partei »Dritter Weg« wahrscheinlich.

PiS hatte selbst, mit dem üblichen rhetorischen Populismus, die Wahl zur Schicksalsentscheidung über die Zukunft Polens hochstilisiert. Das hat wohl viele beeindruckt, aber eben nicht nur PiS-Wähler: Die Wahlbeteiligung war mit 74 Prozent landesweit außergewöhnlich hoch, insbesondere bei jüngeren Wählern. In Warschau gaben sogar 85 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.

»Wer hätte das vor einigen Jahren gedacht, plötzlich wählt Polen liberaler als halb Deutschland«, meint ein Bekannter mit polnischem Familienhintergrund. Zu zeigen, dass das Bild vieler Deutscher vom Nachbarland zumindest überholt, wenn nicht gar von Vorurteilen, Unwissenheit und Herablassung geprägt ist, war eines der Anliegen der Polen-Ausgabe der Jungle World. Was für Skandale und Probleme die Ursachen für das schlechte Abschneiden von PiS waren und dass mit der Bürgerplattform Donald Tusks auch alles andere als eine linksliberale Regierung an die Macht kommen wird, kann man dort ebenfalls nachlesen. Dennoch: Man nimmt die guten Nachrichten heutzutage ja, wo man sie kriegen kann, und der Ausgang dieser Wahl am Sonntag war sicher eine.