Auf Geheiß der Stimme Jesu

In Schweden begann vergangene Woche der Prozess gegen Mijailo Mijailovic. Er hat gestanden, im September die Außenministerin Anna Lindh
ermordet zu haben. von elke wittich

Ein Prozess gegen einen geständigen Angeklagten müsste nach landläufiger Meinung eigentlich nur eine reine Formalie sein. Die Gerichtsverhandlung gegen den Mörder der schwedischen Außenministerin Anna Lindh gestaltet sich jedoch unerwartet schwierig. Mijailo Mijailovic hat die Tat zwar seiner Mutter, einigen Freunden und später auch den Ermittlungsbehörden gestanden, aber sein Motiv bleibt unklar. Daher ist noch nicht abzusehen, ob er wegen Mordes oder Totschlags verurteilt oder auf unbestimmte Zeit in die Psychiatrie eingewiesen wird.

Eine Stimme, mutmaßlich die von Jesus, habe ihn dazu aufgefordert, Lindh zu töten, erklärt er beharrlich, an mehr erinnere er sich eigentlich nicht. Und so beschäftigen sich seit dem Prozessbeginn am Mittwoch vergangener Woche Gutachter, Anwälte und Zeugen mit der Frage, ob Mijailovic Lindh vor der Tat gezielt ausspioniert hat oder die Politikerin am 10. September einfach nur zufälliges Opfer eines Mannes wurde, der sowohl wegen verschiedener Gewaltdelikte vorbestraft ist als auch bereits aufgrund mentaler Probleme in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Darauf zielt offensichtlich die Strategie der Verteidigung.

Mijailovics Verhalten trägt nur wenig zur Wahrheitsfindung bei. Während er über unbedeutende Details bereitwillig Auskunft gibt, beantwortet er Fragen nach dem Tathergang und die Zeit davor grundsätzlich mit den knappen Worten: »Ich kann mich nicht erinnern!«

Klar scheint, dass Mijailovic in Tötungsabsicht gegen sein Opfer vorging. Der Gerichtsmediziner Henrik Druid erklärte, Lindh sei »mit fünf, höchstens neun Messerstichen ermordet« worden. »Die genaue Anzahl variiert, je nachdem wie man die Stiche in den Körper definiert. Wenn man die mitzählt, die durch die zur Abwehr leicht erhobenen Arme in den Rumpf erfolgten, sind es neun.«

Eva Franchell, Pressesprecherin und Freundin von Anna Lindh, berichtete in ihrer Zeugenaussage, dass der Täter ganz gezielt auf die Außenministerin zugestürmt sei. »Die Bilder dieses Nachmittags kann ich einfach nicht vergessen, sie spielen sich in meinem Kopf ab, immer und immer wieder.« Der Angeklagte habe sich auf Lindh gestürzt. »Für mich sah es so aus, als boxe er sie gezielt und sehr fest immer wieder in den Magen. Ich wusste da noch nicht, dass er ein Messer hatte, aber die Szenerie wirkte auf mich äußerst bedrohlich und absolut aggressiv. Der Mann kam mir extrem bösartig vor.«

Wie schwer Lindh tatsächlich verletzt war, sei zunächst nicht abzusehen gewesen. »Erst als sie zu mir sagte: ›Na, Alte, wie geht es dir?‹, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Kurz darauf bat sie mich zudem, ihrem Mann auszurichten, er solle sich um die Kinder kümmern; sie wusste wohl, dass sie sterben würde.«

Indirekt lieferte Francell mit ihrer Aussage wichtige Argumente für die Verteidigung, die darauf aufbaut, Mijailovic habe zwar vorgehabt, jemanden umzubringen, Lindh sei jedoch rein zufällig zu seinem Opfer geworden. Francell bestätigte nämlich ältere Presseberichte, wonach sich der Einkaufsbummel der beiden Freundinnen spontan ergeben habe, da die Außenministerin ein passendes Kleid für eine kurzfristig am Abend angesetzte Fernsehdiskussion über die Euro-Einführung benötigt habe. »Wir gingen zufällig ins Kaufhaus und an all den Ständen mit den teuren Markenklamotten vorbei, Armani, Donna Karan und wie sie alle heißen, und sagten immer wieder: ›Und das können wir uns nicht leisten und das auch nicht und das da erst recht nicht.‹ Bei einer Billig-Boutique stoppten wir dann.«

