Franz Zobel, Beratungsstelle Ezra, im Gespräch über Thüringer Zustände

»Die Situation in Thüringen hat sich seit 2015 verschlechtert«

In einigen Städten und Orten Thüringens bestimmen Rechtsextreme die gesellschaftliche Stimmung. Doch die kommunalen Verantwortlichen reagieren nicht. Die »Jungle World« sprach mit Franz Zobel von Ezra, der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Thüringen, über die Situation.
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Die rechtsextreme Szene rief in Gera zu Protesten gegen die Eröffnung einer neuen Erstaufnahmeeinrichtung für geflüchtete Menschen auf. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Die Lage ist sehr ernst. Zum einen, weil es in Gera eine tiefverwurzelte extrem rechte Szene gibt, die mit Neonazi Christian Klar einen extrem rechten Bewegungsunternehmer hat, der die Stadt in den vergangenen Jahren zu einem Hotspot rechter Aufmärsche gemacht hat, die regelmäßig Ausgangspunkt für Bedrohungen und Gewalt sind. Damit wurde weiter verfestigt, dass Migranten und Antifaschisten Angst haben müssen. Und zum anderen, weil insbesondere Behörden wie das städtische Ordnungsamt, aber auch die hiesige Polizei durch jahrelange weitestgehende Untätigkeit eine fortschreitende Eskalation mindestens zugelassen haben. Das Ganze liest sich mittlerweile wie ein verstörendes Drehbuch staatlichen Versagens. Das Zulassen einer tagelangen Belagerung der neuen Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete durch Neonazis ist dafür nur ein erneutes Beispiel.

Wie bewerten Sie allgemein die Situation für Flüchtlinge in Thüringen?
Die Situation hat sich seit 2015 kontinuierlich verschlechtert. Das zeigen etwa die Missstände bei der Ausländerbehörde in Erfurt, bei der Betroffene über Jahre keinen Termin bekommen. Andere Beispiele sind die katastrophalen Zustände in den Sammelunterkünften. Statt der hausgemachten Verwaltungskrise etwa mit einem Konzept zur dezentralen Unterbringung entgegenzuwirken, folgt eine rassistisch geführte öffentliche Debatte auf die nächste. Dadurch ist ein gesellschaftliches Klima entstanden, in dem die Betroffenen immer mehr mit alltäglichen Diskriminierungserfahrungen, Beschimpfungen auf offener Straße oder gewalttätigen Angriffen konfrontiert sind, die auch immer häufiger Kinder und Jugendliche betreffen.

»Es braucht dringend Widerspruch zu einer Politik, die Menschenrechte weiter einschränkt.«

Christian Herrgott (CDU) setzte sich erst Ende ­Januar bei der Landratswahl im Saale-Orla-Kreis knapp gegen den Kandidaten der AfD durch. Wie beurteilen Sie seine Arbeit bislang?
Als erste Maßnahme hat der neue CDU-Landrat eine Arbeitspflicht eingeführt, die Geflüchtete zukünftig zu gemeinnütziger Arbeit für 80 Cent pro Stunde zwingen soll. Das ist wieder eine rassistische Maßnahme, die für die kommunale Verwaltung erheblichen Aufwand schafft, und eine zusätzliche Belastung für Geflüchtete ist. Das ist Ausdruck einer Strategie, in der die Programmatik der AfD übernommen wird, um mindestens Wählerstimmen zu gewinnen. Das sollte allen nochmal bewusst machen, dass die CDU in Thüringen keine »Brandmauer« zum Schutz zentraler Demokratieprinzipien wie der Menschenwürde ist, wie auch die wiederholten gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD im Landtag zeigen.

Was erwarten Sie sich stattdessen?
Statt dem konservativen Narrativ von einer »Spaltung der Gesellschaft« auf den Leim zu gehen, braucht es dringend Widerspruch zu einer Politik, die Menschenrechte weiter einschränkt. Ginge es Herrgott oder auch der Bundesregierung wirklich darum, die Inte­gration von Geflüchteten zu verbessern, würde man das am Anfang des Aufenthalts bestehende Arbeitsverbot und die darauffolgenden Auflagen beziehungsweise Beschränkungen abschaffen und eine generelle Arbeitserlaubnis erteilen.