Überall Protektorate

Die Beispiele Bosnien, Kosovo und Afghanistan zeigen, dass sich demokratische Ziele beim Aufbau ausländischer Übergangsverwaltungen kaum realisieren lassen. Von Markus Bickel

Eigentlich wäre er der perfekte Kompromisskandidat für die Führung des Irak gewesen. Ausgestattet mit einem französischen und einem US-amerikanischen Pass, leitete Jacques Klein von 1996 bis 1997 zunächst die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen im kroatischen Ostslawonien (Untaes), ehe er als Stellvertreter des Hohen Repräsentanten in die nach dem Kriegsende von 1995 eingerichtete Protektoratsbehörde in Sarajevo wechselte.

1999 übernahm der Diplomat aus dem US-State Department die Führung der Uno-Mission in Bosnien-Herzegowina (Unmibh). Und ihm unterstellte Beamte waren es, die nach der Niederlage der Taliban erste Pläne für den Aufbau der internationalen Schutztruppe in Afghanistan (Isaf) entwarfen. »Der Job ist machbar«, sagte Klein im Dezember der Jungle World, als die Einrichtung einer von den Vereinten Nationen geführten Übergangsverwaltung im Irak noch als wahrscheinlichstes Szenario einer möglichen Nachkriegsordnung galt.

Doch die Entscheidung darüber, wer nach dem Sturz Saddam Husseins die Geschicke des Landes lenken würde, traf nach der Besetzung Bagdads bekanntlich die Regierung George W. Bushs – und nicht, wie von vielen Europäern erhofft, die Uno in New York. Dass die Wahl der US-Administration am Ende nicht auf Klein fiel, der wie der im April als Direktor des Büros für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe (ORHA) eingesetzte, inzwischen von Paul Bremer abgelöste Jay Garner zuvor eine Laufbahn in der US-Armee gemacht hat, dürfte an seiner Vorliebe für ein von der Uno verwaltetes Protektorat liegen.

»Was die internationale Gemeinschaft im Irak braucht, ist ein mit sehr starken Kompetenzen ausgestatteter ziviler Verwalter, der die volle Unterstützung des Sicherheitsrats genießt«, forderte er gegen Ende des vergangenen Jahres. »Der Leiter der Übergangsverwaltung darf es nie zulassen, dass Generäle so viel Macht bekommen wie in Bosnien.«

Klein weiß, wovon er spricht. Seit der Einrichtung der Uno-Übergangsverwaltung in Ostslawonien Anfang 1996 und der Entsendung von zehntausenden Nato-Soldaten nach Bosnien im selben Jahr erlebte er alle Versuche der so genannten internationalen Gemeinschaft mit, nach den ethnonationalistischen Kriegen der neunziger Jahre auf dem Balkan parlamentarisch-repräsentative Systeme zu installieren.

Und er erlebte auch ihr Scheitern. Die Hoffnung, durch militärisch abgesicherte administrative Anschubhilfe von außen könnten von der Bevölkerung getragene Demokratien westlichen Typs geschaffen werden, ist in Bosnien, im Kosovo und auch in Afghanistan bitter enttäuscht worden.

»Es tut mir Leid, das so sagen zu müssen, aber Demokratie muss man den Menschen hier beibringen wie im Kindergarten«, räumte Klein kurz vor dem Ende seiner Amtszeit als Leiter der Unmibh Ende 2002 ein. Denn das seit spätestens Mitte der neunziger Jahre von Friedensforschern und Verfechtern »humanitärer« Interventionen gleichermaßen als Allheilmittel zur gesellschaftlichen Konsolidierung vom Krieg zerrütteter failed states gepriesene nation building präsentiert sich nicht nur in Bosnien als Diktatur der gesandten Demokraten. Ob mit der Legitimation der Vereinten Nationen wie im Kosovo oder nur ausgestattet mit dem Ticket ad hoc zusammengesetzter Gremien wie der Balkan-Kontaktgruppe, die heute als Friedensimplementierungsrat den Hohen Repräsentanten in Sarajevo mit Direktiven überhäuft, sind Protektorate ohne Grenzen entstanden.

Der politische Überbau besteht aus einem unübersichtlichen Konglomerat von Nato-Militärs, Geheimdienstlern, Uno- und nationalstaatlichen Diplomaten. Die Dauer des Einsatzes der Armada von Angestellten internationaler Organisationen ist ungewiss. Bislang gelang nur im kleinen Osttimor die Überführung eines Protektorats in die Unabhängigkeit.

Jacques Klein, aber auch andere liberale Kritiker wie Michael Ignatieff, Professor in Harvard, monieren dennoch nur Verfahrensfragen. Die in aller Welt entstandenen Inseln neoimperialistischer Herrschaft stellen sie nicht in Frage. »Zuweilen scheitern Nationen, und wenn das geschieht, kann ihnen nur Hilfe von außen, imperiale Macht, wieder auf die Beine helfen«, verteidigte Ignatieff im Sommer des letzten Jahres im New York Times Magazine offensiv die Ziele der »Democracy-promotion Community«. »›Nation-building‹ ist die Spielart des Imperialismus, die in Zeiten entsteht, da die Menschenrechte hochgehalten werden und die Großmächte finden, kleine Nationen hätten das Recht auf Selbstverwaltung und sie, die Großen, das Recht, die Welt zu beherrschen.«

Uneins sind sich die EU und die USA eigentlich nur über die Art der weithin akzeptierten Weltherrschaft. So wie der aktuelle Streit über die Rolle der Vereinten Nationen bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung im Irak zeigen auch die Weiterentwicklung des bosnischen Protektoratsmodells im Kosovo, wo der Uno eine weitaus stärkere Rolle zugestanden wurde als im Friedensvertrag von Dayton, und die politische Situation in Afghanistan die inneren Widersprüche dieser neuen Ordnung auf.

Kleins Hinweis, »dass nur Idioten Wahlen abhalten lassen, von denen sie wissen, dass die Nationalisten sie gewinnen werden«, fand im Kosovo ebenso Beachtung wie in Afghanistan. Die OSZE organisierte in nur sieben Jahren sechs Wahlgänge in Bosnien. Die Fixierung auf Wahlen als wichtigsten Indikator für demokratischen Fortschritt hat seither im Süden des Balkan ebenso an Bedeutung verloren wie in Afghanistan.

In Kabul verzichtete die internationale Gemeinschaft außerdem gleich auf die Einrichtung einer von Ausländern besetzten zivilen Administration. Im Grunde wird das dortige Protektorat nur von Soldaten der inzwischen von der Nato geführten Schutztruppe Isaf abgesichert – ein Job, den im Irak heute noch die GIs erledigen.