Dem Hamburger Musikclub »Molotow« wurde gekündigt

Tanz den Investor

Der Hamburger Musikclub »Molotow« soll einem Hotelneubau weichen. Gegen die Abwicklung der Subkultur formiert sich ein breiter Widerstand.

Man kennt es beinahe aus jeder westeuropäischen Metropole: Geschäfte wie H & M, Zara, Rossmann und Vero Moda prägen das Stadtbild. Die etwas besser Betuchten dürfen sich außerdem noch über Filialen von Gucci oder Hermès freuen. Daneben stehen Fress- und Trinkhallen, die oftmals ebenfalls Ketten sind. Ob Oslo, Lissabon oder Berlin – die Innenstädte haben sich in den vergangenen Jahren angeglichen.

Es gibt kaum noch Stadtteile, die mit bunten Häusern und einem etwas raueren Charme locken. Dementsprechend zieht es Menschen in alternativ geprägte Stadtviertel wie Christiania in Kopenhagen oder ins Hamburger Gängeviertel. Doch selbst diese Kleinode bangen immer wieder um ihre Existenz. Ebenso gefährdet sind kleinere Orte, wie derzeit der Hamburger Musikclub »Molotow«. Ende Juni soll Schluss sein für die Hamburger Institution auf der Reeperbahn. An ihrer Stelle ist ein Hotelneubau geplant.

»Ich habe Anfang der nuller Jahre im ›Molotow‹ Theke gemacht und bin bis heute begeistert von der Atmosphäre. Kleine Bands, die im ›Molotow‹ teils ihre ersten Konzerte gegeben haben«, erzählt Sonja mit immer noch glänzenden Augen der Jungle World. Damals war das »Molotow« noch in den Esso-Häusern mitten auf dem Kiez auf St. Pauli beheimatet. Zwischen Spielbudenplatz, Taubenstraße und Kastanienallee standen die Plattenbauten, die über die Jahrzehnte Kultstatus erlangten. Die Esso-Tankstelle inmitten der Häuser stand für den Namen Pate.

»Es braucht Orte wie das ›Molotow‹, in denen kleine Bands starten und auch groß werden können.« Luke, Sänger und Gitarrist der Punkband Spitfire Stevens

2014 wurden die Gebäude wegen Einsturzgefahr abgerissen. Ein neuer Bebauungsplan unter intensiver Beteiligung der Anwohner war kurz darauf gefunden. Das »Molotow« hätte dort wieder Räume bekommen sollen. Doch geschehen ist seither nichts. »Der geplante Neubau des ›Paloma-Viertels‹ hat bis heute nicht begonnen. Dabei sollten und wollten wir genau dahin zurück«, teilt Andi Schmidt, Betreiber des »Molotow«, der Jungle World mit.

Über mehrere Zwischenstationen ist der Club nun seit September 2014 am Nobistor beheimatet, direkt am Beginn der Reeperbahn. »Die Location ist ein Traum. Es gibt drei Bühnen, auf denen Live-Musik gespielt werden kann. Wir hatten einige Auftritte dort, die alle megaviel Spaß gemacht haben«, schwärmt Luke, Sänger und Gitarrist der Punkband Spitfire Stevens, im Gespräch mit der Jungle World. Er habe das »Molotow« an allen Standorten als Gast oder auf der Bühne begleitet, findet den derzeitigen Standort aber besonders geeignet, da es dort so viel Platz gebe. »Es braucht Orte wie das ›Molotow‹, in denen kleine Bands starten und auch groß werden können«, ist sich Luke sicher. Und dafür ist das »Molotow« international bekannt.

Ab dem 30. Juni soll mit dem bunten Treiben vorerst Schluss sein. Kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember, trudelte die Kündigung ein. Ein Schock für die Betreiber. Schmidt sagt, er habe immer darum gebeten, ihn mindestens ein Jahr vor einer angedachten Kündigung zu informieren. Mit einer Kündigung habe er zwar schon seit Jahren gerechnet, denn der Vertrag wurde immer wieder nur befristet verlängert. Die kurze Frist stelle nun allerdings eine Belastungsprobe dar. Für das gesamte Jahr sind bereits Konzerte und Events terminiert. Damit nicht genug: Schmidt muss nun eine Massenentlastungsanzeige einreichen, um alle gesetzlichen Formalitäten zu erfüllen und die halbjährige Kündigungsfrist einzuhalten. Bis Ende des Monats muss er insgesamt 47 Personen gekündigt haben.

