It’s Hard to be a King

Dean Koontz macht in »Bote der Nacht« handwerklich alles richtig. Aber die Nummer eins im SF-Genre wird er nie. Von Joachim Körber

Vor einigen Jahren erschien in den USA unter dem Titel »Invasion« ein Science-Fiction-Thriller eines gewissen Aaron Wolfe. Das Buch verschwand schnell wieder vom Markt, wurde aber etwas später in amerikanischen Antiquariaten zu einem horrenden Preis gehandelt, denn das Gerücht war aufgekommen, Aaron Wolfe sei ein Pseudonym des damals schon ungeheuer populären Stephen King. Auch Kings Dementis änderten zunächst nichts daran, und es verging noch einige Zeit, bis Dean Koontz sich als tatsächlicher Verfasser des Romans zu erkennen gab.

Dass ein Roman von Koontz für einen von King gehalten werden konnte, wirft ein bezeichnendes Licht auf beider Werke.

Kings literarischer Werdegang ist hinreichend bekannt: Es begann mit dem unspektakulären Erstling »Carrie«, der durch Brian de Palmas Verfilmung in die Bestsellerlisten gelangte, und dann kam der weitere Erfolg. King weist nicht wenig Ähnlichkeit mit dem Klischee vom Tellerwäscher auf, der zum Millionär austeigt.

Sehr viel anders liegt der Fall bei Dean Koontz nicht. Er begann seine Schriftstellerkarriere als Verfasser schnell heruntergeschriebener Unterhaltungsliteratur aller in der Verlagsbranche gemeinhin als »Bücher für Männer« apostrophierten Genres – Science Fiction, Krimi, Thriller, Horror –, die unter seinem eigenen Namen, aber auch unter einer Vielzahl von Pseudonymen erschienen. Es dauerte Jahre, bis seine Romane ambitionierter wurden. Der Durchbruch in die Bestsellerlisten kam 1986 mit dem umfangreichen Roman »Strangers«, seither wird Koontz, in den USA zumindest, nach Stephen King als die ewige Nummer zwei der unheimlichen Phantastik gehandelt.

Stephen King ist ein Phänomen der Massenkultur, die den Schriftsteller selbst mythisch überhöht, zu einem medialen Konstrukt macht und ihm eine öffentliche Persönlichkeit aufzwingt, hinter der die reale Person nicht selten gänzlich verschwindet und die nicht selten auch den Blick auf das Werk trübt. King und Koontz sind in ihren Büchern beide stets auf der rastlosen Suche nach dem wahren Amerika, dem authentischen Herzen der Finsternis hinter den glitzernden Fassaden medialer Selbstinszenierungen. Die Wege freilich, auf die diese Suche sie führt, sind durchaus unterschiedlich, und die Stationen ihrer Suche, immer wieder schlaglichtartig als zu Romanen und Storys geronnene Destillate publik gemacht, könnten unterschiedlicher nicht sein.

Das Amerika, wie es vor allem in europäischen Köpfen existiert, ist ein Land der Gewalt und Scheinheiligkeit, des ewigen Verbrechens, gegen das desillusionierte, resignierte Cops einen gleichermaßen end- wie aussichtslosen Kampf führen. Schon bevor Fernsehserien wie »Akte X« Zweifel an der Aufrichtigkeit amerikanischer Regierungsorganisationen säten, führte Stephen King seine Leser in die Abgründe konkurrierender amerikanischer Geheimdienste. Der Schrecken des Watergate-Skandals, der Präsident Nixon stürzen ließ, drückt sich bis heute nicht nur im Werk Kings, sondern in der gesamten amerikanischen Populärkultur aus. Watergate hat vermutlich erst den Boden bereitet für paranoide Thriller-Serien à la »24 »oder »Akte X«, dessen Motto »Vertraue niemandem« zur umgangssprachlichen Versinnbildlichung des gestörten Verhältnisses zwischen dem Bürger und seinem politischen Repräsentanten geworden ist.

Auch Dean Koontz misstraut den Behörden und Regierungsorganisationen zutiefst, auch er lässt dieses Misstrauen in seine Romane einfließen, angefangen mit dem Roman »Mr. Murder« von 1993, in dem ein Bestsellerautor durch eine unfassbare Macht verfolgt, von der Polizei jedoch nur mit Häme bedacht wird, so dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als sein Leben und das seiner Familie selbst zu retten. Der Staat, den er mit seinen Steuern am Leben hält, lässt ihn im Stich. Mit diesem Buch beginnt eine Wende in Koontz’ Werk. In zunehmendem Maße nutzt er seine Romane als Vehikel, um Gesinnungen zu verbreiten, die in ihrem konservativen Tenor den unsäglich reaktionären Thrillern des strammen Kommunistenhassers Tom Clancy beängstigend nahe kommen und sich ungefähr so zusammenfassen lassen: Amerikas Reiche (zu denen Koontz nach mehr als fünfzehnjähriger Bestsellerproduktion gehört) sind die ärmsten Schweine, das Geld, das sie verdienen, stiehlt ihnen der Staat in Form von Einkommenssteuer, und das Wenige, das er ihnen lässt, läuft ständig Gefahr, von den Heerscharen asozialen Gesindels gestohlen zu werden, das der Staat obendrein mit eben den Steuern alimentiert, die die Reichen zahlen müssen.

Mit diesen Überzeugungen ist Koontz mit einiger Verspätung mitten im Herzen des neokonservativen libertären Reagan-Bush-Country angelangt, dem sein gewiss nicht schlecht verdienender Kollege Stephen King bis heute mit allergrößtem Misstrauen begegnet.

