Islamisten in Marokko

Islamisten in Verlegenheit

Marokkos islamistische Partei PJD befindet sich in der Defensive. Die neugegründete »Partei für Authenzität und Modernität« könnte ihr nun zusätzlich auch noch Konkurrenz als Oppositionskraft machen.

Es waren ziemlich ungewöhnliche Worte für jemanden, von dem man annehmen darf, er berufe sich auf den »Willen Gottes«. »Überzeugt? Ich würde nicht so weit gehen, mich so kategorisch auszudrücken, denn ganz ehrlich, ich habe keine Beweise. Aber sagen wir, dass ich, genau wie mei­ne Brüder in der Leitung der Partei, ziemlich starke Zweifel habe … «
Von dem Vorsitzenden einer islamistischen Partei, die sich ganz gern mal auf göttlichen Willen oder unverrückbare »Werte« beruft, erwartet man eigentlich etwas mehr Überzeugungskraft und Entschlossenheit. Abdelilah Benkirane ist der Generalsekretär der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (Parti de la Justice et du Développement, PJD), die mit 46 Abgeordneten im marokkanischen Parlament die zweistärkste politische Kraft des Landes darstellt. Bei den Parlamentswahlen 2007 hatte die Partei, deren Symbol eine Petroleumleuchte ist, einen Stimmenanteil von rund 15 Prozent erzielt.

Der PJD hat mit der türkischen Regierungspartei AKP – auch ihr Kürzel steht für »Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung« – nicht nur den Na­men gemeinsam. Auch sonst besitzen beide Parteien in vielerlei Hinsicht ein ähnliches Profil. Dazu zählt, dass beide Varianten des Islamismus ein eher konservativ-moralistisches und wirt­schafts­liberales denn umstürzlerisches Auftreten pflegen, auf das Ankündigen radikaler Umwälzungen verzichten und auf starke Kräfte im jewei­ligen Staatsapparat – Militärs im türkischen, die monarchischen Institutionen im marokkanischen Falle – Rücksicht nehmen. Marokko ist zwar eine konstitutionelle Monarchie, dem König verbleiben jedoch weit reichende Befugnisse, überdies gilt er auch als geistliches Oberhaupt des Landes.
Die lavierenden Äußerungen Benkiranes stammen aus einem Interview, das er Anfang Februar dem Wochenmagazin Maroc Hebdo International gab. Der grauhaarige Politiker hatte so die Frage beantwortet, ob es eine »Anschwärzungskampagne« der politischen Führung seines Landes gegen den PJD gebe. Dabei könnte man durchaus von politischen Attacken der Regierung Marokkos auf den PJD sprechen, die in den vergangenen Wochen zunahmen und wohl in Zusammenhang mit den bevorstehenden Kommunalwahlen am 12. Juni stehen. Seit den vorigen Kommunalwahlen im Jahr 2002 regierte der PJD eine Reihe von Kommunen, darunter die Großstadt Meknès mit gut einer halben Million Einwohnern – bis vor kurzem.
Zuerst brachte Premierminister Abbas al-Fassi den PJD in Verlegenheit. Ende Januar hatten in Marokko zahlreiche Demonstrationen gegen die israelischen Angriffe im Gaza-Streifen stattgefunden. An ihnen nahmen fast alle politischen Kräf­te Marokkos teil. Die politische Linke, Gewerkschafter, Feministinnen und Menschenrecht­ler demonstrierten für die Bewohner von Gaza, weil sie die palästinensischen Gebiete für ein Terri­torium halten, in dem die Entkolonialisierung nicht zum Abschluss gekommen sei. Die Islamisten hingegen propagieren ihre Form von Solidarität eher in Verbindung mit der Idee, ein »Zusam­menhalt unter Muslimen« sei notwendig, um für »Gerechtigkeit in der Welt« zu sorgen.
Der PJD nutzte die Mobilisierungen vor allem, um sich in den Vordergrund zu spielen. Benkirane behauptete in der Öffentlichkeit, die Tatsache, dass König Mohammed VI. ein Sonderkonto bei der Bank al-Maghrib einrichten ließ, um Nahrungs­mittellieferungen nach Gaza zu finanzieren, gehe auf eine Forderung seiner eigenen Partei zurück. Dies führte jedoch schnell zu einer scharfen Replik von Premierminister al-Fassi, der ihm vorwarf, der PJD wolle sich eine nationale Sache zu eigen machen. Benkirane ruderte zurück und erklärte, eine »falsche Interpretation seiner Äußerungen« zu bedauern. Er habe nur einen Gedanken vorgetragen, wonach die Initiative von König Mohammed IV. möglicherweise in Verbindung mit Vor­schlä­gen seiner Partei stehen könnte.
Als nächstes wurde bekannt, dass das Innenministerium den PJD-Bürgermeister von Meknès, Boubker Belkora, abgesetzt hatte. Ihm wird Misswirtschaft vorgeworfen, konkret eine Begünstigung von Immobiliengeschäften seiner Frau auf Kosten der Kommune. Nach einer Untersuchung durch eine Inspektion des Innenministeriums wird Belkora auch angeklagt und vor Gericht gestellt werden. Seine Verteidigung läuft übrigens nicht darauf hinaus, die Vorwürfe zu bestreiten. Er gibt vielmehr »Unregelmäßigkeiten« zu, insistiert aber darauf, bei anderen Stadtverwaltungen sehe es auch nicht besser aus.
Für die PJD-Wählerschaft könnten solche Vorwürfe durchaus Gewicht haben. Denn die Partei wird vorwiegend von Angehörigen der städtischen, gut ausgebildeten Mittelschicht unterstützt. Der PJD wirbt vor allem mit der Behauptung, konservative Werte zu verteidigen, Forderungen nach »sozialer Gerechtigkeit« und die Ablehnung der »Dominanz des Westens« sind eher nachrangige Themen. Bei anderen Varianten des Islamismus – vor allem jenen, die sich eher auf die städtische Armutsbevölkerung stützen und die eine stärker umstürzlerische Strategie verfolgen – stehen solche Elemente im Vordergrund. Wegen ihres Profils und ihrer sozialen Zusammensetzung wird die Partei Benkiranes nicht als Gegnerin des politischen und sozialen Systems wahrgenommen, sondern als eher konservative »Moral- und Verantwortungspartei«. Deshalb muss der PJD sich »konstruktiv« und regierungsfähig zeigen, eine andere Haltung könnte dazu führen, dass viele Anhänger sich von der Partei abwenden.

