Eine Ausstellung über die Reise der Fotografin Gundula Schulze Eldowy nach New York

Schichten der Stadt

Noch bis Anfang April sind in Berlin die Fotografien von Robert Frank und Gundula Schulze Eldowy zu sehen. Die sind nicht nur Ausdruck der Künstlerfreundschaft zwischen den beiden, sondern zeigen auch die Experimentierfreudigkeit von Schulze Eldowy, auf deren Bildern New York City einen einzigartigen Sog entwickelt.

1955 ging der damals 31jährige Robert Frank mit einem Stipendium der Guggenheim-Stiftung in der Tasche auf eine lange Reise. Diese führte ihn kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten, vor allem mit dem Auto. Am Ende hatte er etwa 28.000 Fotografien aufgenommen, nur 83 von ihnen wurden schließlich ausgewählt. Der Bildband, in dem diese Fotografien abgedruckt sind, erschien 1958 unter dem Titel »The Americans« und ist eines der wichtigsten Foto­bücher, die jemals erschienen sind.

Auch Gundula Schulze Eldowy trat knapp 35 Jahre später im Alter von 36 Jahren eine Reise an. 1990 flog sie von Deutschland aus nach New York, wo sie drei Jahre lang bleiben sollte – eingeladen hatte sie Robert Frank. Was Schulze Eldowy in den USA vorhatte? Natürlich fotografieren.

Schulze Eldowy wird in diesem Jahr 70, Robert Frank, der 2019 starb, wäre 100 geworden. Auch deshalb zeigt die Akademie der Künste in Berlin noch bis Anfang April die Ausstellung »Halt die Ohren steif!«, in der Bilder beider Künstler zu sehen sind, eben vor allem aus der Zeit, die Schulze Eldowy in New York verbrachte.

Als die Mauer fiel, machte sich Schulze ­Eldowy ziemlich schnell nach New York auf, wo sie auch in der Wohnung von Frank und seiner Frau, der Künstlerin June Leaf, unterkam.

Kennengelernt hatten sich Frank und Schulze Eldowy in Berlin, genauer gesagt in Ostberlin, und zwar 1985. Frank weilte anlässlich einer Preisverleihung an ihn im Westteil der Stadt; als er den Osten besuchte, stieß er auf Schulze Eldowy, die eine Absolventin der Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig war – und in der DDR mit ihren schonungslosen Fotografien für Aufsehen und Missfallen gesorgt hatte.

»The Americans« war auch deswegen so bahnbrechend, weil Frank mit der Kamera bestimmte subkulturelle Milieus einfing, die in der Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle spielten: Homosexuelle, Rocker oder das Alltagsleben der schwarzen Bevölkerung stellte er neben Aufnahmen der High Society, Straßenszenen oder Bilder von Starlets – den Titel »The Americans« darf man sehr wörtlich nehmen.

In gewisser Weise ging auch Schulze Eldowy so vor, die wie Frank zunächst in Schwarzweiß fotografierte. In ihrer Werkgruppe »Berlin in einer Hundenacht«, die zwischen 1977 und 1990 entstand, dokumentierte sie die Spuren des Zweiten Weltkriegs und das Leben der Durchschnittsbevölkerung. War es aber bei Frank noch die Kombination bestimmter Bilder gewesen, die bahnbrechend war, ging Schulze Eldowy noch einen Schritt weiter: Ihre Fotografien sind explizit, zeigen nackte, teilweise von Arbeit und Krankheit deformierte Körper, halten harte Arbeitsbedingungen in Fabriken fest, lassen einen Blick auf absurde DDR-Paraden oder Kinder erhaschen, die groteske militärische Übungen machen.

Eine unbetitelte Doppelbelichtung von Gundula Schulze Eldowy, 1992

Eine unbetitelte Doppelbelichtung von Gundula Schulze Eldowy, 1992

Bild:
Gundula Schulze Eldowy

Man könnte nun beide Fotografen als Dokumentarfotografen bezeichnen, aber so ganz geht das nicht auf – zu viel Überschuss, der über das ­Dokumentarische hinausgeht, ist bei beiden zu spüren. Besonders Schulze Eldowy inszenierte stark, vor allem in ihren Aktfotografien, und ist auch sonst darauf aus, in ihren Bildern eine mal romantische, mal unheimliche Stimmung zu schaffen, die das Dokumentarische zwar nicht prinzipiell aussticht, aber doch über es hinauswächst.

