Montag, 17.04.2017 / 22:57 Uhr

'Farewell then Turkey'

Von
David Kirsch

"Well farewell then Turkey", schreibt Douglas Murray als Reaktion auf den Ausgang des türkischen Referendums: "Or at least, farewell the Turkey of Kemal Ataturk. (...) Turkey took this route the moment that Erdogan began his ascent and Turkish civil and political society revealed itself not to have the antibodies they needed to resist an Islamist like him. There was nothing that Britain or any other country in Europe could have done to halt this descent."

Wenngleich Murray in seiner Analyse von Erdogans Vision und Machtbestrebungen zuzustimmen ist, so ist ihm im letzten Teil seiner Ausführungen zu widersprechen. Nicht, dass durch eine europäische Politik des totalen Auslieferns an die Türkei, welche seit dem EU-Türkei-Flüchtlingspakt vollzogen wurde, noch viele Druckmittel vorhanden gewesen wären. Jedoch, so zeigen zumindest erste statistische Untersuchungen, scheinen die Stimmen der sogenannten "Auslandstürken", also das Wahlverhalten türkischer, im Ausland aufhältiger Staatsbürger, das Zünglein an der Waage gewesen. "Die Wähler im Ausland haben einen großen Anteil am Erfolg", frohlockte auch der frisch gekürte Erdogan noch in der Wahlnacht.Hasnain Kazim schreibt über das "merkwürdige Wahlverhalten der Deutschtürken" und hält fest, dass viele aus einem Trotzgefühl gegenüber der deutschen Politik mit "Evet" gestimmt hätten:

"Sehr viele erzählen mir, sie hätten sich für das Präsidialsystem entschieden, weil sie sich in Deutschland schlecht behandelt fühlten. Und weil sie wüssten, wie kritisch die Mehrheit der Deutschen Erdogan und seine Pläne sieht, hätten sie für ein Ja gestimmt. Man muss sich diese Argumentation anhören. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass die fehlende Willkommenskultur dazu beigetragen hat, dass selbst Menschen, die ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben, die hier geboren sind, sich dennoch fremd fühlen. Man sollte über neue Bemühungen zur Integration nachdenken."

Es bleibt Soziologen überlassen, über den Grad der Integration zu urteilen, wenn sich die klare Mehrheit einer Bevölkerungsgruppe zu Gunsten der Zuspitzung autoritärer Herrschaftsstrukturen entscheidet - und damit in Deutschland durchaus im Trend liegt. Um zu bemerken, dass die deutsche Politik in den letzten Wochen des türkischen Wahlkampfes wenig unternommen hat, deeskalativ zu wirken und diesen Trotzgefühlen Vernunft entgegenzusetzen, braucht es allerdings nicht viel.

Noch gut in Erinnerung geblieben ist es  - das Poltern der deutschen Politgranden und der subtil-xenophobe Ton, der parteiübergreifend den "Deutschtürken" entgegengeschleudert wurde. Mustafa Akyol, türkischer Kolumnist und scharfer Kritiker des AKP-Regimes, konnte bereits Anfang März keinen politischen Mehrwert durch die deutschen Auftrittsverbote erkennen - außer für Erdogan selbst:

“By disallowing the Turkish justice minister to speak to Turks in Germany, the German authorities have gained nothing other than vindicating Turkish ‘whataboutism’ and delegitimizing themselves in the eyes of many Turks — even the main opposition. Similarly, the Dutch government will achieve nothing by disallowing a Turkish rally in Rotterdam other than the same bad results.” 

Nicht Deeskalation und schlaues Taktieren, sondern nationaler Taumel und rassistische Ablenkungsmethoden wie das Gerede von "importierten Konflikten" prägten auch den alpendeutschen Diskurs. Wer beim Interesse österreichischer oder deutscher Doppelstaatsbürger an internationaler Politik vom "Hereintragen (...) ausländischer Konflikte nach Österreich" (Sebastian Kurz) spricht, der bewertet seine Bürger anhand ethnischer Linien und nicht anhand von Staatsgrenzen und wollte kein anderes Ergebnis als das der letzten Nacht. Dass man sich in der Sprache gegenüber Erdogan ausnahmsweise einig war, sagt vieles, aber nichts Gutes aus. Sinnbildlich dafür der Sicherheitssprecher der österreichischen Grünen, Peter Pilz, der Erdogan nur nach Wien kommen lassen wollte, "um hier einen Kebab-Stand zu eröffnen".

"To build support for a 'yes' vote, Erdogan played on nationalist sentiment and manufactured crises with the Dutch and German governments over pro-AKP rallies planned in their countries", bemerkt auch Steven Cook. Die Bilder von auf Erdogan-Fans prügelnden holländischen Riotcops, erzeugten exakt das Bild einer dichotomen Politlandschaft, auf die Erdogan abzielte und welche ihm - so darf man vermuten - zu seinem knappen Sieg verhalfen.