Jede vierte Frau muss ihren Aufenthalt im Frauenhaus selbst bezahlen

Zahlen, bitte

Die prekäre und uneinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern führt dazu, dass viele Frauen ihren Schutz selbst bezahlen müssen oder schlimmstenfalls keinen Zugang erhalten.

Man stelle sich eine Gesellschaft vor, in der Frauen, die von seelischer oder körperlicher Gewalt betroffen sind, für ihren Schutz selbst zahlen müssen, in der es also keine staatlich garantierte Hilfe gibt. Was das für ein Gurkenstaat sein soll? Willkommen im Deutschland 2024!

Die derzeitige Bundesregierung hat zwar im Koalitionsvertrag versprochen, »das Hilfesystem entsprechend bedarfsgerecht« auszubauen. Lange herrschte beim Thema jedoch Stillstand. Selbst das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gibt auf Anfrage der Jungle World unumwunden zu, dass es »eine bundesweite, einheitliche und verbindliche Grundlage für die Finanzierung von Frauenhäusern (…) derzeit nicht« gibt. Und ergänzt: »Nach wie vor finden nicht alle gewaltbetroffenen Frauen in Deutschland die Hilfe, die sie benötigen.« Rund 14.000 Plätze fehlen derzeit in den hiesigen Frauenhäusern. Das Recherchenetzwerk Correctiv kam zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2022 an durchschnittlich 303 Tagen keine Aufnahme von Frauen und Kindern mehr erfolgen konnte. Es gab schlicht und ergreifend keine freien Plätze.

Doch die fehlenden Plätze sind nur eine Großbaustelle in der Versorgung schutzsuchender Frauen. Die noch immer fehlende bundesweit einheitliche Regelung zur Finanzierung der Frauenhäuser hat zudem dazu geführt, dass einige der Betroffenen für ihren Schutz selbst aufkommen müssen. Das zeigt die Bundesweite Frauenhaus-Statistik 2022: »13 Prozent der Frauen trugen die Kosten des Frauenhausaufenthalts komplett selbst, weitere 13 Prozent übernahmen anteilig Kosten des Aufenthaltes.« Insgesamt musste demnach jede vierte Frau ihren Aufenthalt im Frauenhaus entweder anteilig oder in Gänze selbst bezahlen.

»Viele Frauen mit Migrationsgeschichte haben einen ungesicherten Status und insofern große Schwierigkeiten, einen Platz im Frauenhaus zu finden.« Anja Kröber, Autonomes Frauenhaus Oldenburg

Ohne Sozialleistungsansprüche kommen laut Frauenhauskoordinierung e. V. (FHK) je nach Region tägliche Kosten von zehn bis 150 Euro auf die betroffenen Frauen zu. »In der Regel sind dies Frauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, Studentinnen oder Rentnerinnen«, so Freya Rudek, Referentin für Statistik bei der FHK im Gespräch mit der Jungle World.

Die größte Gruppe stellen Frauen mit Migrationsgeschichte. Rund zwei Drittel der schutzsuchenden Frauen sind nicht in Deutschland geboren. Alle betroffenen Gruppen eint, dass sie oftmals über keine Rücklagen für solch hohe Kosten verfügen. So häufen sich entweder schnell Schulden an oder aber das Frauenhaus übernimmt diese – und kommt damit selbst in Schieflage. Spendengelder sind dann schnell aufgebraucht. »In unserem Haus bezieht ein Großteil der Frauen Bürgergeld. Viele Frauen mit Migrationsgeschichte, die sich an uns wenden, haben jedoch einen ungesicherten Status und insofern große Schwierigkeiten, einen Platz im Frauenhaus zu finden«, erzählt Anja Kröber vom Autonomen Frauenhaus Oldenburg der Jungle World. Eigentlich hätten sie daher auch keinen Anspruch auf einen Platz im Frauenhaus.

