Wer einmal schießt …

Vor vier Jahren begann das Bombardement Jugoslawiens. Obwohl kein Mandat der Vereinten Nationen vorlag, war Deutschland dabei. von markus bickel

Ach, was waren das für Zeiten! Freudestrahlend stehen Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und Joschka Fischer im Foyer der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Bonn und prosten sich zu. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft ist die Ära Helmut Kohls endlich beendet, die von dem politischen Trio Anfang der achtziger Jahre gesponnene Vision einer Mehrheit links der Mitte ist mit der Unterzeichnung des rot-grünen Koalitionsvertrages doch noch Wirklichkeit geworden. Es ist der 20. Oktober 1998.

Selbst in das außenpolitische Kapitel der Koalitionsvereinbarung hat sich die Euphorie über den Regierungswechsel eingeschlichen. »Die Vereinten Nationen sind die wichtigste Ebene zur Lösung globaler Probleme«, heißt es da etwas naiv und optimistisch. Die rot-grüne Bundesregierung wolle sich »aktiv dafür einsetzen, das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu wahren« und die Uno sukzessive zur »handlungsfähigen Instanz für die Lösung internationaler Probleme« auszubauen. Der frühere Frankfurter Spontiführer, der ehemalige Juso und sein Parteivorsitzender scheinen sich nach ihren politischen Lehrjahren in der hessischen Provinz, in Hannover und Saarbrücken auf internationaler Ebene einiges vorgenommen zu haben.

Doch nur fünf Monate später ist Schluss mit dem idealistischen Gefasel. Oskar Lafontaine hat das Trio der vermeintlichen Weltverbesserer zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon verlassen, und Schröder sieht sich am Abend des 24. März 1999 gezwungen, der Bevölkerung den Beginn der Bombardierung Jugoslawiens durch Nato-Kampfflieger in Orwellschen Formeln zu verkaufen.

»Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen«, begründet Schröder den ersten Krieg mit deutscher Beteiligung nach 1945, der sich fast zeitgleich mit dem Beginn des aktuellen Angriffs der USA auf den Irak das vierte Mal jährt.

»Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe verhindern«, rechtfertigte Schröder die Luftangriffe damals. Doch mit dem »Bündnis« waren längst nicht mehr die im ersten rot-grünen Koalitionsvertrag so gepriesenen Vereinten Nationen gemeint. Vielmehr sollte die Nato richten, was wegen der Weigerung Russlands und Chinas, einem Angriff auf Jugoslawien zuzustimmen, im Uno-Sicherheitsrat keine Mehrheit gefunden hätte.

Die rot-grüne Haltung im Irakkonflikt steht der von vor vier Jahren im Kosovokrieg diametral entgegen. »Ich bin mir sicher: Es hätte einen anderen Weg zur Entwaffnung des Diktators gegeben, den Weg der Vereinten Nationen«, erklärte Schröder, zwölf Stunden nachdem am Morgen des vergangenen Donnerstags die ersten Cruise Missiles in der Nähe von Saddam Husseins Hauptquartier einschlugen.

Und auch Fischer, der während des Kosovokrieges mit seiner Überdosis historisch-moralischer Argumente neben linken Antimilitaristen vor allem konservative, realpolitisch denkende Kriegsbefürworter gegen sich aufgebracht hatte, hat im vergangenen Jahr die seit Ende des Zweiten Weltkrieges noch von jeder deutschen Regierung instrumentalisierte Macht supranationaler Organisationen wieder entdeckt. »Ein Teil unserer Sorge ist, dass eine mögliche militärische Aktion auf schmaler Legitimationsgrundlage steht, dass – wenn die Dinge dann schwierig werden – diese Grundlage nicht wirklich belastbar ist«, vertraute er Ende Februar dem Zeit-Redakteur Gunter Hofmann an. Ihm hatte Fischer schon im Kosovokrieg einen umfassenden Einblick in seine Gefühls- sowie in die Aktenlage des Auswärtigen Amtes gewährt und dafür eine entsprechend wohlwollende Beurteilung der deutschen Bemühungen zur diplomatischen Beendigung des Konflikts erhalten.