Mijailovic könne die beiden trotzdem in das Kaufhaus verfolgt haben, glaubt dagegen Chefankläger Krister Petersson. »Selbst wenn sich Mijailovic wirklich schon in den Tagen vor der Tat verfolgt fühlte, so erklärt das doch noch lange nicht, warum er am 10. September überhaupt in die Stockholmer Innenstadt ging.« Besonders das Verhalten der Tat passe nicht zu jemandem, der nicht zurechnungsfähig sei. »Er versuchte, seine blutverschmierte Kleidung zu verbrennen, schnitt sich die Haare, änderte seinen Lebensstil und verließ das Haus nicht mehr. Und er wusste anscheinend genau, was er getan hatte, denn sonst hätte er den Mord wohl kaum später seiner Mutter gestanden.« Die Aussage, dass er Stimmen gehört habe, sei einfach nur ein Trick der Verteidigung, die ihrem Mandanten eine lange Haftstrafe ersparen wolle. Denn der Verdacht, Mijailovic habe tatsächlich ein politisches Motiv gehabt und Anna Lindh gehasst, weil sie mit der traditionellen schwedischen Neutralität gebrochen und sich öffentlich für den Nato-Krieg gegen Jugoslawien stark gemacht habe, steht weiterhin im Raum.

Freunde von ihm hatten kurz nach seiner Verhaftung öffentlich erklärt, er habe die Außenministerin als seine Feindin Nummer eins bezeichnet und ihr den Tod gewünscht. Aber ohne die Mitwirkung des Angeklagten lässt sich das Tatmotiv vermutlich nie mehr ermitteln. Und Mijailovic schweigt auch zu diesem Punkt.

Bleibt die Frage, ob der 25jährige nun ins Gefängnis muss oder lebenslang in einer psychiatrischen Einrichtung verschwindet. Bo Ahlenius, stellvertretender Vorsitzender des Anwaltsvereins, wies aber bereits darauf hin, dass bei Verhandlungen vor schwedischen Gerichten eine verminderte Schuldfähigkeit nur noch selten anerkannt wird. »Ich bin fast sicher, dass alles auf eine Gefängnisstrafe hinausläuft. Die Entwicklung geht derzeit dahin, Täter deutlich seltener in die Psychiatrie einzuweisen.« Mijailovic sei »bisher nicht sehr glaubwürdig aufgetreten. Auf der einen Seite will er partout nicht zugeben oder sich auch nur daran erinnern, dass er Anna Lindh verfolgt und ausspioniert hat, auf der anderen Seite erinnert er sich sehr gut an geringfügige Details, die mit der Tat nichts zu tun haben.« Es wäre für ihn besser gewesen, »wenn er einfach nur erklärt hätte, dass er wie in einem Dämmerzustand in das Kaufhaus gegangen sei, und sonst nichts gesagt hätte«.

Möglicherweise habe der Angeklagte nach der Tat aber wirklich unter einer Art Schock gestanden. »Denn es ist natürlich schon sehr abenteuerlich, dass er auf keinen Fall gefasst werden wollte, gleichzeitig aber gegenüber seiner Mutter und einigen Freunden zugab, der Mörder von Lindh gewesen zu sein.«

Auch Lena Hellbom-Sjögren, Psychologin und Strafverteidigerin, ist der Meinung, dass das Verhalten des Angeklagten nicht unbedingt auf eine psychische Krankheit hindeute. »Nach seiner Festnahme hat er in keinem Verhör erwähnt, dass er von Stimmen gesteuert werde. Erst im Prozess berichtete er davon. Seine Aussage, dass es die Stimme von Jesus gewesen sei, war etwas, wohin ihn die Verteidigung im Verhör zudem regelrecht getragen hat. Alles spricht meiner Meinung nach dafür, dass er sich zu dieser Strategie entschlossen hat, um die Strafe abzumildern.«

Der renommierte Strafverteidiger Peter Althin erklärte dagegen in einem Interview mit der Zeitung Aftonbladet, der Angeklagte sei sicherlich verwirrter, als die meisten glaubten: »Es passt ins klinische Bild, dass er sich kaum an die wichtigsten Einzelheiten der Tat erinnern kann. Dass der Überfall so schlampig ausgeführt wurde und nur einer der Stiche wirklich tödlich war, spricht sogar gegen eine klare Tötungsabsicht.«

Zudem gehört einiges an Fatalismus dazu, sich freiwillig für unbestimmte Zeit in eine psychiatrische Anstalt stecken zu lassen. Denn dass er dort schnell wieder entlassen würde, ist bei dem Aufsehen, den der Mord erregt hat, mehr als fraglich.