Die Aufnahme geflüchteter Frauen ist für die Frauenhäuser »mit einem großen Finanzierungsrisiko verbunden«, so die Frauenhaus-Statistik. Beispielsweise hätten von 49 Frauen, die im vergangenen Jahr in Oldenburg aufgenommen wurden, vier ihren Aufenthalt selbst bezahlen müssen, so Kröber. »An uns wenden sich in der Regel Frauen, die sich auch finanziell in einer prekären Situation befinden«, erzählt sie. »Gutsituierte Frauen sind natürlich ebenfalls von Gewalt betroffen, haben aber oftmals ein starkes soziales Netzwerk und die finanziellen Ressourcen, sich eine eigene Wohnung zu nehmen.«

Ein ähnliches Bild zeigt sich in Heidelberg. Im dortigen Frauenhaus wurden im vergangenen Jahr neun Frauen mit fünf Kindern aufgenommen, von denen zwei sich anteilig an den Kosten beteiligen mussten. »Wir müssen nun endlich die Forderungen der Istanbul-Konvention in Deutschland erfüllen. Wir fordern eine pauschale Finanzierung aller Frauenhäuser«, so Sylvia Haller von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) im Gespräch mit der Jungle World. Die Istanbul-Konvention zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die in Deutschland inzwischen uneingeschränkt gilt, sieht vor, dass 2,5 Plätze in Frauenhäusern pro 10.000 Einwohner bereitgestellt werden. In Deutschland gibt es aber nur rund 6.800. Über 14.000 Plätze fehlen.

Die Finanzierung der Häuser gleicht einem Flickenteppich.

Die Finanzierung der Häuser gleicht einem Flickenteppich. Während es in Schleswig-Holstein, Berlin und Hamburg bereits eine pauschale Finanzierung gibt (und die Frauen somit keinen Eigenanteil aufbringen müssen), werden die Frauenhäuser in allen übrigen Bundesländern pro Tag und Person, die im Haus lebt, bezahlt. Da kommt es schnell zu Unterdeckung. »In Hamburg gibt es das Problem erst mal nicht direkt. Leider sind die Hamburger Häuser aber immer voll und viele Frauen und Kinder, die zu uns in die Notaufnahme kommen, müssen in andere Bundesländer vermittelt werden«, berichtet Sinje von der 24/7-Notaufnahme in Hamburg der Jungle World.

In der angespannten Lage der Frauenhäuser hat es zuletzt einen kleinen Lichtblick gegeben. »Bereits Ende 2023 wurde ein Eckpunktepapier zu einem Gewalthilfegesetz erarbeitet. Die Verbände werden am Runden Tisch zu dem Thema zwar leider nicht direkt eingeladen, aber es scheint nun wirklich Fortschritte zu geben«, erzählt Sylvia Haller. Der Tagesspiegel zitierte aus einer Studie, die die Unternehmensberatung Kienbaum in enger Absprache mit dem Bundesfamilienministerium erstellt hat. Demnach müssten für die Opfer häuslicher Gewalt jährlich 389 Millionen Euro mehr aufgebracht werden.

Ob Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ihren Kabinettskollegen Finanzminister Christian Lindner (FDP) davon überzeugen kann, bleibt abzuwarten. Das BMFSFJ gibt sich im Gespräch mit der Jungle World optimistisch: »Hilfe soll bundesweit, entsprechend dem individuellen Schutz- und Beratungsbedarf und unabhängig von der Frage des Einkommens, des Wohnortes, der körperlichen Verfassung, der Muttersprache oder des Aufenthaltsstatus erreichbar sein. Ziel ist, das Gesetzesvorhaben in dieser Legislatur zu verabschieden. Die Arbeiten am Gesetzentwurf haben begonnen.«

Bis es einen Rechtsanspruch gibt, das betonen alle Mitarbeiterinnen, sollen sich betroffene Frauen auf jeden Fall an ihr lokales Frauenhaus wenden. Man finde immer eine Lösung.