Außerdem nahmen in den marokkanischen Medien in den vergangenen Wochen die Berichte über Uneinigkeit in der Partei sowie über Aus- und Rücktritte sprunghaft zu. Die Behauptung, 71 Mitglieder hätten dem PJD in der Stadt Séfour den Rücken gekehrt, konterte Benkirane – nicht gerade offensiv – mit der Bemerkung, dies könne gar nicht sein, »so viele aktive Mitglieder haben wir dort überhaupt nicht«. Es könnten also nur zehn, »vielleicht auch 20« Aktive ausgetreten sein.
Noch nach den Wahlen im Jahr 2007 war ein Ein­tritt der Partei Benkiranes in eine Rechtskoalition mit der traditionellen bürgerlichen Partei Istiqlal (Unabhängigkeit) des derzeitigen Premier­ministers al-Fassi sowie diversen Technokratenparteien in Erwägung gezogen worden. Dies wurde jedoch von einflussreichen Kräften in den betreffenden Parteien, die den PJD als nicht »reif für eine Regierungsbeteiligung« bezeichneten, blockiert. Nunmehr versucht die Partei sich stärker der marokkanischen Sozialdemokratie – der USFP – anzunähern, die von 1998 an fast zehn Jahre lang die Regierungsgeschäfte geführt hatte. Zwar hat die USFP bislang kaum auf die Annäherungsversuche reagiert, dennoch wäre eine solche Konstellation vorstellbar. Beide Parteien stützen sich auf ähnliche gesellschaftliche Schichten.

Unterdessen versucht die Monarchie, einem Newcomer den Weg zu ebnen. Der Populist Fouad Ali al-Himma erlebt derzeit einen kometenhaften Aufstieg. Durch den Zusammenschluss von fünf bisherigen Karrieristenparteien gelang es ihm Ende Februar, seine »Partei für Authenzität und Modernität« (PAM) zu formen. Neben politischen Quereinsteigern und Karrieristen konnte er auch einige seriösere Politiker gewinnen. Unter ihnen befindet sich der frühere Linksradikale Mohammed Bachir Znagui, der in den siebziger Jahren – in den bleiernen Jahren der Repression – in der berüchtigten Haftanstalt von Khénitra einsaß. Auch ein früheres Gründungsmitglied und Aussteiger aus der Polisario-Front, die für die Unabhängigkeit der seit 1975 von Marokko beanspruchten Westsahara kämpft und in Marokko als Staatsfeind Nummer Eins gilt, Mohamed Cheikh Biyadillah, ist als Generalsekretär der neu­en Partei mit dabei. Um die in ihn gesetzten, äußerst widersprüchlichen Erwartungen nicht zu enttäuschen, zog Parteigründer al-Himma es übrigens vor, während des gesamten dreitägigen Gründungskongresses zu schweigen. Auf die Dauer wird er sich damit jedoch nicht begnügen können.