PDS-Parteitag

Von Trabis überrollt

Mit den bevorstehenden Rücktritten von Parteichef Lothar Bisky und Gregor Gysi steht die PDS vor schweren Zeiten: Aus dem Parteitag von Münster sind die DDRóNostalgiker gestärkt hervorgegangen.

Immerhin. Ganz so weit wie der Rest der Bundesbürger ist die Partei zehn Jahre nach dem Ende der DDR noch immer nicht: 52 Prozent der Deutschen in Ost und West, so ermittelte letzte Woche das Meinungsforschungsinstitut dimap, halten die PDS inzwischen ó wenn auch »mit Einschränkungen« ó für verfassungstreu. Unter den demokratischen Sozialisten selbst glaubt das gerade mal ein Drittel. Die übrigen Genossinnen und Genossen können sich freuen, dass im neuen Jahrtausend Versatzstücke einer nichtkapitalistischen Ordnung weiter aus ihrem Parteiprogramm herauszulesen sind.

Dabei wird es die nächsten beiden Jahre auch bleiben. Denn selbst wenn die lieb gewonnenen Formeln im real existierenden Rheinischen Kapitalismus zehn Jahre lang keine Rolle spielten, will eine Mehrheit der PDSóMitglieder an ihnen festhalten. Zumindest vorübergehend: Die bis zum Ende umkämpfte Entscheidung der Delegierten in Münster, mit der Erneuerung des seit 1993 unveränderten Programms zu beginnen, erfüllte zwar den Wunsch der PDSóFührungsriege, die staatssozialistische Phrasen zu beseitigen. Doch die dogmatischen Linken des Marxistischen Forums und der Kommunistischen Plattform (KPF) können sich trotzdem freuen: Bis 2002 bleibt genug Zeit, das Vorhaben des Parteivorstands zu untergraben, und dafür zu sorgen, dass die bestehende Kapitalismuskritik nicht durch einen »diffusen Modernitätsbegriff« ersetzt wird, wie KPFóFunktionärin Sahra Wagenknecht kritisierte.

Wagenknecht jedenfalls konnte zufrieden nach Hause fahren. Ihr Wunsch ging in Erfüllung: »Ich möchte nicht noch einmal einer Partei angehören, die gesagt hat: Wir haben mitgemacht.« Die auf eine deutschlandweite MitteóLinksóOption setzende Parteispitze hingegen wirft das Ergebnis vom Wochenende ó insbesondere der Beschluss, Kampfeinsätze von Uno und Nato weiterhin abzulehnen ó auf dem Weg zur Koalitionsfähigkeit um mindestens eine Bundestagswahl zurück. Oder noch weiter: »Die PDS ist auf den Stand vor kurz nach der Wende zurückgeworfen«, meinte der Wahlkampfleiter André Brie. Mit den angekündigten Rücktritten von Parteichef Lothar Bisky und dem Berliner Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi steht den Genossen zudem eine Personalkrise ins KarlóLiebknechtóHaus, die der Partei mangels publikumswirksamer Alternativkandidaten noch viel größere Probleme bereiten könnte.

Für die so genannten Reformer folgerichtig kritisierte Gysi, dass die Doppelschlappe »strukturell die Politikfähigkeit der PDS« einschränke ó die Voten bedeuteten eigentlich ein »Politikverbot«. Und Biskys treuherzige Abschiedsworte an die Delegierten, dass sie »nicht mit traurigen Gesichtern nach Hause« fahren müssten, da es die Partei ja »weiter geben« werde, hatte eher selbsthypnotisierenden denn motivierenden Charakter. Der Ratschlag des SPDóÜberläufers Uwe Hiksch an seine neuen Genossen, sich verstärkt als »KümmereróPartei« zu profilieren, um der SPD im Westen die Führungsrolle in Sachen soziale Gerechtigkeit streitig zu machen, scheint vorerst gescheitert. Die Partei wird sich künftig erst einmal um sich selbst kümmern müssen.