Nach Angaben des Eigentümers Marn Objektmanagement ist an der Adresse ein Boutiquehotel für die Lindner Hotels geplant. »Der geplante Hotelneubau würde dazu führen, dass die Reeperbahn immer weiter zu einer gesichtslosen Konsummeile wird«, warnt Schmidt. Kleine Clubs, in denen noch unbekannte Bands ihr Debüt geben können, wären dann Mangelware.

Gegen die Kündigung formierte sich bereits kurz nach Weihnachten Protest. Demorave, ein Zusammenschluss lokaler Kollektive, der sich für Subkultur in Hamburg einsetzt, und die Punkband Team Scheisse riefen am 30. Dezember zu einer Demonstration vor dem »Molotow« auf. Insgesamt mehr als 3.000 Menschen folgten dem Aufruf und skandierten lautstark ihre Forderungen nach einem Verbleib des Musikclubs an seinem jetzigen Standort. »Von dieser Beteiligung war ich echt überwältigt. Es war ein deutliches Zeichen, dass das ›Molotow‹ fest zum Kulturleben dazugehört«, erzählt Schmidt. An einen Umzug möchte er gar nicht erst denken.

Vier angesagte Clubs müssen bereits einem Brückenneubau an der Sternbrücke in Hamburg-Altona weichen: die »Astra-Stube«, der »Waagenbau«, das »Fundbureau« und die »Beat Boutique«. Die beiden letztgenannten haben ein Angebot der Stadt angenommen, ihren Standort hinter die Deichtorhallen in der Nähe des Hauptbahnhofs zu verlegen. Doch das Gebiet liegt abseits bekannter Feierrouten. Man müsste sich gezielt auf den Weg machen. Kleine Konzerte würden sich noch weniger lohnen.

Entgegen den Absprachen lässt die Bayerische Hausbau, Eigentümerin des Areals der abgerissenen Esso-Häuser, das Grundstück seit zehn Jahren brachliegen.

Die »Astra-Stube« und »Waagenbau« haben die angebotenen Ersatzräume abgelehnt. Und auch Andi Schmidt kann sich einen Umzug hinter die Deich­torhallen nicht vorstellen. »Wir gehören auf den Kiez. Hier hat Team Scheisse zum ersten Mal vor ausverkauftem Haus gespielt«, betont Schmidt. Till von Soul Force Records, dem Label von Team Scheisse, unterstreicht im Gespräch mit der Jungle World die Bedeutung von Clubs wie dem »Molotow«: »Wenn es so Läden nicht mehr gibt, können diese Konzerte nicht mehr stattfinden.«

Die Stadt hat das Potential der Subkultur bereits seit geraumer Zeit erkannt. Nach langen Protesten gelang die Rettung des Gängeviertels und auch bei der Beschaffung neuer Räumlichkeiten für die Clubs an der Sternbrücke war man behilflich. Doch das Spiel ist immer zweischneidig. Denn eine durchdachte Kulturpolitik in Konfrontation mit Investoren sucht man vergebens.

Entgegen den Absprachen lässt die Bayerische Hausbau, Eigentümerin des Areals der abgerissenen Esso-Häuser, das Grundstück seit zehn Jahren brachliegen. Und der Brückenbau auf Wunsch der Bahn an der Sternbrücke ist umstritten. Immerhin ist die Stadt derzeit mit dem »Molotow« im Gespräch. Und sogar Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) meldete sich ­unmittelbar nach Bekanntwerden der Kündigung bei X zu Wort: »Ich kann und will mir eine Kulturstadt Hamburg ohne ›Molotow‹ nicht vorstellen.« Schmidt bestätigt, dass es bereits Gespräche gibt. Über Details kann er zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht sprechen. Die Demonstration aber, da ist er sich sicher, habe auf jeden Fall geholfen.