Nur »eine multinationale Weltordnung und starke Vereinte Nationen« könnten die Stabilität des internationalen Systems sichern, legte der Außenminister nun nach Beginn der Angriffe auf Bagdad nach. Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) war derart angetan vom Bemühen Berlins, »aus dem weltpolitischen Abseits für eine friedliche Lösung des Konflikts« zu sorgen, dass er Fischer und Schröder noch am Tag des Kriegsbeginns für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vorschlug.

Dabei müsste es die Schriftstellergewerkschaft angesichts der gewendeten Rhetorik des Kanzlers und seines Stellvertreters eigentlich besser wissen. »Wir halten jedoch die Vorstellung, die Demokratisierung der Region durch militärisch herbeigeführte Regimewechsel in Gang zu setzen, für ein hoch riskantes und gefährliches Vorhaben«, warnte Schröder in der vergangenen Woche, zwei Tage vor Beginn des Krieges, gerade so, als ob der durch kein Uno-Mandat gedeckte, völkerrechtswidrige Angriff auf Jugoslawien im März 1999 etwas anderes als den Aufbau eines demokratischen Regimes ohne Slobodan Milosevic zum Ziel gehabt hätte.

Die rot-grünen Kämpfer für eine neue Weltordnung selbst hatten nach ihren ersten vier Jahren an der Macht zu erkennen gegeben, dass der Kosovo- und der Afghanistankrieg sowie die Gefahren des islamistischen Terrorismus ein auch nur verbales Festhalten an der vor allem an idealistische Vorstellungen geknüpften Vorherrschaft der Weltorganisation nicht zuließen. Im Koalitionsvertrag vom Oktober des Jahres 2002 jedenfalls war nur noch von einer »Schlüsselrolle« die Rede, die der Uno bei der Bewältigung der globalen Probleme des 21. Jahrhunderts zukommen solle.

Doch mit dem Deutschland-Besuch Kofi Annans im März vergangenen Jahres hatten Schröder und Fischer erkannt, dass die Vereinten Nationen nach den Attacken des 11. September 2001 zumindest das beste Forum seien, um sich von Schröders Versprechen der »uneingeschränkten Solidarität« wieder zu lösen und der Regierung George W. Bushs eigenständige, europäische Vorstellungen einer globalen Sicherheitspolitik entgegenzusetzen.

Angesichts der fast ausweglosen Lage im Wahlkampf im vergangenen Sommer legte sich vor allem der Bundeskanzler früh auf eine Haltung fest, die mit Mehrheitsentscheidungen des Sicherheitsrats wenig, mit politischem Opportunismus hingegen sehr viel zu tun hatte. Seine Entscheidung, nicht an einem Irakkrieg teilzunehmen, traf Schröder, lange bevor die Resolution 1441 im November des Jahres 2002 im Sicherheitsrat verabschiedet wurde. Fischer wehrte sich anfangs noch heftig gegen diese aus seiner Sicht unflexible Haltung, schwenkte Anfang Februar jedoch auf den von Schröder vorgegebenen Kurs zur uneingeschränkten Unterstützung der Uno ein.

Doch auch diese Phase deutscher Außenpolitik dürfte irgendwann wieder zu Ende gehen. Denn mehr noch als an der Stärkung der über 50 Jahre nach ihrer Gründung weiterhin ziemlich machtlosen Weltorganisation ist der rot-grünen Regierung am Aufbau einer nicht zuletzt militärisch schlagkräftigen Europäischen Union gelegen, ungeachtet aller Spaltungen, die den alten Kontinent zur Zeit schwächen. Oder in den Worten Fischers: »Was wir brauchen, ist mehr Europa und nicht weniger USA.« Egal, ob mit oder ohne Uno-Mandat.