King wie Koontz sind wachsame Beobachter politischer wie gesellschaftlicher Entwicklungen, doch während King nach wie vor Missstände anprangert und Hunderttausende Dollar für soziale und gemeinnützige Institutionen spendet, verschanzt sich Koontz hinter den Mauern eines Anwesens in Orange County und wähnt sich von Neidern und Sozialschmarotzern umzingelt. Mit seinem neuen Roman »One Door Away from Heaven« (2001, gerade deutsch unter dem Titel »Bote der Nacht« erschienen) begibt er sich nun interessanterweise genau in eben jenes Umfeld, das ihn mit solchem Misstrauen erfüllt: in eine Wohnwagensiedlung in Kalifornien, ein Refugium der Gescheiterten und sozial Ausgegrenzten, wo Micky Bellsong gerade auf ihr gescheitertes Leben zurückschaut, als sie die Bekanntschaft der neunjährigen Leilani macht. Die ist die Tochter einer durchgeknallten Hippiemutter, die damit hausieren geht, ihr Stiefvater sei ein Serienkiller, der ihren Bruder ermordet habe und nun auch sie töten wolle.

»To go slumming« ist ein schöner amerikanischer Ausdruck dafür, wenn reiche Kids des Kicks wegen durch die Elendsviertel ziehen. Mit »Bote der Nacht« geht auch Koontz »slumming« und folgt einmal mehr Stephen Kings Spuren.

Das Phänomen Stephen King (diese Abschweifung sei gestattet) haben besonders deutsche Verlage nie so richtig begriffen. Im Gefolge seines kommerziellen Erfolgs wurde hierzulande eine große Zahl von Horror-Romanen veröffentlicht. Jedoch war Horror im herkömmlichen Sinne nie der Grund für Kings Erfolg. Das lässt sich vielleicht am besten an einem Roman wie »Cujo« (1982) belegen: Da ist der tollwütige Bernhardiner, der den Horror in die Geschichte bringt, ganz und gar unwichtig. Die Faszination, die dieses Buch ausstrahlt, kommt von seinem Subtext, dem Porträt einer von der Rezession gebeutelten Nation und den unterschiedlichen Reaktionen zweier Familien darauf. Eine ist bereits ganz unten angekommen, sie sieht sich mit der schrecklichen Perspektive des sozialen Abstiegs konfrontiert.

Und schon ist man wieder beim Unterschied von Koontz und King. Sind Kings Romane authentisch, so fühlt sich Koontz – und das merkt man »Bote der Nacht« deutlich an – nicht wohl in dem Milieu, in das er sich begeben hat. Es ist, als hätte ein Imageberater ihm gesagt, dass er mit seinen elitären Ausfällen genau die Leute vergrätzt, die seine Bücher kaufen, und er nun eine Art Kotau versucht.

Handwerklich bleibt sich Koontz treu. Verschiedene Handlungsstränge laufen spannungswirksam parallel – neben Leilanis und Mickys Schicksal kreist die Handlung um einen kleinen Jungen, der sowohl von zwielichtigen Gestalten als auch vom FBI gesucht wird – nebeneinander ab; Geheimnisse werden erst preisgegeben, wenn es nicht mehr anders geht. Aber das ist es beinahe schon.

Koontz geht der schwarze, zuweilen zynische Humor von Stephen King völlig ab. Gerade in »Bote der Nacht« sind die Versuche, komische Elemente einzufügen, eher peinlich und beschränken sich nicht selten auf muffige Altmännerzoten: »Wenn ihre Brüste nicht echt waren, stand das Land vor einer ernsten Silikonverknappung.«

Eines hat Koontz King jedoch voraus: Der Leser bekommt stets atemberaubende Hochspannung geliefert. Stephen King wagt literarische Experimente selbst auf die Gefahr hin, künstlerisch zu scheitern (und er scheitert oft, beileibe nicht alle seine Romane sind gelungen); Koontz hingegen bietet eine rasante Dramatik, was freilich zur Folge hat, dass seine Romane, liest man sie in Folge, repetitiv wirken und sein Strickmuster durchschaubar ist. Spannung entsteht in Koontz’ literarischen Road movies immer durch rasante Fluchten und Verfolgungsjagden – »Bote der Nacht« ist da keine Ausnahme. Im Gegensatz zu King, bei dem Psychologie und Charaktertiefe der Figuren die Spannung ausmachen, schreibt Koontz Oberflächenliteratur, die man – zugegeben – schwer aus der Hand legen kann, wenn man erst einmal angefangen hat zu lesen. Zurück bleibt jedoch nicht selten das schale Gefühl, dass man hier einem huschenden Scheinwerfer über eine Oberfläche gefolgt ist, ohne auch nur einen Millimeter in Textur und Beschaffenheit einzudringen. Wenn Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit der Darstellung große Kunst und große Literatur ausmachen, dann sind zumindest die besten Romane von Stephen King tatsächlich große Literatur. So gesehen hat er – allen Anfeindungen und Ausfällen von Kritikern zum Trotz – den National Book Award, Amerikas höchste literarische Auszeichnung, die ihm jüngst zuteil wurde, durchaus verdient. Und so gesehen wird sich Dean Koontz, wiewohl in seinen besten Momenten spannender als King, auch weiterhin mit dem zweiten Platz begnügen müssen.

Dean Koontz: Bote der Nacht. Wilhelm Heyne Verlag, München 2003, 751 S., 25 Euro