Israel-Feinde versuchten, den Euro­vision Song Contest in Malmö zu instrumentalisieren

Die große »Hurricane«-Verschwörung

Die israelische Sängerin Eden Golan bekam überraschend viel Unterstützung beim 68. Eurovision Song Contest in Malmö. Das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, vermuten die Israel-Feinde weltweit.

Wirklich überraschend war es nicht, dass die Teilnahme Israels am diesjährigen Eurovision Song Contest in Malmö zu ausgedehnten Protesten führte. Und das nicht nur deswegen, weil schwedische Künstler und Künstlerinnen, darunter die Mutter von Greta Thunberg, ihres Zeichens Opernsängerin, schon frühzeitig versucht hatten, mit offenen Briefen und Kundgebungen den Ausschluss der israelischen Sängerin Eden Golan zu erreichen.

Malmö war bereits 2009 Schauplatz heftiger antiisraelischer Demonstrationen.

Malmö war bereits 2009 Schauplatz heftiger antiisraelischer Demonstrationen. Vom 6. bis 8. März sollte damals dort im Rahmen des Davis Cup, einer renommierten Tennisveranstaltung, die Vertretung Schwedens gegen die Israels spielen. Eine Initiative namens Stoppa Matchen (Stoppt das Match) versuchte dies jedoch mit der Begründung, Israel unterdrücke die Palästinenser, zu verhindern. Stoppa Matchen ging allerdings nicht von Schweden mit palästinensisch-arabischem Hintergrund aus, sondern wurde in der Hauptsache von schwedischen Linken initiiert: von Sozialdemokraten, Mitgliedern der sozialistisch-antirassistischen Vänsterpartiet, der Sozialisten sowie des sozialdemokratischen Frauenbunds. Um Tennis ging es Stoppa Matchen nicht, sondern um einen umfassenden Boykott Israels.

Mit dem Sprecher der Malmö Kommunstyrelsen, einer Position, die der eines Bürgermeisters entspricht, hatte die Initiative einen der wichtigsten Kommunalpolitiker an Bord. Der Sozialdemokrat Ilmar Reepalu machte aus seiner Israel-Feindlichkeit keinen Hehl. Er finde, dass man generell nicht gegen Israel spielen solle, sagte er, und die anstehende Davis-Cup-Begegnung sei seiner Meinung nach kein gewöhnliches Match, sondern »eines gegen den Staat Israel«.

Die linke Mehrheit des Stadtrats beschloss schließlich, dass die Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden müssten, weil die Gefahr von Ausschreitungen bestehe. Das war eine aparte Begründung, denn die Gegner der Veranstaltung hatten sich ja in Stoppa Matchen organisiert und bestanden aus Mitgliedern der Parteien, die eben diese linke Stadtratsmehrheit bildeten. Außerdem hatte die Malmöer Polizei erklärt, dass sie keinen Grund für die Aussperrung des Publikums sehe, denn man sei geübt darin, »Einlasskontrollen und den Kartenvorverkauf sicher zu handhaben«.

Judenfeindlichkeit in Malmö

Das Spiel fand schließlich tatsächlich vor leeren Zuschauerrängen statt. Die Judenfeindlichkeit in Malmö nahm in den folgenden Jahren zu – als im Jahr 2010 das mittlerweile eingestellte Skånska Dagbladet eine Artikelserie zum Thema Antisemitismus in der Stadt veröffentlichte, meldete sich umgehend Ilmar Reepalu zu Wort und verlautbarte unter anderem, die jüdischen Malmöer müssten sich endlich von Israel distanzieren. Dieser Versuch, den Juden die Schuld an antisemitischen Übergriffen zu geben, führte zu landesweiter Empörung, die sich noch verstärkte, als Reepalu etwas später sagte, dass eben diese Empörung von »der Israel-Lobby« gesteuert worden sei.

