Die Lokführergewerkschaft GDL setzt sich mit ungewöhnlichen Mitteln für ihre Mitglieder ein

Mit harten Bandagen

Die Bahngewerkschaft GDL wird oft für ihr aggressives Vorgehen kritisiert. Wenn es um Streiks geht, predigen ­ausgerechnet Wirtschaftsliberale demütige Opfer­bereitschaft zum angeblichen Wohle der Gemeinschaft.
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Leiharbeit ist eine boomende Branche. Die Industriekonzerne nutzen sie, um ihr Stammpersonal auszudünnen. Denn dieses müssen die Konzernherren und -herrinnen nach Tarifvertrag bezahlen. Leiharbeiter sind billiger zu haben: Keine Betriebsrente, kein Zuschuss fürs Kantinenessen oder für die Fahrtkosten, und kein Problem, sie jederzeit wieder loszuwerden.

Nun könnte es vielleicht zum ersten Mal eine Leiharbeitsfirma geben, die bessere Konditionen als der geltende Tarifvertrag bietet. Der Konflikt zwischen der Deutschen Bahn (DB) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ist um eine Variante reicher: Die GDL hat vergangenes Jahr eine Genossenschaft gegründet, Fair Train heißt sie. Der Plan dahinter ist folgender: Die Lokführer sollen bei der DB kündigen und bei der Genossenschaft anheuern, die sie dann wieder als Leiharbeiter an DB vermittelt – allerdings mit besseren Arbeitsbedingungen, unter anderem der 35-Stunden- und der Viertagewoche.

Die Deutsche Bahn müsste das akzeptieren, weil dem Konzern die Leute davonlaufen und er sie nur als bessergestellte Leiharbeiter wiederbekommt – so das Kalkül der GDL. Sie will das, was man ihr als Gewerkschaft verweigert, nun als Unternehmen bekommen. Die Deutsche Bahn hat dagegen geklagt. Wer konkurrierender Unternehmer sei, könne nicht zugleich als Gewerkschaft agieren, argumentiert sie. Sollte die Bahn recht bekommen, könnte die GDL sogar ihre Tariffähigkeit als Gewerkschaft verlieren.

Die beiden Gewerkschaften GDL und EVG konkurrieren um Mitglieder. Besonders die GDL versucht deshalb, sich als kämpferisch zu profilieren.

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer ist mehr Standesorganisation als Gewerkschaft. Inzwischen sucht sie zwar Mitglieder in allen Berufssparten des Bahn-Konzerns, doch ist sie vorrangig immer noch eine Interessenvertretung der Lokführer. Die machen jedoch nur eine Minderheit der DB-Angestellten aus.

Das ist ein Problem für die GDL. Denn für den Fall, dass mehrere Gewerkschaften vorhanden sind, gilt: Wer die meisten Angestellten in einem jeweiligen Betrieb vertritt, kann den Tarifvertrag abschließen. Deshalb gilt nur in 18 von 300 Betrieben der Deutschen Bahn der GDL-Tarifvertrag. In der weit überwiegenden Zahl der Betriebsstätten gilt hingegen der Tarifvertrag der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die im DGB ist. Drei Viertel der gewerkschaftlich organisierten DB-Beschäftigten gehören ihr an.

Die beiden Gewerkschaften konkurrieren also um Mitglieder. Besonders die GDL versucht deshalb, sich als kämpferisch zu profilieren. Was die Wirtschaftskommentatoren besonders erbost, ist, dass sie die Viertagewoche fordert. Qualifiziertes Personal werde doch händeringend gesucht – in solchen Zeiten die Arbeitszeit zu verkürzen, sei verantwortungslos.

Dieser Appell an die GDL, doch nicht so egoistisch zu sein und auch ans große Ganze (die armen Pendler, der arme Bahn-Konzern!) zu denken, hat zumindest etwas Ironisches. Beim Verkauf seines Eigentums den eigenen Vorteil zu suchen, ist doch das, was den Kapitalismus seinen Apologeten zufolge so attraktiv macht.

Eine verkürzte Wochenarbeitszeit zu fordern, sei bar jeder ökonomischen Vernunft, sagt der Wirtschaftsjournalismus. Zugleich feiert er das autonome Fahren als technologische Revolution. Dabei wird das führerlose Auto wohl eine Schimäre bleiben, während die automatisierte Lokomotive durchaus realistisch ist – und sobald es sich betriebswirtschaftlich rechnet und technisch funktioniert, wird die Bahn die Lokführer durch die selbststeuernden Maschinen ersetzen. Alles andere wäre aus ihrer Sicht unvernünftig, weil es der Gewinnorientierung widerspräche.

Die bürgerliche Wirtschaftspresse predigt den Arbeitern gerne aufopferungsvolle Zurückhaltung. Die Lektion der Arbeiterbewegung ist eine andere: So etwas wird im Kapitalismus nicht belohnt.