Frank war beeindruckt von Schulze Eldowys Bildern und wurde ihr Förderer, vor allem indem er sie an ­Museen und Galerien empfahl, die noch zur Zeit der DDR Bilder von der Fotografin ankauften (unter anderem das Moma in New York), von ­denen einige äußerst geschickt in den Westen geschmuggelt werden mussten. Als die Mauer dann fiel, machte sich Schulze Eldowy ziemlich schnell nach New York auf, wo sie auch in der Wohnung von Frank und seiner Frau, der Künstlerin June Leaf, auf der Bleecker Street, der berühmten Künstler- und Ausgeh­straße im Village, unterkam.

Bereits in der DDR hatte Schulze Eldowy mit geschmuggeltem Film auch Farbfotografien angefertigt, in den USA wird sie dann fast ausschließlich in Farbe fotografieren. Ihre ­Sujets sind erst mal die sie um­gebenden Menschen, nämlich Frank selbst (von dem sie zahlreiche Por­träts anfertigte), seine Frau und deren an Schizophrenie erkrankter Sohn Pablo, der 1994 starb. Auch Franks Freunde tauchen auf den Bildern auf, wie der Dichter Allen Ginsberg.

Fotografen unter sich. Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank in Berlin, 1985

Fotografen unter sich. Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank in Berlin, 1985

Bild:
Roger Melis

Frank war ein Chronist der Beat Generation gewesen und gehörte gewissermaßen zu dem Kreis um Jack Kerouac, William S. Burroughs und eben Ginsberg. Frank hatte sich mittlerweile fast ausschließlich dem Film verschrieben und fotografierte kaum noch. In der Ausstellung sind ein paar ältere Aufnahmen von ihm zu sehen (vor allem Abzüge, auf die er kleine Texte, Briefe oder Gedichte geschrieben hatte – ganz der Beatnik) und eine eindrückliche, die Schulze Eldowy zeigt, auf dem Beifahrersitz eines Autowracks sitzend und etwas schüchtern, aber durchdringend durch die mit Rissen und Sprüngen übersäte Frontscheibe schauend.

In ihrer Serie »In einem Wind aus Sternenstaub« fand Schulze Eldowy zu ihren Sujets aus der DDR zurück, fotografierte sogar wieder in Schwarz­weiß, und zwar Porträts, Schaufenster, Akte und Paraden, nur eben dieses Mal in New York City.

So spontan die Bilder auch wirken mögen, man merkt ihnen eine Präzision an, die nichts mit Zufällen zu tun hat, sondern mit, wie es auch Schulze Eldowy nennt, Intuition.

Besonders beeindruckend ist allerdings die Serie »Spinning on My Heels«. Die überaus großen, meterhohen Abzüge, die in der Ausstellung hängen, zeigen das, was man gemeinhin als »street photography« bezeichnet, doch mit einem Twist. Alle Aufnahmen sind Doppelbelichtungen, auf demselben Filmquader wurde also mehrere Male fotografiert, eine Technik, die Schulze Eldowy in Deutschland nie angewendet hatte. Die daraus entstandenen Schichten zeugen von Museumsbesuchen, vom Stadtbummel, vom Besuch im Zoo oder im Park.

Die Künstlerin selbst spricht in ­Bezug auf die Bilder während des Presserundgangs von »verschiedenen Ebenen an Realität« und verweist auf die Traumhaftigkeit der Aufnahmen, doch man ist geneigt, sie mit ­einem anderen Blick anzuschauen: Tatsächlich sind die Motive typisch für das, was Touristen in einer Stadt knipsen würden – Gemälde, tanzende Paare im Park, Straßenszenen. Durch die Überblendungen aber wird das klassische Touristenbild transzendiert und entwickelt einen Sog, der dem Betrachter tatsächlich ein Gefühl dafür gibt, wie es ist, in einer solch großen und quirligen Stadt zu sein. So spontan die Bilder auch wirken mögen, man merkt ihnen eine Präzision an, die nichts mit Zufällen zu tun hat, sondern mit, wie es auch Schulze Eldowy nennt, Intuition.

»Ich bin sehr schnell darin zu absorbieren«, erzählte Gundula Schulze Eldowy im Pressegespräch vor der Eröffnung. Das merkt man ihren Bildern sofort an – und das mag auch der Grund dafür sein, dass es sie weiter durch die Welt trieb, vor allem nach Peru, wo sie auch zeitweise lebt, aber auch nach Ägypten oder Japan. Mit Frank hielt sie den Rest seines Lebens Briefkontakt.

Die Ausstellung »Halt die Ohren steif! ­Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank« ist noch bis zum 1. April in der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin zu sehen.