Ob der mittlerweile 80jährige Reepalu bei den Demonstrationen gegen die israelische ESC-Teilnahme mitmarschierte, ist nicht bekannt. Durch die weltweite Medienberichterstattung über diese antiisraelischen Demonstrationen in Malmö, mit der prominenten Klimaaktivistin Greta Thunberg an der Spitze, sowie die vielen Social-Media-Postings von Leuten, die unermüdlich den Ausschluss Israels vom European Song Contest forderten, schien vor dem Finalabend am Samstag allgemein der Eindruck entstanden zu sein, dass es sich hierbei um eine regelrechte Massenbewegung handele.

Dass der israelischen Sängerin Eden Golan sogar unverhohlen mit Mord gedroht wurde, wurde dagegen kaum zur Kenntnis genommen. Und ihre Konkurrenten keinerlei Solidarität zeigten, sondern eher glaubten, dass demonstrative Abneigung gegen Eden Golan zu zeigen, sei ein sozusagen sicherer Weg in die Herzen der Zuschauer, wurde nicht weiter kommentiert. Zu denen, die sich während einer Pressekonferenz besonders hervortaten, gehörte der Niederländer Joost Klein, den die Buchmacher zu einem der Favoriten erkoren hatten. Als ein polnischer Journalist Eden Golan fragte, ob sie je daran gedacht habe, mit ihrer Anwesenheit andere Teilnehmer in Gefahr zu bringen, stellte der Moderator klar, dass sie auf diese Frage nicht antworten müsse.

Stimmung gegen Golan angeheizt

Klein rief dagegen, in pampigem Tonfall, dass sie es tun solle, was ihn kurzfristig zum Helden der antiisraelischen Fans auf X (vormals Twitter), machte.
Und der finnische Sänger Käärijä, der einen kurzen Videoclip gepostet hatte, der ihn gemeinsam mit Golan tanzend zeigte, sah sich einem regelrechten Shitstorm durch internationale Anti-Israel-Bewegte ausgesetzt. Käärijä entschuldigte sich schließlich dafür, mit Golan getanzt zu haben. Finnland landete mit 38 Punkten auf dem siebtletzten Platz.

Auf Social Media wurde unterdessen alles getan, um die Stimmung gegen Golan weiter anzuheizen. Kurz nachdem am Freitag voriger Woche bekannt geworden war, dass der niederländische Sänger Klein aufgrund eines zunächst nicht näher benannten Vorfalls suspendiert wurde, kursierte bereits die erste Verschwörungslüge. Ein angeblich US-amerikanischer Twitter-Account, der die üblichen trolltypischen Merkmale aufwies – unter anderem rund um die Uhr zu posten und offenkundig mit einem Übersetzungsprogramm angefertigte Tweets in diversen Sprachen zu verfassen und damit auf die jeweiligen Aufregerthemen eines Landes einzugehen –, verbreitete, dass Klein lediglich auf Provokationen der israelischen Delegation reagiert habe.

Die Israelis hätten die verstorbenen Eltern des Sängers beleidigt, aber die European Broadcasting Union (EBU) stehe bekanntlich fest an der Seite Israels. Zuerst sprangen niederländische Song-Contest-Fans auf diese Lüge an. Vielleicht, weil sie nicht wussten, dass die tragische Geschichte von Kleins Kindheit, dessen Eltern im Abstand von einem Jahr starben, mittlerweile weltweit publiziert und sogar in der englischsprachigen Wikipedia veröffentlicht worden war, mithin also überall nachlesbar war.

Lüge in allen Sprachen

Wie zu erwarten war, verbreitete sich die Lüge rasch in allen Sprachen. Dass die Veranstalter schließlich klarstellten, Klein habe eine schwedische Mitarbeiterin bedrängt und die Polizei ermittele gegen ihn, änderte daran nichts.

Gleichwohl gab es Anzeichen, dass die Zuschauer vielleicht doch nicht ganz so israelfeindlich sein könnten, wie allgemein erwartet wurde. Oder wenigstens den Underdog unterstützen wollten: In einer Umfrage von VG, der größten, unermüdlich antiisraelische Berichte veröffentlichenden norwegischen Boulevardzeitung, landete das Lied von Eden Golan unter den ersten fünf.

