Terrorgefahr durch Islamisten in Spanien

Zurück nach al-Andalus

Vor zwölf Jahren hielt der islamistische Terror mit dem von al-Qaida verübten Anschlag in Madrid Einzug in Europa. Bisher blieb Spanien von Attacken des »Islamischen Staats« verschont, doch es gilt derzeit die zweithöchste Terrorwarnstufe.

In Spanien herrscht politischer Stillstand. Nachdem sich die Parteien nicht auf eine Regierungsbildung einigen konnten, wurden für den 26. Juni Neuwahlen angekündigt. So wird auch in den nächsten Wochen die politische Krise, die mit immer neuen Korruptionsskandalen und der anhaltenden sozialen Misere einhergeht, das bestimmende Thema in den Medien und der öffentlichen Debatte sein. Ein anderes Thema bekommt dadurch wenig Aufmerksamkeit, obwohl es schon einmal die Wahlen in Spanien mit entschieden hat.
In Spanien vergeht kein Monat, ohne dass es zu Razzien gegen islamistische Gruppen oder Jihad-Unterstützer kommt. Erst vergangene Woche wurden in Madrid vier Personen verhaftet, denen vorgeworfen wird, Kämpfer für den Jihad rekrutiert zu haben. Ende April war auf Mallorca ein mutmaßlicher Anhänger des »Islamischen Staats« (IS) festgenommen worden, der im Internet Hinrichtungsvideos der Islamisten gepostet und mit positiven Kommentaren versehen hatte. Unter anderem schrieb er anlässlich der Anschläge in Paris von einem »exzellenten Tag« und soll auch selbst Anschlagspläne verfolgt haben. Nach Angaben des spanischen Innenministeriums gab es seit Beginn vergangenen Jahres 41 Polizei­operationen gegen jihadistische Kreise mit insgesamt 116 Festnahmen. Offensichtlich spielt Spanien auch in der logistischen Infrastruktur des IS und anderer islamistischer Organisationen eine Rolle. Im Februar wurde eine Gruppe ausgehoben, die von Spanien aus den IS und al-Nusra in Syrien und im Irak per Schiff mit Waffen und anderem Kriegsbedarf versorgt haben soll. Unter anderem wurden 20 000 Uniformen, getarnt als Second-Hand-Kleidung, beschlagnahmt.
Dass von islamistischen Gruppen oder Einzelkämpfern eine konkrete Gefahr in Spanien ausgeht, ist spätestens seit den verheerenden Anschlägen auf die Metro in Madrid am 11. März 2004 klar. Bei den Explosionen zur rush hour in vier Nahverkehrszügen starben 192 Menschen, fast 2 000 wurden verletzt. Es war der erste große islamistische Anschlag innerhalb Europas. Damals war noch al-Qaida der Hauptakteur im globalen Jihad, die Anschläge galten als Rache für die spanische Beteiligung am von den USA angeführten Krieg im Irak. Aber bereits in Madrid war, wie nun in Paris und in Brüssel, das Ziel, möglichst viele Zivilisten zu töten, unabhängig von sozialer und nationaler Herkunft und religiöser Zugehörigkeit. Seit im Juni vorigen Jahres bewaffnete Kämpfer am Badestrand eines spanischen Hotels in Tunesien über 20 Menschen erschossen, gilt im Land nun wieder die zweithöchste Sicherheitsstufe.
Seit den Anschlägen in Madrid haben spanische Sicherheitskräfte im In- und Ausland über 600 Jihadisten festgenommen. Damit steht Spanien, zumindest den Zahlen nach, in Europa an vorderster Front im Kampf gegen islamistische Terrorzellen und ihre Unterstützer. Ob dies der Grund ist, warum Spanien von der jüngsten Welle islamistischer Angriffe bisher verschont blieb, darüber sind sich Politiker und Analysten uneinig. Bisweilen klingt sogar Verwunderung darüber durch. Schließlich war die iberische Halbinsel bis 1492 unter dem Namen al-Andalus zu großen Teilen unter muslimischer Herrschaft und hat daher eine besondere Bedeutung für den IS. Einigkeit herrscht nur darüber, dass die Bedrohung weiterhin groß ist. Zugleich zeigt sich, dass sich mit dem globalen Jihad auch die Gefahrenlage verändert hat. Bis 2013 bestanden die