Dabei hatte sich die Führungsriege so viel erhofft vom ersten Parteitag westlich der Elbe. Endlich sollte Schluss sein mit den Formelkompromissen der neunziger Jahre, hatten Bisky und sein potenzieller Nachfolger, der amtierende Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, gefordert. Doch schon der Tagungsort war für viele Mitglieder eine Zumutung, wie das KPFóBlatt junge Welt zu berichten wusste: Nach der »Schikane einer Tagesreise« entschied sich möglicherweise auch deshalb eine Mehrheit der Delegierten gegen den Leitantrag des Vorstands, die politischen Leitlinien auf die Höhe der Zeit zu bringen.

»Wenn die PDS im Westen scheitert, scheitert sie insgesamt«, hatte die ebenfalls als BiskyóNachfolgerin gehandelte Bundesvizevorsitzende Gabriele Zimmer an die Delegierten appelliert, ihr auf den Ostseehorizont beschränktes Denken endlich zu erweitern. Doch das interessierte in Münster nur die wenigsten. Aufschwung West? Nein danke ó jedenfalls nicht in der von der Parteispitze propagierten Form.

Zumindest in einem Punkt war das auch ganz gut so. Denn Vorstandsmitglieder ebenso wie PDSóBundestagsabgeordnete werden sich in den nächsten Jahren mit einer antimilitaristischen Position im Programm auseinandersetzen müssen, wie sie so bei keiner anderen deutschen Partei mehr zu finden ist. Die PDS lehnt ó dafür sorgte die von den Dogmatikern als künftige Parteichefin favorisierte stellvertretende Vorsitzende SylviaóYvonne Kaufmann mit einer emotionalen Rede fast im Alleingang ó UnoóKampfeinsätze auch künftig kategorisch ab. Das könnte die von der ParteióFührung geforderte Frontenklärung zwischen Regierungsbefürwortern und FundamentalóOppositionellen doch noch voranbringen ó wenn auch in anderem Sinne. Denn sollten sich Gysi und sein militärpolitischer Wegbereiter Wolfgang Gehrcke bei Entscheidungen im Parlament in Zukunft für den Einsatz von Kampftruppen entscheiden, sind sie gezwungen, Farbe zu bekennen ó und sich gegen zwei Drittel der Partei zu stellen: Bei den Grünen wären sie besser aufgehoben.

Gysi selbst wird zwar, wenn er seinen Beschluss, im Herbst den Fraktionsvorsitz niederzulegen und 2002 aus dem Bundestag auszuscheiden, nicht doch noch revidiert, der Partei weiter die nötigen Prozentpunkte einfahren helfen. Doch schon der erste Testlauf zum Aufschwung West in NordrheinóWestfalen, wo am 14. Mai die Landtagswahl stattfindet, dürfte wohl eher Ernüchterung bringen.Ein Problem wird die PDS in Zukunft nicht nur in NRW haben: Gysi kennen viele, doch who the fuck is Annette Falkenberg? ó Die PDSóSpitzenkandidatin an Rhein und Ruhr.

»Die Fraktionsführung ist praktisch abgewählt«, konstatierte denn auch resigniert Pressesprecher Hanno Harnisch, und Gysi bezeichnete das Votum des Parteitags schlicht als »Misstrauensvotum«. Fragt sich nur, wer der Basis das Vertrauen wieder zurück geben soll. Vielleicht ja Oskar Lafontaine. Der entschuldigte sich am Wochenende im Saarland vor SPDóMitgliedern für seinen abrupten Rücktritt vor einem Jahr und kündigte an, wieder politisch aktiv zu werden. Warum eigentlich nicht in der PDS? Für eine MitteóLinksóOption hatte er schließlich schon in seinem AussteigeróRoman »Das Herz schlägt links« plädiert. Und auf dem Boden des Grundgesetzes steht er ohnehin.