Dass nicht nur in Norwegen, sondern überall in Europa Menschen in den sozialen Medien demonstrativ Screen­shots ihrer Abstimmung für Golans Song »Hurricane« posteten, könnte mehrere Gründe haben: Weltweit war dar­über berichtet worden, dass die 20jährige Sängerin ihr Hotel aus Sicherheitsgründen nicht verlassen durfte. Filmaufnahmen zeigten das immense, in Skandinavien allenfalls von Besuchen hochrangiger ausländischer Staatschefs bekannte Polizeiaufgebot, das sie auf den Fahrten zu Proben und Auftritten begleitete.

»Wo sind eigentlich die Feministen und Feministinnen, die den geballten Hass auf eine einzelne Frau verurteilen?« schrieb ein User in der norwegischen Sektion des schwedischen Online-Forums Flashback.

Dazu kamen die antiisraelischen Demonstrationen in Malmö. Um den Auftrittsort und natürlich auch Eden Golans Hotel zu schützen, hatte die schwedische Polizei Verstärkung unter anderem von norwegischen Bereitschaftseinheiten erhalten. »Und das alles nur wegen eines Liedes«, schrieb ein User in der norwegischen Sektion des schwedischen Online-Forums Flashback, »wo sind eigentlich die Feministen und Feministinnen, die den geballten Hass auf eine einzelne Frau verurteilen?«

Am Ende wurde »Hurricane« von den norwegischen Zuschauern mit fünf Punkten zum bei ihnen sechstbeliebtesten Song gewählt. Nicht so vorhersehbar verhielt sich dagegen die Fachjury des Landes: Sie vergab acht Punkte an Eden Golan, mehr als die aus Musikschaffenden zusammengesetzten Profijurys aller anderen Länder. Das internationale Publikum, so waren sich die antiisraelischen Social-Media-Nutzer gleichwohl sicher, würde Israel dagegen auf dem letzten Platz landen lassen. Es kam anders.

Die Zuschauer in 14 Ländern – dar­unter Deutschland, Schweden, die Niederlande, Großbritannien, Frankreich, Belgien und Italien – vergaben die Höchstzahl von zwölf Punkten an Israel. Zehn Punkte kamen unter anderem aus Irland, Österreich, Albanien und Tschechien, acht aus Dänemark, Island und Georgien.

Mossad und Verschwörungsmärchen

Nur in Kroatien und der Ukraine blieb Eden Golan punktlos – was im Fall der Ukraine daran liegen könnte, dass der Sängerin auf Twitter vorgeworfen wurde, im Jahr 2016 an einem Musikwettbewerb für Kinder auf der bereits damals von Russland besetzten Krim teilgenommen zu haben. Tatsächlich steht sie deswegen auf einer inoffiziellen Liste der Feinde der Ukraine, gemeinsam mit Wladimir Putin, Dmitrij Peskow und Putin-freundlichen Prominenten wie Gerhard Schröder und Gerard Depardieu. Eden Golan war damals allerdings erst zwölf Jahre alt.

Dass das internationale Publikum mehrheitlich für »Hurricane« stimmte, brachte umgehend weitere Erfinder von Verschwörungslügen auf den Plan. Der Mossad habe die Abstimmungen gehackt, lautete eine ihrer Erfindungen, die allerdings aufgrund allzu offensichtlichen Blödsinns selbst bei Hardcore-Israel-Feinden kaum Verbreitung fand. Eine weitere Lüge wurde dagegen geglaubt: Die jüdische Bevölkerung aller Länder habe gezielt für Israel gestimmt und so den Achtungserfolg von Eden Golan erreicht. Das kann jedoch nur verbreiten, wer arg verzerrte Vorstellungen von der Anzahl der in den einzelnen europäischen Ländern wohnenden Juden und Jüdinnen hat.

An einem konnten die Verschwörungsmärchen nichts ändern. Die Pu­blikumsabstimmung beim ESC kann durchaus als Beweis dafür gesehen werden, dass die antiisraelischen Demonstrierenden nicht die Mehrheit sind, die sie gern wären, zumal in den sozialen Medien dazu aufgerufen wurde, dass man gezielt die irische Kandidatin Bambie Thug wählen solle, die mehrfach gegen Israel agitiert hatte. Sie wurde hinter Eden Golan Sechste.