Rollfilm & Revolution

Eine Hamburger Ausstellung stellt den Fotografen Che Guevara vor. von gaston kirsche

Das Profil Fidel Castros ist angeschnitten. Unmittelbar neben ihm stehend, hat der Fotograf von der Rednertribüne herunter die davor Versammelten ins Bild gerückt. Ihre Gesichter sind gut zu erkennen. Im Hintergrund, am Rande des Platzes, ist das große Schild einer Texaco-Tankstelle zu erkennen. Viele kubanische Fahnen werden getragen, die Losung »Patria o Muerte« hochgehalten. Durch eine unorthodoxe Aufteilung des Bildraumes, der kein eindeutiges Zentrum hat, entsteht eine Spannung. Man spürt, dass was passiert. Es geht um den Aufbruch in die Revolution.

Auf einem anderen Foto hängt oben ein Lautsprecher im Bildausschnitt, einige der vor der Tribüne Versammelten tragen ein Barett oder eine Baskenmütze, es sind Milizionäre. Andere sind an ihren festlich weißen Strohhüten und Hemden als Bauern zu erkennen. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1959 und zeigt eine Feier zur Eröffnung des ersten kubanischen Schuldorfes in Caney de las Mercedes, das nach dem kurz zuvor gestorbenen Guerillero Camilo Cienfuegos benannt wurde. »Das war die perfekte Verbindung des politisch engagierten mit dem professionellen Fotografen Ernesto Che Guevara. Er wollte die Geheimnisse des Momentes festhalten, und das Werkzeug hierzu kannte er sehr gut«, stellt Josep Vincent Monzó fest, der die Ausstellung »Fotograf Che Guevara« kuratiert.

Von der Kundgebung in Caney de las Mercedes sind vier Schwarzweißfotografien zu sehen, etwa 20 mal 30 Zentimeter groß. Auf weiteren 19 Fotos ist der Bau des Schuldorfes festgehalten, allerdings auf Abzügen, die kleiner als eine Postkarte sind, denn Fotopapier war teuer.

Da lediglich drei Texttafeln über Che Guevaras Lebenslauf und seine Arbeit als Fotograf informieren, erschließt sich der politische Kontext der Bilder nur dem, der mit den Ereignissen in Kuba und Lateinamerika vertraut ist. So ist der Bau des Schuldorfes ein Paradigma für eine zentrale Errungenschaft der kubanischen Revolution, den Zugang zu Bildung für alle Kubaner. Gerade auf dem Land, wo die Schuldörfer gebaut wurden.

Die Ausstellung versammelt 226 Exponate, und zwar 211 Fotografien, einige wenige davon in Farbe, zwei Kameras und 13 Laborauslieferungstaschen mit Kontaktabzügen.

Am Beginn der Schau hängt ein Selbstporträt, aufgenommen 1951 in Buenos Aires. Konzentriert schaut ein glatt rasierter, einen Anzug tragender Che Guevara in die Kamera. Kurz nachdem dieses Bild entstand, reiste er durch Lateinamerika, wo er die erbärmlichen Lebensbedingungen kennen lernte. In sein Reisetagebuch notiert er: »Dieses ziellose Streifen durch unser riesiges Amerika hat mich stärker verändert, als ich dachte.« Einige wenige Fotos stammen aus dieser Zeit der Politisierung Che Guevaras.

Nachdem er sein Medizinstudium in Buenos Aires abgeschlossen hat, lässt er sich 1954 in Guatemala nieder, wo er als Fotograf und Verfasser von Artikeln über archäologische Themen seinen Lebensunterhalt verdient. Er erlebt in Guatemala den von den USA geförderten blutigen Militärputsch gegen den Präsidenten Jacobo Arbenz Guzman. Arbenz wurde gestürzt, weil er eine Landreform durchführen wollte. Che Guevara beteiligt sich an den Kämpfen, kommt auf die Liste zu liquidierender Kommunisten und muss nach Mexiko fliehen. Nach dieser Erfahrung ist für ihn revolutionäre Gewalt eine Alternative. Seine Zeit in Guatemala spiegelt sich aber lediglich in bisweilen unkonventionell aufgenommenen Mayapalästen.