ausgehobenen islamistischen Terrorzellen auf der iberischen Halbinsel mehrheitlich aus Nichtspaniern. Mittlerweile zeigen die Festnahmen, dass es sich auch in Spanien vorrangig um sogenannten home grown-Terrorismus handelt. Die Hälfte der unter Terrorverdacht Inhaftierten sind nicht aus dem Ausland eingereist, sondern in Spanien geboren und aufgewachsen; unter ihnen sind viele zum Islam Konvertierte. Zudem sind nach Regierungsangaben über 150 Spanier nach Syrien ausgereist, um dort ihre Glaubensbrüder und -schwestern beim Jihad zu unterstützen. Die Strategie der Regierung, Islamisten nach Ende ihrer Haftzeit des Landes zu verweisen, wird daher nur begrenzt Wirkung zeigen.
Als Reaktion auf das Attentat gegen das Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar 2015 unterzeichneten die Vorsitzenden der beiden großen Parteien, Ministerpräsident Mariano Rajoy von der regierenden Volkspartei (PP) und Pedro Sánchez von der sozialdemokratischen Partei PSOE, einen »antijihadistischen Pakt«. Der Pakt beinhaltet verschiedene Maßnahmen, um den Antiterrorkampf an die veränderten Bedingungen des Jihad anzupassen. So werden explizit Einzeltäter, die sogenannten lobos solitarios (einsame Wölfe), erwähnt und das Internet wird als wichtiger Ort der Terrorismusbekämpfung benannt. Nach den Anschlägen in Paris im November vergangenen Jahres schlossen sich weitere sieben Parteien dem Pakt an. Die linksnationalistische Republikanische Linke Kataloniens (ERC) sowie die Vereinte Linke (IU) verweigerten indes die Unterschrift. Die Protestpartei Podemos nimmt zwar als Beobachterin an den Treffen teil, Parteichef Pablo Iglesias kritisierte den Pakt aber als »Racheabkommen«. In den Wahlprogrammen der Parteien nimmt die islamistische Bedrohung erstaunlich wenig Platz ein. Podemos sieht die Beendigung der Kriege im Irak und in Syrien sowie die Stärkung der dortigen Zivilgesellschaft als wichtigste Instrumente der Terrorismusbekämpfung an. In Spanien will die Partei vor allem gegen die Propaganda und Rekrutierung im Internet vorgehen und die Finanzierung des IS verfolgen. Die regierende Volkspartei setzt hingegen vor allem auf polizeiliche Maßnahmen. Der größte Kritikpunkt an dem »antijihadistischen Pakt« war die von ihr geforderte Einführung unbegrenzter Haftstrafen für wegen Mordes verurteilte Terroristen.
Die Regierungspartei nutzt die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus zugleich als Vorwand, um auch die anhaltenden sozialen Proteste gegen die Krisen- und Armutspolitik im Rahmen der Antiterrorgesetze durch immer repressivere Maßnahmen zu bekämpfen. Der Terrorismusbegriff ist in Spanien seit jeher sehr weit gefasst und hat bezüglich der staatlichen Bekämpfung der baskisch-nationalistischen Guerilla ETA oftmals selbst die Kritik des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hervorgerufen. Noch Jahre nach den Madrider Anschlägen behaupteten konservative Politiker bis hinein in die Regierungskreise, dass diese das Werk der ETA gewesen seien. Sie habe die regierende rechtskonservative Volkspartei aus dem Parlament bomben wollen, um dann mit der PSOE in Verhandlungen treten zu können, so die Verschwörungstheorie. Nicht zuletzt aufgrund dieses Versuches, die offensichtlich islamistisch motivierten Anschläge innenpolitisch im Kampf gegen die ETA auszuschlachten, verlor der PP bei den Parlamentswahlen 2004, nur drei Tage nach den Anschlägen, seine Regierungsmehrheit. Sollte es jetzt in Spanien zu einem Anschlag kommen, würde es diesmal wohl dem PP in die Hände spielen, dessen einzige Chance auf einen Wahlerfolg im Juni darin besteht, den krisengeplagten Menschen das Gefühl von Sicherheit und Beständigkeit zu vermitteln.