Pia Lamberty, Center for Monitoring, Analysis and Strategy (Cemas), im Gespräch über Desinformationskampagnen während des Israel-Gaza-Kriegs

»Der Informationskrieg nutzt bestehende Ressentiments«

Die Hamas streute Fake News über einen angeblichen israelischen Angriff auf ein Krankenhaus in Gaza. Renommierte Medien weltweit verbreiteten die Meldung, ohne die Terrororganisation als Quelle ausreichend kritisch einzuordnen. Die Konsequenzen zeigten sich schnell auch auf deutschen Straßen: Hunderte versammelten sich, um gegen einen angeblichen Genozid zu demonstrieren. In Berlin-Neukölln kam es mehrere Tage zu Ausschreitungen. Die »Jungle World« sprach mit Pia Lamberty, Leiterin des Center for Monitoring, Analysis and Strategy (Cemas), über Desinformationskampagnen.
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Antiisraelische Kräfte führen derzeit online einen Informationskrieg. Wie gefährlich ist dieser?
Ich halte den Informationskrieg für brandgefährlich. Falschinformationen können dazu führen, dass Menschen in ihren antisemitischen Weltbildern bestätigt und aus Worten dann Taten werden. Durch diese Beschallung mit Propaganda und Lügen durch die Hamas und ihr nahestehende Akteure können Fakten nicht mehr durchdringen. Das verschleiert wiederum die Brutalität der Taten der Hamas und spielt ihr in die Hände.

Gibt es etwas, das Nutzer:innen sozialer Medien tun können, um der Flut von Falschmeldungen Einhalt zu gebieten?
Ich finde es wichtig, Menschen Kompetenzen zu vermitteln im Umgang mit den sozialen Medien. Das fängt ganz simpel damit an, dass man vorsichtig ist, was man teilt, und ein Gefühl dafür bekommt, von wem gewisse Inhalte bespielt werden. Selbst Statements von reichweitenstarken Accounts, die erst einmal nett klingen, verbreiten die falsche Behauptung, Israel begehe einen Genozid. Man sollte genau lesen, was Menschen teilen.

»Bildung ist natürlich auch nicht das Allheilmittel, aber trotzdem ein wichtiger Baustein. Die geplanten Kürzungen im Bereich der politischen Bildung sind mir daher vollkommen unverständlich.«

Es ist also eine Kompetenzfrage?
Es ist nicht nur eine Kompetenzfrage, nein. Das zeigen neue Studien auch zur Wirksamkeit von Faktenchecks oder ähnlichen Ansätzen: Die eigene politische Weltsicht spielt eine große Rolle, ob solche Ansätze wirksam sind oder nicht. Wer also sowieso latent oder offen antisemitisch ist, der wird von solchen Angeboten nicht erreicht. Die Faktenchecks zielen dann eher auf das Umfeld dieser Personen ab.

Helfen Community Notes, also kollektive Faktencheck-Programme, wie sie etwa Ende vorigen Jahres auf X eingeführt wurden, den Schaden von Falschmeldungen zu begrenzen?
Bei dem, was wir die letzten zwei Wochen an Fake News gesehen haben, können community notes nur in sehr kleinem Maß ein adäquater Ansatz sein. Die Social-Media-Dienste haben eine enorme Verantwortung, der sie derzeit nicht ansatzweise im ausreichenden Maß nachkommen.

Was braucht es jetzt gerade politisch im Kampf gegen Desinformation?
Es gibt kaum Bildungsmaterialien zum Thema Krieg und Konflikt auf Social Media, wenig Wissen insgesamt. Bildung ist natürlich auch nicht das Allheilmittel, aber trotzdem ein wichtiger Baustein. Die geplanten Kürzungen im Bereich der politischen Bildung sind mir daher vollkommen unverständlich.

Kommt der Informationskrieg gerade überraschend?
Der gegenwärtige Informationskrieg trifft auf bereits bestehende Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden und Israel als jüdischen Staat. Die Hamas hat seit Jahren ihre Strukturen ausgebaut und erreicht so mit ihren Inhalten eine immense Zahl an Personen. Antisemitismus wird ja auch gerade nicht nur in irgendwelchen kleinen Ecken des Internets verbreitet, sondern auch von Wissen­schaftler:innen, Journalist:innen oder Besitzern von Social-Media-Plattformen. Die Forscherin Monika Schwarz-Friesel sprach ja nicht ohne Grund bereits 2021 von antiisraelischem Antisemitismus als »zunehmend salonfähiger Massenbewegung«.