Auch in Mexiko macht er Reportagen über die präkolumbianischen Geisterstädte. Die Motive, z.B. die Ruinen von Chichén-Itzá, sind von Postkarten und aus Bildbänden bekannt.Che Guevara experimentiert mit Bildausschnitt und Perspektive. Von der Statue des Gottes Chac-Mool ist nicht viel zu sehen, weil der Fotograf ihn von der Säulenhalle herab fotografiert hat. In Uxmal fotografierte er das Nonnenhaus, einen Flachbau, aus dem Tor des Gouverneurspalastes heraus. Durch ein zweites Motiv, das am Bildrand oder im Vordergrund mit ins Bild rückt, wird das Thema eines Fotos in einen Zusammenhang gestellt. Die Bildästhetik hat zwar nichts Spektakuläres an sich, dennoch geht von den Fotos eine gewisse Intensität aus.

Von seiner Arbeit als Straßenfotograf, der für ein paar Pesos Menschen in Parks aufnahm, zeugt leider nur ein einziges Foto in der Ausstellung. Bei diesem Foto strahlt das abgebildete Paar Würde aus. Che schreibt in seinen Notizen über diese Zeit, 1954/1955, in der er auch im Krankenhaus arbeitete: »Die Fotografie geht nicht so schlecht, und die Medizin scheint nicht so schlimm zu werden (…). Fürs Essen reicht es immer (...) Im Moment habe ich kein intellektuelles Leben. Ich lese jeden Abend ein bisschen – zwar nicht genug, aber ich studiere jeden Tag.« Im März 1955 erhält er den Auftrag, bei den Panamerikanischen Spielen zu fotografieren. In der Ausstellung sind einige Sportlerfotos zu sehen. Auf einem Bild scheinen sich zwei Fechter mitsamt ihrer Degen ineinander verknotet zu haben.

Von 1959 bis 1961 war Guevara Präsident der kubanischen Nationalbank. Aus seiner späteren Zeit als Minister stammen zahlreiche Fotos von Industrieanlagen, etwa die als Devisenbringer wichtige Nickelmine. Oft aus der Untersicht aufgenommen, erinnern diese Fotos voller ungewöhnlicher Ausschnitte mit ihren Röhren, Silos, technischen Details, auch mit dem häufigen schrägen Horizont, an die sowjetische Avantgardefotografie aus der Zeit, als Stalin noch nicht jede bolschewistische revolutionäre Initiative erstickt hatte. Die Hamburger Kuratorin Claudia Gabriele Philipp konstatiert: »Die Parallelen zu Alexander Rodtschenkos Buch ›UdSSR im Bau‹ von 1936, das Che kannte, sind offensichtlich.«

Nachdem Che Guevara als Wirtschaftsminister zurückgetreten war, ging er zunächst in den Kongo, dann nach Bolivien, um dort eine Guerillabewegung aufzubauen. Die Kameras nahm er mit.

Als bolivianische Soldaten am 8. Oktober 1967 unter Mitarbeit von CIA-Beratern den verletzten Che Guevara nach seiner Festnahme durchsuchten, fanden sie in seinem Rucksack zwölf Kleinbildfilme. Che Guevara und sechs weitere Guerilleros wurden erschossen, anschließend vergruben die Soldaten die Toten und verwischten die Spuren. Das Foto des toten Che, der auf einem Tisch liegt, ging um die Welt. In der Ausstellung fehlt es.

Eine Woche später, am 15. Oktober 1967, wurden bei einer Demonstration in Mailand zum ersten Mal Plakate von Che Guevara getragen. Darauf das bekannte Bild, auf dem er, die Baskenmütze auf dem Kopf, in die Weite blickt. Es entstand sieben Jahre zuvor, am 4. März 1960 auf der Gedenkfeier für Seeleute, die bei der Explosion eines französischen Frachters gestorben waren. Der kubanische Fotograf, dessen Copyright unzählige Male ignoriert wurde, war Alberto Díaz Gutierrez. Dass der Mann, dessen Konterfei praktisch jedes Kind kennt und der zu einer Ikone des 20. Jahrhunderts wurde, selbst als Fotograf arbeitete, war bisher allerdings nur Wenigen bekannt.

»Fotograf Che Guevara«. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Bis 30. März